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# taz.de -- Wahlen in Südkorea: Garantiert gespalten
> In Südkorea wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt. Den beiden
> aussichtsreichsten Kandidaten ist nur eines gemein: Sie polarisieren.
Bild: Ins Blaue: Unterstützer des linken Oppositionsführers Lee Jae Myung fei…
Seoul taz | Als Kim Hyoung Soo nicht mehr wusste, wie er seiner Stimme
Gehör verschaffen könnte, zog er kurzerhand vor die Firmenzentrale seines
Arbeitgebers, kletterte auf einen 30 Meter hohen Verkehrsmast und verharrt
dort seit genau 79 Tagen unter einer kleinen Plastikplane. Dort, mitten im
Stadtzentrum von Seoul, befindet sich der 52-jährige Werftarbeiter
ironischerweise auf Augenhöhe mit der Vorstandsetage des Hanhwa-Konzerns,
der nur einen Steinwurf entfernt in einem gläsernen Büroturm untergebracht
ist.
Kims Einmanndemo mag außergewöhnlich erscheinen, doch sein Anliegen ist es
ganz und gar nicht: Fast 40 Prozent aller Arbeitnehmer in Südkorea werden
mittlerweile durch Subunternehmen beschäftigt. Sie verrichten dieselbe
Tätigkeit wie ihre angestellten Kollegen, doch verdienen oftmals nur die
Hälfte.
„Die Gerechtigkeit kommt zwar nur langsam, aber sie kommt“, sagt der
23-jährige Song Ye Eun, ein engagiertes Gewerkschaftsmitglied aus der
Satellitenstadt Gwacheon. Seit Monaten zieht er jeden Morgen vor die
Hanhwa-Firmenzentrale in Seoul, um den Protest des Werftarbeiters Kim
Hyoung Soo zu unterstützen.
Am Dienstag werden die Kims dieses Landes auch über die politische Zukunft
entscheiden. Dann nämlich wählen die Südkoreaner ein neues Staatsoberhaupt.
Die vorgezogenen Neuwahlen sind bereits jetzt historisch aufgeladen: Zum
einen besiegelt der Urnengang [1][endlich die mehrmonatige Staatskrise, die
der erzkonservative Ex-Präsident Yoon Suk Yeol Anfang Dezember auslöste],
als er vollkommen überraschend das Kriegsrecht ausrief – angeblich, um die
freiheitliche Ordnung des Landes zu schützen.
## Wirtschaftliche Konkurrenz aus China
Damals stand die Demokratie Südkoreas für wenige Stunden tatsächlich auf
Messers Schneide. Nur der Achtsamkeit der Zivilgesellschaft und der
Hunderttausenden Demonstranten ist es zu verdanken, dass das Land am
Han-Fluss nicht wieder in alte autoritäre Zeiten zurückgefallen ist.
Doch die eigentlichen Probleme der Gesellschaft sind damit noch keineswegs
gelöst. Einerseits hat der ostasiatische Tigerstaat in nur wenigen
Generationen den wohl beeindruckendsten Aufstieg des 20. Jahrhunderts
hingelegt: von bitterer Armut zur Hightechwirtschaft, von einer
Militärdiktatur zur lebhaftesten Demokratie Asiens und schließlich auch
zur schillernden Kulturnation, [2][deren Popbands und Fernsehserien
weltweit für Begeisterung sorgen].
Gleichzeitig brodelt es jedoch unter der glitzernden Oberfläche Südkoreas.
Die einstigen Wachstumsmotoren, von Computerchips über Schiffsbau bis hin
zur Autoindustrie, werden mittlerweile durch die Konkurrenz aus China
bedroht. Südkoreas Geburtenrate, die niedrigste der Welt, bremst das
Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft zusätzlich.
Und auch die kollektiven Traumata der Vergangenheit wirken nach wie vor in
die Gegenwart hinein. Da wären die Gräuel der japanischen Kolonialzeit
(1910–1945), die bis heute zu gesellschaftlichen Grabenkämpfen führen. Oder
die Teilung der koreanischen Halbinsel und die damit einhergehende
Bedrohung durch den nuklear aufgerüsteten Norden.
