# taz.de -- Wahl in Niederösterreich: Beben in St. Pölten | |
> Schlappe für Österreichs Kanzlerpartei: Im wichtigen Bundesland | |
> Niederösterreich verliert die ÖVP ihre absolute Mehrheit. Gewinnerin ist | |
> die rechte FPÖ. | |
Bild: FPÖ-Spitzenkandidat Landbauer (r.) mit Parteichef Kickl nach der Wahl am… | |
WIEN taz | In Österreichs größtem Bundesland bleibt politisch kein Stein | |
auf dem anderen. Bei den Landtagswahlen in Niederösterreich hat die | |
Kanzlerpartei ÖVP am Sonntag nicht nur ihre absolute Mehrheit im Landtag | |
eingebüßt, sondern wird auch in der künftigen Landesregierung nur mehr 4 | |
(bisher 6) Sitze beschicken können. Ihre seit dem Zweiten Weltkrieg | |
verteidigte Allmacht ist damit gebrochen. | |
Auswirkungen auf die Bundespolitik werden nicht ausbleiben, da | |
Niederösterreich das wichtigste Machtzentrum der Bundes-ÖVP ist. Die | |
Bestellung des Innenministers ist de facto eine niederösterreichische | |
Erbpacht. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer und Nationalratspräsident | |
Wolfgang Sobotka haben das politische Geschäft in der Landeshauptstadt St. | |
Pölten gelernt. | |
Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner schloss einen Rücktritt am Sonntag aus | |
und machte für die Schlappe „eine Protestbewegung, die über das Land | |
gerollt ist“, verantwortlich. Internationale Krisen und die Unbeliebtheit | |
der Bundesregierung seien schuld. Eigene Fehler ihrer Partei, die sich als | |
gleichsam natürliche Vertreterin der Interessen des Bundeslandes | |
inszeniert, wollte sie nicht erkennen. | |
Nachwahlbefragungen ergaben, dass die Themen Teuerung, Energie und | |
Zuwanderung eine Rolle gespielt hatten. Österreichs Bundesländer haben in | |
diesen Bereichen keine oder nur sehr geringe Kompetenzen. Auch die | |
Korruptionsaffären der Bundes-ÖVP und der hausgemachte Filz der seit | |
Jahrzehnten selbstherrlich regierenden Landespartei hatten Einfluss auf den | |
Wahlausgang. | |
## Stimmen wanderten zur FPÖ | |
Die von Mikl-Leitner mit mindestens 40 Prozent der Stimmen sehr niedrig | |
gelegte Latte wurde mit 39,9 Prozent knapp unterschritten. Das bedeutet | |
einen Verlust von einem Fünftel der Wählerschaft von 2018 (49,6 Prozent). | |
Die Stimmen wanderten fast eins zu eins zur FPÖ, die um 10 Prozentpunkte | |
zulegte und mit 24,2 Prozent jetzt zweite Kraft im Landtag und damit die | |
klare Wahlgewinnerin ist. | |
Als Protestpartei, die Anti-Pandemiemaßnahmen für despotisch erklärte und | |
die von der ÖVP geschürte Angst vor Asylwerbern für sich nutzte, konnte sie | |
von der internationalen Krisenentwicklung am meisten profitieren. | |
Katastrophal endete der Wahltag für die Sozialdemokraten, die ihr | |
historisch schlechtestes Ergebnis von 2018 noch deutlich unterboten und von | |
23,9 auf 20,7 Prozent absackten. Landesparteichef Franz Schnabl, der im | |
Wahlkampf noch den Anspruch auf den Landeshauptmannsessel gestellt hat, | |
wird das politisch kaum überleben. | |
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wird parteiintern unter Druck kommen. | |
Gegen den Trend fiel das Ergebnis in der Gemeinde Traiskirchen aus, wo der | |
SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler einen betont linken | |
Vorzugsstimmenwahlkampf führte und die rote Mehrheit um fast 4 | |
Prozentpunkte auf 46,6 Prozent ausbauen konnte. Traiskirchen, südlich von | |
Wien, mit seinem Erstaufnahmelager ist die Gemeinde, wo die meisten | |
Flüchtlinge untergebracht sind. | |
Zufrieden zeigten sich die Grünen, die auf 7,6 Prozent knapp zulegen | |
konnten und damit ein viertes Mandat im 56-sitzigen Landtag bekommen. Damit | |
erhalten sie Fraktionsstatus und dürfen künftig Anträge einbringen. Die | |
liberalen Neos stagnieren mit leichten Zugewinnen bei drei Mandaten. | |
## Keine blau-rote Allianz | |
ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die die letzten Wochen das | |
Schreckgespenst einer blau-roten Allianz von FPÖ und SPÖ an die Wand gemalt | |
hatte, freute sich, zumindest dieses Wahlziel erreicht zu haben: FPÖ (14 | |
Mandate) und SPÖ (12) haben keine gemeinsame Mehrheit im Landtag, um einen | |
ihrer Spitzenkandidaten zum Landeshauptmann zu machen. Und Grüne oder Neos | |
wären schlecht beraten, würden sie mit der FPÖ stimmen. Deren Frontmann Udo | |
Landbauer hat in einer ersten Reaktion ausgeschlossen, mit Mikl-Leitner | |
zusammenzuarbeiten: „Sie hat in den letzten fünf Jahren bewiesen, dass sie | |
es nicht kann.“ | |
Zusammenarbeit wird es trotzdem geben müssen, denn das in der | |
Landesverfassung verankerte Proporzsystem garantiert jeder Partei, die mehr | |
als 10 Prozent erreicht, mindestens einen Posten in der Landesregierung. Im | |
Falle der FPÖ werden es drei sein. Statt Koalitionen werden | |
Arbeitsübereinkommen geschlossen, die ein Regieren ohne Obstruktion | |
ermöglichen. | |
Alles deutet darauf hin, dass die SPÖ sich dafür andienen wird. Franz | |
Schnabl könnte damit seinen Posten als Landeshauptfrau-Stellvertreter | |
behalten und sich so eine innerparteiliche Personaldiskussion ersparen. | |
Mikl-Leitner will auch auf die FPÖ zugehen. | |
30 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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