# taz.de -- Urteil gegen Deniz Yücel in der Türkei: Gefängnis für die Meinu… | |
> Wegen „Terrorpropaganda“ wird Deniz Yücel in Istanbul zu fast drei Jahren | |
> Haft verurteilt. Das sei ein politisches Urteil, erklärt der Journalist. | |
Bild: Denis Yücel verfolgt die Verkündung des Urteils im Newsroom seines Arbe… | |
ISTANBUL taz | Ein türkisches Gericht hat den deutschen Journalisten Deniz | |
Yücel am Donnerstag zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, 9 Monaten und 22 | |
Tagen verurteilt. Yücel wurde [1][für schuldig befunden], mit seinen | |
Artikeln Propaganda für die „Terrororganisation“ kurdische Arbeiterpartei | |
(PKK) betrieben zu haben. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und Unterstützung | |
der Gülen-Bewegung, die in der Türkei als Terrororganisation „FETÖ“ | |
firmiert, wurde er freigesprochen. | |
Gleichzeitig folgte das Gericht aber einem Antrag des Staatsanwalts, wegen | |
eines Artikels vom November 2016, in dem Präsident Recep Tayyip Erdoğan als | |
Putschist bezeichnet wird, ein neues Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung | |
einzuleiten. | |
Der frühere Türkei-Korrespondent der Welt war bei der Urteilsverkündigung | |
nicht selbst anwesend. Nach einem [2][Jahr in Untersuchungshaft] war Deniz | |
Yücel nach einer beispiellosen Solidaritätskampagne in Deutschland, die zu | |
massivem politischen Druck durch die Bundesregierung geführt hatte, im | |
Februar 2018 entlassen worden. | |
Er war sofort aus der Türkei ausgereist. Seine Inhaftierung, der die | |
Verhaftungen der ebenfalls deutschen Journalistin Meşale Tolu und des | |
deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner folgten, hatte zu einer | |
tiefgreifenden Krise zwischen Deutschland und der Türkei geführt. | |
Nur ein Element der Repressionskampagne | |
Die Verhaftungen europäischer Journalisten in der Türkei waren nur ein | |
Element einer groß angelegten Repressionskampagne der Regierung Erdoğan. | |
Nach dem Putschversuch Ende Juli 2016 ließ der Präsident den | |
Ausnahmezustand verhängen. Die folgenden 18 Monate, in denen die | |
Notstandsregelung in Kraft blieb, nutzte er, um Regierungskritiker | |
auszuschalten, Medien zu schließen und Journalisten wie Akademiker zu | |
inhaftieren oder mindestens aus ihren Jobs feuern zu lassen. | |
Yücel geriet spätestens im Herbst 2016 ins Visier der Staatsanwaltschaft. | |
Wie andere Journalisten berichtete er damals über eine Aktion linker | |
Hacker, die das Handy von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak geknackt | |
hatten. Als bekannt wurde, dass deswegen nach Yücel gefahndet wurde, begab | |
dieser sich in den Schutz der Deutschen Botschaft. | |
Hinter den Kulissen wurde da intensiv über eine Ausreise des | |
Welt-Korrespondenten verhandelt. Die türkische Seite bestand allerdings | |
darauf, dass er sich zunächst den Behörden stellen müsse. Laut | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel war zugesagt worden, dass man Yücel fair und | |
rechtsstaatlich behandeln würde. | |
Stattdessen ließ ein Untersuchungsrichter ihn im Februar 2017 bei einem | |
Haftprüfungstermin festnehmen. Während Freunde und Unterstützer damit | |
rechneten, dass er in wenigen Tagen entlassen werde, brachte man ihn in das | |
größte türkische Gefängnis für politische Gefangene in Silivri, westlich | |
von Istanbul. | |
Druckmittel gegen Bundesregierung | |
Damit begann ein zwölfmonatiger Nervenkrieg, der durch die Inhaftierungen | |
von Tolu und Steudtner weiter angeheizt wurde. Öffentliche Äußerungen von | |
Erdoğan, der Yücel als Terroristen und Agenten anprangerte, ließen nichts | |
Gutes ahnen. Es war klar, dass die türkische Seite mit den Gefangenen Druck | |
auf die Bundesregierung ausüben wollte, um sie eventuell gegen geflüchtete | |
„Putschisten“, die in Deutschland um Asyl gebeten hatten, auszutauschen. | |
Weil Yücel aus dem Gefängnis heraus mehrfach deutlich machte, dass er nicht | |
Teil eines „Deals“ sein wolle, verzögerte sich eine Lösung in seinem Fall | |
immer weiter. Erst der Einsatz von Gerhard Schröder brachte die Wende. Der | |
Altkanzler, der bis heute einen guten Draht zu Erdoğan hat, traf sich auf | |
Bitte der Bundesregierung mit dem türkischen Präsidenten. Obwohl es keinen | |
erkennbaren Deal gab, entspannte sich das deutsch-türkische Verhältnis nach | |
der Freilassung von Yücel merklich. | |
Zahlreiche türkische Journalisten, Intellektuelle und Menschenrechtler | |
hingegen sitzen noch immer in Haft. Zwei der Prominentesten, der Journalist | |
Ahmet Altan und der Kulturmäzen Osman Kavala, befinden sich seit fast vier | |
Jahren im Gefängnis, obwohl sie von Gerichten freigesprochen oder aus der | |
U-Haft entlassen wurden. Auf Anordnung des Präsidenten wurden beide | |
umgehend wieder verhaftet. | |
Mit dem Urteil blieb das Gericht zwar deutlich unter der Forderung des | |
Staatsanwalts, der Yücel für 16 Jahre im Gefängnis sehen wollte. Allerdings | |
setzte es sich auch über eine Stellungnahme des türkischen | |
Verfassungsgerichts hinweg. Dieses hatte erklärt, Yücels | |
Untersuchungshaft sei unrechtmäßig und alle seine Artikel seien von der | |
Meinungsfreiheit gedeckt gewesen. | |
In einer Stellungnahme in der Welt erklärte Yücel am Donnerstag, das sei | |
„ein politisches Urteil, wie die ganze Geschichte meiner Verhaftung | |
politisch war“. Dass das Gericht sich außerdem über das Verfassungsgericht | |
hinwegsetze, um den Staatspräsidenten nicht bloßzustellen, zeige, „wie es | |
um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei bestellt ist“. Abschließend sagte | |
Yücel, das Urteil sei im „letztlich egal. Es hat auch keine praktischen | |
Konsequenzen mehr.“ Dennoch will sein Anwalt Veysel Ok Berufung einlegen. | |
16 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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