# taz.de -- Wandel im Sudan: Ein Land erfindet sich neu | |
> Nach dem Sturz al-Bashirs müssen Frauen im Sudan keine langen Röcke mehr | |
> tragen. Dem ehemaligen Diktator droht indes die Todesstrafe. | |
Bild: Die 23-jährige Studentin Duha Mohmed will keinen Schleier tragen | |
NAIROBI taz | Nach dem [1][Sturz von Omar al-Bashir] im April rechnet der | |
Sudan Schritt für Schritt mit den letzten 30 Jahren Diktatur ab. Gleich | |
mehrere Beschlüsse der Justizbehörden sowie der Übergangsregierung treiben | |
den Wandel voran. | |
Generalstaatsanwalt Tadsch al-Sirr Ali al-Hibr hat ein Komitee gebildet, | |
das den Staatsstreich von 1989 untersuchen soll. Al-Bashir führte damals | |
die putschenden Militärs an und sicherte sich die Macht. Der ehemalige | |
Staatschef könnte für seine damalige Rolle zum Tode verurteilt werden. | |
„Das Komitee hat die Kompetenz für strafrechtliche Verfolgung von | |
Militärputschisten“, erklärte der Generalstaatsanwalt. Al-Bashir sitzt | |
bereits jetzt im Gefängnis. Gegen den 75-Jährigen läuft ein | |
Gerichtsverfahren wegen Korruption. | |
Der Staatsanwalt hofft offenbar, dass die Untersuchungen einen Meilenstein | |
setzen und eine weitere gewaltsame Regierungsübernahme im Sudan künftig | |
verhindern. Seit der Unabhängigkeit von den Briten 1956 haben | |
Militärputsche Sudans Politik geprägt. | |
## Gesetz gegen den politischen Islam | |
Ende vergangener Woche bereitete die Übergangsregierung darüber hinaus | |
al-Bashirs Nationaler Kongresspartei (NCP) ein Ende. Nach einer | |
Marathonsitzung von 14 Stunden nahm sie ein Gesetz an zur Abschaffung der | |
NCP. Damit soll der Ideologie des politischen Islam und des arabischen | |
Nationalismus ein Ende gesetzt werden. Ziel sei aber auch, wie | |
Ministerpräsident Abdullah Hamdok twitterte, „den gestohlenen Reichtum des | |
Volkes wiederzubekommen“. | |
Die Partei zeigt sich von dem Gesetz indes unbeeindruckt: „Die NCP ist eine | |
starke Partei und ihre Ideen werden sich durchsetzen“, heißt es auf der | |
Facebook-Seite der Partei. | |
Neben dem NCP-Gesetz nahm die Übergangsregierung ein Gesetz zur Abschaffung | |
der strengen Kleiderordnung für Frauen an. „Dies sind wichtige Schritte in | |
Richtung eines demokratischen Zivilstaates“, reagierte die | |
Gewerkschaftsbewegung SPA, die die treibende Kraft hinter dem Massenprotest | |
war, der al-Bashir zum Rücktritt zwang. | |
In Sudans Hauptstadt Khartum hatten sich hunderte Frauen vor dem | |
Präsidentenpalast versammelt, um die Abschaffung der Kleiderordnung zu | |
fordern. „Es ist ein Sieg“, sagt eine von ihnen, die IT-Ingenieurin Amira | |
Osman, gegenüber der taz am Telefon. „Wir sind endlich von diesem | |
unterdrückenden Gesetz befreit, das uns gezwungen hat, Kleidung anzuziehen, | |
die viele nicht tragen wollten.“ | |
## Zwei Hauptforderungen der Protestbewegung erfüllt | |
Seit Jahren weigert sich Osman, ihren Kopf zu bedecken. Sie trägt | |
vorzugsweise lange Hosen statt der bislang obligatorischen langen Röcke, | |
[2][was sie mit Gefängnisstrafen, Peitschenhieben und einer Scheidung | |
bezahlen musste]. | |
Al-Bashir hatte eine spezielle Polizeieinheit ins Leben gerufen, um unter | |
anderem die an der islamischen Scharia orientierten Kleidervorschriften zu | |
überwachen. Insbesondere Frauen auf dem Land waren Opfer dieses Ordnung. | |
„Wir städtischen Frauen haben Aktivistinnen und Menschenrechtler | |
verständigt, um unserer Bestrafung zuzuschauen“, sagt Osman. „Die Regierung | |
mochte diese Aufmerksamkeit nicht. So konnten wir die Peitschenhiebe | |
manchmal vermeiden.“ | |
„Ich halte die Frauen und Jugendlichen meines Landes in Ehre, die aufgrund | |
dieses Gesetzes Gräueltaten erdulden mussten“, twitterte Ministerpräsident | |
Hamdok als Reaktion auf die Abschaffung der Kleidervorschriften. | |
Die Abschaffung der Kleiderordnung und die Auflösung der NCP sind zwei der | |
Hauptforderungen der Protestbewegung, die mit monatelangen Demonstrationen | |
die Armee dazu brachte, al-Bashir fallen zu lassen. | |
## Trotz der Freude herrscht Misstrauen | |
Im Anschluss widersetzte sich die Protestbewegung, in deren Mittelpunkt | |
Frauen und Jugendliche standen, dem Militärregime, das nach al-Bashirs | |
Abgang die Macht übernommen hatte, und forderte eine zivile Regierung. Im | |
August wurde eine [3][Einigung über eine Übergangsregierung] erzielt, in | |
der sich das Militär und Zivilisten bis zur Wahl im Jahr 2022 die Macht | |
teilen. | |
Trotz der Freude über die Verabschiedung beider Gesetze herrscht Misstrauen | |
im Land. Die Marathonsitzung zeigt, dass es nicht einfach war, eine | |
Einigung innerhalb der Übergangsregierung zu erzielen, die aus dem | |
Souveränen Rat, der höchsten Macht im Land, und Hamdoks Kabinett besteht. | |
Dem Rat gehören neben Zivilisten auch Militärs an, die Teil des alten | |
Regimes von al-Bashir waren. Und auch wenn die NCP offiziell nicht mehr | |
existiert, werden ihre Anhänger in den sudanesischen Behörden wohl nicht | |
von heute auf morgen ihre politischen Überzeugungen ändern. | |
3 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Sudan-nach-der-Revolution/!5589388 | |
[2] https://www.amnesty.org.uk/amira-osman-hamed-sudan-woman-headscarf-flog | |
[3] /Machtteilung-im-Sudan/!5618702 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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