# taz.de -- Vergiftungen im Harz: Zu viel Blei im Blut | |
> Eine Studie stellt hohe Werte bei Grundschulkindern in Nordharz-Gemeinden | |
> fest. Als Verursacher kommt nicht nur der historische Bergbau infrage. | |
Bild: Knapp die Hälfte der Grundschüler:innen in Oker und Harlingerode haben … | |
GÖTTINGEN taz | Durch [1][Bergbau und Metallhütten sind im nördlichen Harz] | |
viele giftige Schwermetalle in die Umwelt gelangt. [2][Eine aktuelle Studie | |
bestätigt jetzt Befürchtungen, dass die Belastungen bis heute anhalten]: | |
Bei knapp der Hälfte der Grundschüler:innen aus den Ortschaften Oker | |
und Harlingerode (beide Kreis Goslar), die im November des vergangenen | |
Jahres Proben für die Untersuchung abgegeben hatten, stellten | |
Forscher:innen Bleikonzentrationen im Blut fest, die teils deutlich über | |
dem aktuellen bundesweiten Referenzwert liegen. Zum Vergleich: | |
[3][Deutschlandweit ist es das bei etwa fünf Prozent der Kinder der Fall.] | |
Dieser Referenzwert ist ein Vergleichswert. Er beträgt bei Mädchen zwischen | |
drei und 17 Jahren sowie bei Jungen zwischen elf und 17 Jahren 15 | |
Mikrogramm Blei pro Liter. Bei drei- bis zehnjährigen Jungen sind es 20 | |
Mikrogramm, bei erwachsenen Frauen 30 und bei erwachsenen Männern 40 | |
Mikrogramm pro Liter. | |
Beim Cadmium, das in Urinproben der Probanden gemessen wurde, waren die | |
Werte nach Angaben des Landkreises Goslar lediglich bei drei Prozent der | |
Kinder gegenüber dem Referenzwert erhöht. Bei den Erwachsenen bewegten sich | |
die Bleiwerte bei zwölf Prozent der Probanden über dem Referenzwert, bei | |
Cadmium traf dies auf sieben Prozent der Befunde zu. | |
## Keine Erdbeeren anpflanzen | |
[4][Blei kann Krebs auslösen und besonders bei Kindern die Hirnfunktion | |
schädigen], Cadmium die Nieren angreifen. 89 Grundschulkinder und 124 | |
Erwachsene beteiligten sich an der freiwilligen Studie, knapp 400 Personen | |
war eine Teilnahme angeboten worden. | |
Der Landkreis Goslar hatte die Untersuchung erst nach erheblichem Druck von | |
besorgten Bürger:innen und von Umweltverbänden in Auftrag gegeben, die | |
fachliche Leitung lag bei Forscher:innen der Uni München. Oker und | |
Harlingerode wurden ausgewählt, weil dort weiterhin metallverarbeitende | |
Betriebe ansässig sind. Die Kosten für die Studie beliefen sich auf etwa | |
150.000 Euro. | |
Landrat Alexander Saipa (SPD) räumt ein, dass er sich andere Ergebnisse | |
gewünscht hätte. Andererseits gebe es keinen Anlass für Schwarzmalerei. Im | |
bundesweiten Vergleich seien die gemessenen Bleiwerte zwar leicht erhöht, | |
gleichzeitig sei aber deutlich geworden, dass die Bleibelastung in den | |
zurückliegenden Jahren weiter reduziert werden konnte. | |
Zugleich müssten die Maßnahmen zur Bleireduktion fortgesetzt werden, | |
fordert Saipa. Unter anderem gelten in den belasteten Regionen | |
Empfehlungen, keine Erdbeeren oder Kartoffeln anzupflanzen. | |
## Industrie nicht überproportional beteiligt | |
Die an der Studie beteiligte Münchner Medizinerin Katja Radon weist darauf | |
hin, dass Gründe für eine erhöhte Bleibelastung nicht ausschließlich in der | |
[5][Bergbau-Geschichte] zu suchen seien. Sie könne neben Rückständen aus | |
dem Bergbau auch an alten Bleirohren liegen, hieß es. Der Landkreis bietet | |
den Studienteilnehmern deshalb eine Trinkwasseruntersuchung an. | |
Aus Saipas Sicht stehen die Ergebnisse der Studie jedenfalls nicht im | |
Zusammenhang mit den aktuellen industriellen Nutzungen in Oker und | |
Harlingerode. „In den vergangenen Jahren wurde viel über die Rolle der | |
hiesigen Industrie als umweltschädigende Emittenten diskutiert“, sagt er. | |
Mit umfangreichen Untersuchungen habe jedoch festgestellt werden können, | |
„dass die Belastungen aus dem aktuellen Anlagenbetrieb nicht | |
überproportional ausfallen und Grenzwerte nicht überschritten werden. | |
Insofern wünsche ich mir, dass etwaige Diskussionen in diese Richtung gar | |
nicht erst begonnen werden.“ | |
## Besorgniserregende Gift-Werte | |
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt indes vor | |
einer Verharmlosung. „Wir hatten erhöhte Werte befürchtet, daher haben wir | |
ja die Studie eingefordert, sind aber selbst über die Höhe der Werte | |
überrascht“, sagte Friedhart Knolle vom BUND-Westharz der taz. | |
Die Untersuchung lasse zudem viele Fragen offen: „Warum nur Blei und kaum | |
Cadmium? Warum nur die Schüler und nicht die Erwachsenen? Wie ist der | |
Verbreitungspfad der Schwermetalle? Ist es eine industrielle Punktquelle | |
oder sind es die diffusen Quellen?“ Es helfe wenig, „wenn der Landrat jetzt | |
schon Entwarnung gibt oder das jedenfalls versucht“. Die Ursachenforschung | |
müsse jetzt intensiviert werden, verlangt Knolle: „Das sind wir den | |
EinwohnerInnen von Oker und Harlingerode schuldig.“ | |
In der Zinkhütte Harlingerode wurde bis zum Jahr 2000 Zink aus Erz und | |
Recyclingrohstoffen produziert. Die Zinkoxydhütte Oker stellte aus | |
Schlacken und Rückständen anderer Metallbetriebe Zinkoxid her, einen | |
Ausgangsstoff für Farben und andere chemische Produkte. Von 1527 bis 1970 | |
war außerdem die Bleihütte Oker in Betrieb. In der Region sind weitere | |
Fabriken und Müllverbrennungsanlagen ansässig, die mit | |
gesundheitsschädlichen Substanzen hantieren. | |
In Unterlagen des Gewerbeaufsichtsamts Braunschweig fand der BUND nach | |
eigenen Angaben teilweise alarmierende Messergebnisse: Grenzwerte für das | |
hochgiftige Dioxin in der Abluft seien teilweise um das 18-fache | |
überschritten worden. | |
31 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Pumpspeicherkraftwerk-fuer-den-Harz/!5123417 | |
[2] https://www.landkreis-goslar.de/index.phtml?object=tx%2C1749.10&ModID=7… | |
[3] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/dokumente/bl… | |
[4] /Weniger-Blei-im-Essen/!5792738/ | |
[5] /Ein-Pumpspeicherkraftwerk-fuer-den-Harz/!5123417 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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