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# taz.de -- Verhaltensnote in der Schule: Mohammed ist ein Urteil
> Wenn sich Schüler mit Migrationshintergrund auffällig verhalten, dann
> steckt oft mehr dahinter als ein schlechter Wille.
Bild: Der Name einer Schülerin oder eines Schülers reicht aus, um Ressentimen…
Hätte ich bei der Notenkonferenz letztes Jahr ein Trinkspiel gespielt, bei
dem ich bei jedem nicht österreichisch klingenden Bubennamen, dem eine
[1][schlechte Verhaltensnote eingetragen] wurde, einen Schluck genommen
hätte – man hätte mich nach Hause tragen müssen.
Wobei ich nach der Erkenntnis, dass alle Burschen mit Migrationshintergrund
anscheinend nur negativ im Unterricht auffallen, einen Drink gebrauchen
könnte. „Kevin ist kein Name, Kevin ist eine Diagnose“, heißt es in
Deutschland. „Mohammed ist kein Name, Mohammed ist ein Urteil“, könnte es
in Österreich lauten. „Der Lobenswerte“ bedeutet der Name „Mohammed“ a…
Arabisch, auf Österreichisch bedeutet er genau das Gegenteil.
Schüler mit Migrationshintergrund gelten überproportional oft als
Störenfriede, Mobber, Lehrerschreck. Vor Klassen, in denen überwiegend
Burschen mit Migrationshintergrund sitzen, haben alle Angst. [2][Ihnen eilt
ein Ruf voraus], man wird gewarnt, bevor man die Klasse betritt. Und
natürlich geht die sich selbst erfüllende Prophezeiung auf: Lehrer*innen
gehen vorurteilsbehaftet in die Klasse und wundern sich, dass sie bestätigt
wieder herauskommen.
Auch ich musste mich schon intensiver mit Schülern mit
Migrationshintergrund beschäftigen. Sich mit jungen Menschen
auseinanderzusetzen, gehört zum Job als Pädagogin. In Gesprächen mit ihnen
stellte sich schnell heraus, woher ihr Verhalten rührt.
## Mit ihm statt über ihn sprechen
Daheim gibt es kein Geld, sie müssen die Eltern auf Amtswege begleiten und
übersetzen, manchmal über die Geschwister wachen, bekommen selbst aber
nirgends Unterstützung. Sie glauben, ein veraltetes Männlichkeitsbild
aufrechterhalten zu müssen, und werden gleichzeitig von der
Mehrheitsgesellschaft dafür verachtet. Menschen setzen sich in der U-Bahn
von ihnen weg, Politik und Medien haben sie längst abgeschrieben. Wie
sollen sie in der Schule brave Kinder sein, wenn sie nie eine Kindheit
hatten?
Sie treffen oft auf Lehrpersonen, die ihre Lebenswelt nicht kennen, weil
sie selbst bürgerlich behütet aufgewachsen sind und ihr Verhalten
persönlich nehmen. Weil sich diese Burschen so pseudomännlich verhalten,
vergessen viele Lehrer*innen, dass da keine erwachsenen Männer, sondern
junge Burschen hinter der Fassade stecken.
Burschen aus Familien, in denen psychische Erkrankungen oft ein Tabu sind.
Die Eltern gehen mit ihren Söhnen nicht zur Psychotherapie, wenn die sich
auffällig verhalten. Wie viele von diesen „problematischen“ Burschen
womöglich ADHS, ein Burnout oder eine posttraumatische Belastungsstörung
haben, die unbehandelt bleibt? Das sollten Lehrer*innen berücksichtigen,
wenn sie sich über Mohammeds Verhalten im Lehrerzimmer echauffieren.
Statt über ihn zu sprechen, sollten sie lieber mit ihm und der
Sozialarbeiterin oder Schulpsychologin reden. Der harten Art der Burschen
mit Härte zu begegnen, erhöht lediglich das Eskalationspotenzial.
17 Feb 2020
## LINKS
[1] /Zeugnisse-in-NRW/!5188239
[2] /Diskriminierung-an-Schulen-in-Berlin/!5576898
## AUTOREN
Melisa Erkurt
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Nachsitzen
Schwerpunkt Armut
Diskriminierung
Schule
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Kolumne Nachsitzen
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