# taz.de -- Wahlen in Frankreich: Encore une fois? | |
> Der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron ist sich seiner Wiederwahl | |
> so sicher, dass er sich nicht einmal Zeit für den Wahlkampf nimmt. | |
Bild: Ça roule: Emmanuel Marcon unterwegs im westfranzösischen La Pommeraye, … | |
PARIS taz | Wer wird Frankreichs nächstes Staatsoberhaupt? Auf den Plakaten | |
vor allen Schulen sind die Gesichter und Slogans der zwölf Kandidierenden | |
zu sehen, die für die erste Runde am 10. April im Rennen sind. Allen voran, | |
gemäß Umfragen im buchstäblichen Sinne, der Amtsinhaber Emmanuel Macron. | |
Rund 70 Prozent der Französinnen und Franzosen würden heute darauf wetten, | |
dass er für weitere fünf Jahre gewählt wird. Genau das sagen auch sämtliche | |
Politologen und Meinungsforscher voraus. | |
Und da der Ausgang der Wahl bereits festzustehen scheint, sinkt das | |
Interesse am Wahlkampf. Zudem gibt es nicht wenige Französinnen und | |
Franzosen, die aus Prinzip oder aus Wut nie oder nicht mehr wählen wollen – | |
einmal mehr rechnet man mit einer großen Zahl an Enthaltungen. | |
Viele Bürger*innen Frankreichs antworten auf die Frage, ob sie sich für | |
die Wahlen interessieren, dass die Kampagnen an ihren eigentlichen | |
Forderungen und Erwartungen vorbeigehe. Die Hauptsorge in Frankreich ist | |
heute die sinkende Kaufkraft und die Angst vor dem Krieg. Doch auf diesem | |
Terrain erscheinen ihnen die Kandidierenden wenig überzeugend und noch | |
weniger repräsentativ. Wie schon bei früheren Wahlen fühlen sich vor allem | |
die Bürger*innen in entlegenen ländlichen Gebieten oder den | |
Stadtrandgebieten, der Banlieue, von den Politikern im „Wasserkopf“ Paris | |
ignoriert. Und Paris ist bekanntlich nicht Frankreich. | |
„Im ersten Durchgang wählst du, im zweiten eliminierst du“, lautete bei den | |
Präsidentschaftswahlen die Devise, seitdem eine Mehrheit der | |
Wahlberechtigten den wenig motivierenden Eindruck hat, dass sie am Ende | |
jeweils nur noch für ein „kleineres Übel“ stimmen kann. Das ist eigentlich | |
seit dem Jahr 2002 so, als sich zur Überraschung der meisten nicht [1][der | |
Sozialist Lionel Jospin], sondern der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen | |
für die Stichwahl gegen den amtierenden Präsidenten Jacques Chirac | |
qualifizieren konnte. | |
Frustriert und ohne Begeisterung legten dann die meisten | |
Linkswähler*innen ihren Chirac-Wahlzettel in die Urne, weil sie | |
wenigstens Le Pen verhindern wollten. Auch in diesem Jahr dürfte sich das | |
Szenario wiederholen, da der Präsident eine breite politische Mitte besetzt | |
und seine wichtigsten Gegner eher als extremistisch eingestuft werden. | |
Aus dem benachbarten Ausland betrachtet scheint die Aussicht, dass | |
Frankreich höchstwahrscheinlich und ohne Risiko eines abrupten politischen | |
Wechsels weiterhin von Macron präsidiert wird, eher beruhigend zu sein. Mit | |
Macron, das weiß man in den EU-Partnerstaaten, droht weder ein „Frexit“ | |
noch ein Austritt aus der Nato. | |
Man kennt vielmehr seine ehrgeizigen Ziele bezüglich der „europäischen | |
Souveränität“ im Bereich der Verteidigung, der Industrie und der | |
Energieversorgung. Und in der Regel wird die Suppe dann in Brüssel nicht so | |
heiß ausgelöffelt, wie sie Macron in Paris angerichtet hat. Die Perspektive | |
einer Kontinuität dürfte zumindest für diejenigen in Europa, die aus | |
Frankreich keinen Druck zu einer echten Wende wünschen, willkommen sein. In | |
Frankreich dagegen kommt Langeweile auf. | |
Macron hat seinen Wunsch nach einer zweiten Amtszeit zur Fortsetzung seiner | |
Innen- und Außenpolitik in einem Brief an seine Landsleute ausgeführt. Er | |
beschränkt seine persönlichen Auftritte in der Zeit vor dem 10. April auf | |
eine einzige große Veranstaltung im Pariser Businessviertel La Défense. Für | |
seine auf ein striktes Minimum reduzierte Kampagne hat er eine Ausrede: Er | |
sei mit der EU- und Außenpolitik, namentlich mit seiner Telefondiplomatie | |
als Vermittler zwischen den Präsidenten Putin und Selenski, derzeit so sehr | |
ausgelastet, dass er für Debatten mit seinen innenpolitischen Konkurrenten | |
keine Zeit erübrigen könne. | |
Doch ist eine Wahl ohne wirkliche Debatte legitim? Das fragt kein | |
Geringerer als der französische Senatspräsident [2][Gérard Larcher]. Er | |
unterstützt zwar offiziell (in Wirklichkeit aber ziemlich halbherzig) die | |