Vor allem aber ist die bleierne Zeit der Militärdiktatoren nach wie vor
omnipräsent. Erst Ende der 1980er haben sich die Südkoreaner freie Wahlen
erkämpft. Die Folter- und Verhörkammern, in denen regelmäßig Gewerkschafter
und Studentenaktivisten verschwanden, sind keineswegs museale Relikte. Für
eine ganze Generation sind sie nach wie vor gelebte Erinnerungen.
Die gesellschaftlichen Turbulenzen werden sich auch beim Urnengang am
Dienstag zeigen. Dort stehen sich zwei Kandidaten mit geradezu
gegensätzlichen Weltbildern gegenüber: Der 73-jährige Kim Moon Soo, der
einst als Studentenanführer mit dem Kommunismus sympathisierte und sogar
inhaftiert wurde, hat sich im Zuge seiner Politikerkarriere zu einem
erzkonservativen Hardliner entwickelt. Gegen ihn tritt der linke
Oppositionsführer Lee Jae Myung, 60, an, der als Jugendlicher in Fabriken
ausgebeutet wurde und sich später als Menschenrechtsanwalt einen Namen
machte.
In den Wahlprogrammen beider Kandidaten gibt es praktisch keine
Überschneidungen: Der rechte Kim stellt den Unternehmen eine Deregulierung
in Aussicht, möchte einen harten Kurs [3][gegenüber China] fahren und zur
Selbstverteidigung taktische Nuklearwaffen der USA nach Südkorea holen. Der
linke Lee hingegen verspricht, den Sozialstaat auszubauen, die Energiewende
zu beschleunigen und sowohl mit Peking als auch Pjöngjang einen
Annäherungskurs zu forcieren.
„Ich bin sehr besorgt über die Polarisierung in Südkorea. Und sie wird
immer tiefer“, sagt Heo Jin Jae vom Meinungsumfrageinstitut Gallup. Der
Demoskop ist in den 18. Stock des Korea Press Center gezogen, um seine
aktuellen Umfrageergebnisse mit den anwesenden Korrespondenten zu teilen.
Und Heos bunte Powerpoint-Präsentation spricht eine eindeutige Sprache:
Der Herausforderer Lee Jae Myung führt aktuell mit 51 Prozent, während Kim
Moon Soo nur auf 40 Prozent Zustimmung kommt. Der Grund dafür ist simpel:
Während das linke Lager geeint ist, tritt das zerstrittene konservative
Lager mit zwei Kandidaten an, die sich gegenseitig schaden.
Lee Jun Seok ist der unangefochtene Bad Boy des diesjährigen Wahlkampfs.
Mit seinem jugendlichen Charme und den radikal unkonventionellen Ideen
versucht sich der 40-Jährige als eine Art Mischung aus Emmanuel Macron und
Elon Musk zu inszenieren. Doch vor allem polarisiert der ehemalige
Harvard-Abgänger und Start-up-Gründer mit seiner konfrontativen Rhetorik.
Und diese zielt vor allem auf eine bestimmte Gesellschaftsgruppe ab:
Feministen. So setzt sich Lee etwa offen für die Abschaffung des
Gleichstellungsministeriums ein, da dieses angeblich für eine „umgekehrte
Diskriminierung“ von Männern sorge.
„Das Problem junger Männer, die Feminismus hassen, ist in den letzten
Jahren immer größer geworden“; sagt die 22-jährige Young Eun, die
Stadtplanung und deutsche Literatur studiert: „Ich finde es deprimierend,
dass es keine einzige weibliche Kandidatin bei den diesjährigen Wahlen
gibt. Niemand repräsentiert unsere Stimmen! Aber in Südkorea scheint dies
gar nicht mal als Problem wahrgenommen zu werden.“
Dabei belegt ein Blick auf die Statistiken, wie patriarchal Südkorea nach
wie vor geprägt ist: In keinem OECD-Staat ist der Gender-Pay-Gap größer,
auch bei Gewaltverbrechen sind überproportional Frauen die Opfer.
Gleichzeitig sind die Vorstandsetagen der großen Unternehmen nur zu knapp
15 Prozent weiblich besetzt, auch im Parlament sind es weniger als 20
Prozent. Umso deprimierender ist es, dass Frauenrechte bei keinem der
führenden Kandidaten unter den zehn wichtigsten Wahlthemen auftauchen.
Ganz gleich also, wer am Dienstag die Wahl gewinnen wird – ein zentrales
Versprechen wird er unmöglich einlösen können: das Land zu einen.
2 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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