| # taz.de -- Verbrechen unter Stalin: Gruben des Grauens | |
| > Nahe der ukrainischen Hafenstadt Odessa finden Experten die Überreste | |
| > Tausender Menschen. Sie sollen Opfer des sowjetischen Geheimdienst NKWD | |
| > sein. | |
| Bild: Immer noch vielfach verehrt: Josef Stalin. Der „Große Terror“ kostet… | |
| Kiew taz | Nur wenige Hundert Meter von dem neuen Flughafen der | |
| ukrainischen Hafenstadt Odessa entfernt ist jetzt ein Massengrab mit Opfern | |
| der [1][Stalin-Zeit] entdeckt worden. Dies berichtete Sergei Guzaljuk, Chef | |
| des Ukrainischen Instituts für nationales Gedenken im Gebiet Odessa, der | |
| taz telefonisch. Derzeit habe man auf dem Gelände 29 Gruben ausgemacht, vor | |
| denen Häftlinge in der Zeit des Stalin-Terrors (1937–1941) erschossen | |
| worden seien, so Guzaljuk. | |
| Glücklicherweise habe die Stadt Odessa extra Mittel bereitstellen können, | |
| mit denen sich nun die Arbeiten auf dem fünf Hektar großen Gelände | |
| finanzieren ließen, so Guzaljuk. Zunächst müsse man sich ein Bild vom | |
| Ausmaß des Terrors an diesem Ort machen. Und dann müsse entschieden werden, | |
| ob die sterblichen Überreste einer DNS-Analyse unterzogen und sie | |
| umgebettet werden sollen. | |
| Eine andere Möglichkeit sei, ähnlich wie in Bykiwnja, eine Gedenkstätte am | |
| Massengrab unter Einbeziehung aller Religionsgemeinschaften zu errichten. | |
| Bykiwnja ist ein Wald in der Nähe von Kiew, in dem sich die sterblichen | |
| Überreste 130.000 in der Stalin-Zeit Ermordeter befinden. | |
| Das Problem jedoch ist, dass sich alle Dokumente des damaligen sowjetischen | |
| Geheimdienstes NKWD, der die Massenhinrichtungen vollstreckt hatte, in | |
| Moskau befinden. Das betrifft die Listen der Erschossenen genauso wie | |
| Aufzeichnungen über die Örtlichkeiten der Hinrichtungsstätte. | |
| ## Unerklärter Krieg | |
| „An diese Dokumente kommen wir nicht heran“, so Guzaljuk. „Zum einen, weil | |
| Russland die KGB/NKWD-Archive immer noch unter Verschluss hält, zum | |
| anderen, weil Russland gegen uns einen unerklärten Krieg führt“. Erst wenn | |
| es in Moskau eine andere Regierung gebe, könne eine Zusammenarbeit in | |
| diesen Fragen möglich werden. | |
| Dass nun ukrainische Behörden sich des Massengrabes am Stadtrand von Odessa | |
| angenommen haben, ist vor allem der Initiative des Historikers und | |
| Tourguides Olexander Babitsch zu verdanken, der in rumänischen Dokumenten | |
| geforscht hatte. Am 16. Oktober 1941 hatten deutsche und mit ihnen | |
| verbündete rumänische Truppen Odessa besetzt. Anschließend stand Odessa | |
| unter rumänischer Besatzung. | |
| Die Arbeit sei sehr mühselig, erklärte Babitsch gegenüber dem Portal von | |
| Radio Svoboda. Alles müsse von Hand gemacht werden, der Einsatz von Baggern | |
| verbiete sich. Zur Identifikation einer Person brauche man einen Tag. | |
| Babitsch geht von 8.000 sterblichen Überresten aus. | |
| Die Entdeckung des Massengrabes kommt nicht unerwartet. Schon die | |
| rumänischen Besatzer hatten Anfang der 40er-Jahre in Zusammenarbeit mit dem | |
| Odessiten und Gerichtsmediziner Alexander Birkle auf diesem Gelände die | |
| Überreste von 3.500 Menschen entdeckt, von denen 486 (7 Frauen und 479 | |
| Männer) gerichtsmedizinisch untersucht worden waren. Alle waren mit einem | |
| Kopfschuss aus allernächster Nähe hingerichtet worden, ihre Hände waren zum | |
| Zeitpunkt des Todes gefesselt gewesen. Diese Kommission hatte damals die | |
| Exekutionen auf 1938 datiert. | |
| ## Weitere Exhumierung | |
| Dann erinnerte man sich erst wieder 2007 des Ortes. Erneut wurden | |
| sterbliche Überreste exhumiert, dieses Mal von 1.086 Personen. Aufgrund der | |
| bei den Knochen gefundenen Habseligkeiten legte man den Zeitpunkt der | |
| Erschießungen auf 1937 und 1938 fest. | |
| Zwischen 100 und 150 Menschen seien 1937 und 1938 jeden Tag in Odessa | |
| erschossen worden, berichtet das Odessaer Online-Portal dumskaya.net in dem | |
| Artikel „Wo ist dein Bruder Abel?“ vom November 2020. | |
| Der dumskaya.net liegt ein von dem sowjetischen Innenminister Nikolai | |
| Jeschow und dem sowjetischen Staatsanwalt Andrei Wyschinskij | |
| unterschriebenes Protokoll vom 17. November 1937 vor, in dem die | |
| Hinrichtung von 92 Bewohnern des Gebietes Odessa angeordnet wird. Fast | |
| alle tragen deutsche Namen und stammen aus Siedlungen im Gebiet Odessa mit | |
| Namen wie Grossliebental, Manheim sowie Neuburg. | |
| 26 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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