konservative Kandidatin Valérie Pécresse, bisher aber stand er dem | |
Präsidenten stets loyal gegenüber. | |
Dennoch wird es wenigstens in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlsonntag | |
spannend, denn da geht es um den zweiten Platz: Wer wird in der Stichwahl | |
gegen Macron antreten und am 20. April das Fernsehduell gegen ihn | |
bestreiten? Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement national hat wie | |
schon vor fünf Jahren die größten Chancen. | |
Seit Monaten liegt sie in den Wahlumfragen zwar deutlich hinter dem | |
Präsidenten, fast ebenso klar aber vor ihren Rivalen. Nur Jean-Luc | |
Mélenchon, der linke Kandidat von La France insoumise, kann sie eventuell | |
noch einholen und sogar überrunden. Mélenchon versucht darum alles, um | |
Sympathisanten der übrigen linken Kandidat*innen abzuwerben, indem er | |
sich ihnen als einzige „nützliche Wahl“ verkauft. | |
Derzeit steht Mélenchon bei rund 15, Le Pen bei 20 Prozent. Und beide klar | |
hinter Macron, dem 28 bis 30 Prozent vorausgesagt werden. Der grüne Yannick | |
Jadot liegt weiterhin bei etwa 6 Prozent auf verlorenem Posten. Und die | |
Sozialistin Anne Hidalgo befindet sich mit vermutlich nur 2 bis 3 Prozent | |
noch hinter oder gleichauf mit dem Kommunisten Fabien Roussel, in derselben | |
Kategorie der Randfiguren wie Philippe Poutou und Nathalie Arthaud, die für | |
zwei verschiedene trotzkistische Parteien kandidieren und je kaum mehr als | |
1 Prozent erreichen dürften. | |
Für die Grünen (EELV), die sich noch bei den Europa- und Kommunalwahlen als | |
Sieger feiern ließen, sind die Präsidentschaftswahlen immer etwas | |
kompliziert. Dennoch bleibt es erstaunlich, dass sich ihr Kandidat Jadot | |
trotz der Aktualität der Klima- und Energiewende nicht mehr Gehör | |
verschaffen konnte. Selbst im Bereich der Umweltpolitik scheint Mélenchon | |
ihn ausgestochen zu haben. | |
Natürlich würde ein Etappensieg des linken Volkstribuns Mélenchon gegen Le | |
Pen für die Schlussdebatte der Wahlen und die Zeit danach einiges ändern. | |
Macron, der in seiner ersten Amtszeit einen liberalen Mitte-rechts-Kurs | |
verfolgt hat, müsste sich gegen einen linken Gegner mit ganz anderen | |
sozialpolitischen und radikalen Ideen für eine Verfassungsänderung | |
behaupten, statt auf die ewig gleichen nationalistischen und | |
fremdenfeindlichen Argumente der Rechten antworten zu müssen. | |
Auch die Ausgangslage für die Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung | |
im Juni würde sich völlig verändern. Bisher allerdings steht die | |
französische Linke durch ihre Spaltung zutiefst geschwächt da, während die | |
Rechte auf eine historische Revanche hofft. | |
Diese reaktionäre, nationalistische und EU-feindliche, antimuslimische und | |
zum Teil offen rassistische Rechte, repräsentiert durch Marine Le Pen und | |
zwei andere Kandidaten, Eric Zemmour und Nicolas Dupont-Aignan, hat | |
jedenfalls lange die Wahldebatte fast in Gänze dominiert. Laut Umfragen war | |
das rechtsextreme Lager noch nie so stark. Falls die Voraussagen der | |
Institute zutreffen sollten, ziehen die drei zusammengezählt ein Drittel | |
der Stimmen an sich, was für Frankreich, das sich weiterhin auf die | |
humanistischen Grundwerte der Aufklärung und der Revolution beruft, | |
bedenklich oder gar peinlich wäre. | |
Für die Konservative Valérie Pécresse blieb zwischen dieser lautstarken und | |
auftrumpfenden Rechten und dem aus der Mitte nach rechts abgleitenden | |
Macron nur wenig Platz. Zudem hat sie mit ihren ersten Auftritten ihre | |
Kampagne von Beginn an so sehr verpatzt, dass eine ganze Reihe Kollegen von | |
Les Républicains (LR) sie im Stich gelassen haben oder sogar offen zu | |
Macron überlaufen, während einige wenige Le Pen oder Zemmour vorziehen. | |
Die konservative Partei LR steht nach diesem Wahlkampf vor einer Krise, wie | |
sie die ehemalige Regierungspartei der Sozialisten bereits seit ihrer | |
Niederlage von 2017 kennt. Mit seinem absehbaren Sieg und seiner Wiederwahl | |
am 24. April wird Macron nicht nur seine „Reformpolitik“, sondern auch sein | |
vor fünf Jahren begonnenes Werk des Abbruchs der traditionellen Parteien zu | |
Ende führen. | |
2 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Lionel_Jospin | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%A9rard_Larcher | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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