| # taz.de -- Wahlniederlage der Grünen: Die fetten Jahre sind vorbei | |
| > Auf 20 Prozent werden die Grünen so schnell nicht mehr kommen. Sie müssen | |
| > sich fragen: Wie können sie mehr aus dem Zuspruch machen, der ihnen | |
| > bleibt? | |
| Bild: Terry Reintke war die Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl | |
| Die Grünen sind [1][nach der Wahlniederlage vom Sonntag] ratlos: Eine | |
| abschließende Erklärung dafür, warum ihre Verluste so stark ausgefallen | |
| sind, haben sie noch nicht gefunden. Kein Wunder, das Ergebnis ist komplex. | |
| Höchstens eines lässt sich schon jetzt mit Sicherheit sagen: In der | |
| Wahlkampagne den Kampf gegen rechts und für die Demokratie ins Zentrum zu | |
| stellen, hat nicht funktioniert. | |
| Die Partei hatte dem Thema in den letzten Monaten zwar eine Eintrittswelle | |
| zu verdanken, bei einem harten Kern wirkte es also mobilisierend. In | |
| Wählerstimmen hat sich das aber nicht umgesetzt – weil das Thema entweder | |
| in der Breite kein entscheidendes Argument für die Stimmabgabe ist, oder | |
| weil die Grünen damit kein Alleinstellungsmerkmal hatten. Gegen rechts sind | |
| schließlich auch andere. | |
| So oder so: Um bei Wahlen zu punkten, reicht die Abgrenzung gegenüber | |
| Demokratiefeinden nicht aus. Dafür müssten auch eigene, positive Inhalte | |
| sichtbarer werden: Was haben die Grünen im Angebot, um das Leben der | |
| Wähler*innen konkret besser oder zumindest nicht schlechter zu machen? | |
| Am naheliegendsten ist es da natürlich, am materiellen Lebensstandard der | |
| Menschen anzusetzen. Umfragen zufolge war die soziale Sicherheit eines der | |
| wahlentscheidenden Themen. Klar: In Krisenzeiten suchen die Menschen nach | |
| Halt. Die Grünen sind in der Hinsicht im Nachteil. Grundsätzlich, weil sie | |
| Veränderungen anstreben und Veränderung verunsichert. | |
| Und konkret, weil ihr Heizungsgesetz noch immer nachwirkt. Vor über einem | |
| Jahr legte Klimaminister Robert Habeck einen ersten Entwurf vor, der viele | |
| im Land verschreckte – weil er strenge Regeln vorsah und noch keine soziale | |
| Abfederung beinhaltete. Seit diesem Zeitpunkt steckten die Grünen im | |
| Umfragetief und kommen über 15 Prozent nicht hinaus. | |
| ## Wohlstand reicht nicht | |
| Prinzipiell hat die Partei die offene Flanke erkannt. In ihrer Wahlkampagne | |
| hat sie versucht, den Klimaschutz mit einem finanziellen | |
| Sicherheitsversprechen zu verknüpfen. [2][Arbeitsplätze sichern, Wohlstand | |
| erhalten: Das war diesmal ihr größtes Argument für die Transformation.] Das | |
| Versprechen blieb aber offenbar zu abstrakt. Welche drei Maßnahmen hatten | |
| die Grünen bei der Europawahl denn im Angebot, die dafür gesorgt hätten, | |
| dass es den Menschen in der Breite finanziell wieder besser geht? Eben: Da | |
| war nicht viel, was hängenbleiben konnte. | |
| Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst mit einer perfekten Performance wären | |
| große Sprünge für die Grünen im Moment nicht drin. Die Zeiten von 20 | |
| Prozent und mehr sind auf mittlere Sicht vorbei. Ein Grund dafür liegt im | |
| Zeitgeist und dem schon angesprochenen Unwillen zur Veränderung in Zeiten | |
| der Krisen. Auch in anderen europäischen Ländern haben die Grünen am | |
| Sonntag verloren. Die Rahmenbedingungen sind eben mies, auch abgesehen von | |
| spezifischen Fehlern der nationalen grünen Parteien. | |
| Und die Länder, in denen Grüne doch zulegen konnten – unter anderem | |
| Niederlande, Schweden und Dänemark – vereint eines: Sie sitzen dort in der | |
| Opposition. Für die deutschen Grünen ist die Regierungsbeteiligung | |
| mittlerweile eine Last, weil sie in komplexen Zeiten in einer so stark | |
| inhaltlich getriebenen Partei zwangsläufig Enttäuschungen produziert. | |
| Erfolgreich war die Partei vor ein paar Jahren, aus der Opposition kommend, | |
| mit einem Sowohl-als-auch-Ansatz: Sie nahm die Kernwähler*innen mit, | |
| erreichte aber auch neue Gruppen in der politischen Mitte. | |
| Jetzt deuten Daten zur Wählerwanderung eher auf ein Weder-noch hin: Auf der | |
| einen Seite haben die Grünen stark an die CDU verloren, viele | |
| Wähler*innen nehmen sie mittlerweile wohl als zu radikal wahr. Auf der | |
| anderen Seite haben sie aber auch Verluste in Richtung Kleinparteien, viele | |
| andere ehemalige Grünen-Wähler*innen sind diesmal sogar ganz zu Hause | |
| geblieben. Das deutet darauf hin, dass der Partei auch ihre Kompromisse in | |
| der Koalition schaden. | |
| ## Nicht nur auf Stimmen schielen | |
| Der linke Flügel der Grünen kann nun mehr Klarheit fordern, der | |
| Realo-Flügel mehr Pragmatismus. Unterm Strich geht es in dieser Diskussion | |
| aber auch nur um ein paar Prozentpunkte in die eine oder andere Richtung, | |
| wenn überhaupt. Was sich am einen Ende des Wählerspektrums gewinnen lässt, | |
| ginge am anderen Ende wieder verloren. | |
| Sinnvoll wäre es daher, wenn sich die Grünen in ihrer Analyse nicht nur | |
| fragen, welche Korrekturen sich wie auf die nächsten Wahlen auswirken. | |
| Sondern auch, wie sie mit dem, was sie haben, besser arbeiten können – wie | |
| sie also ihr aktuelles Potenzial von 10 bis 15 Prozent politisch am besten | |
| nutzbar machen. | |
| Im Regierungshandeln war ihnen bisher oft die Einigung an sich wichtiger | |
| als das Durchsetzen der eigenen Inhalte – der Außendarstellung der Ampel | |
| zuliebe. Zuletzt waren sie sogar so weit gegangen, [3][ohne Not das | |
| Klimaschutzgesetz der Großen Koalition zu entkernen], womit sie SPD und FDP | |
| aus der Verantwortung entließen, in ihren Ressorts zu liefern. | |
| An der Wahlurne, das hat sich am Sonntag gezeigt, hilft den Grünen | |
| übergroße Rücksicht aber nicht. Das zerstrittene Image wird die Ampel eh | |
| nicht mehr los. Es ist zwar auch nicht so, dass mehr Konfliktfreude den | |
| Grünen unbedingt mehr Stimmen bescheren würde. Mehr politische Erfolge | |
| brächte sie ihnen aber vielleicht schon. | |
| 10 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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