| # taz.de -- Untersuchungsausschuss in Wien: Wir fahren nach Ibiza | |
| > Inwieweit war der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache an | |
| > Korruption beteiligt? Dabei wird auch die Rolle führender ÖVP-Politiker | |
| > untersucht. | |
| Bild: Strache beim Untersuchungsausschuss | |
| Heinz-Christian Strache ist eigentlich ein gesprächiger Typ. Er redet gern | |
| und viel und bedient sich häufig auch deftiger Formulierungen, die | |
| absichtlich den Standards der Political Correctness zuwiderlaufen. Am | |
| Donnerstagnachmittag vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur | |
| mutmaßlichen Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung – vulgo | |
| „Ibiza-U-Ausschuss“ – gab sich der ehemalige Chef der rechten FPÖ eher | |
| zugeknöpft. Gleich zu Beginn seiner Befragung schickte er voraus, er werde | |
| „kaum“ Aussagen tätigen. Nämlich „um die Ermittlungen nicht zu gefährd… | |
| Wenn Strache im Zusammenhang mit dem [1][Ibiza-Video], das vor einem Jahr | |
| zu seinem Rücktritt als Parteichef und Vizekanzler führte, von | |
| „Ermittlungen“ spricht, dann bezieht er diese nicht auf seine eigene im | |
| Video manifestierte Käuflichkeit. Für ihn ist die zentrale Frage eine | |
| andere: Wer hat ihm diese Falle in Ibiza gestellt und heimlich mitgefilmt? | |
| Im Sommer 2017 hatte er einer „schoafen“ Blondine, die sich als russische | |
| Oligarchennichte ausgab, gegen verdeckte Parteispenden künftige | |
| Staatsaufträge in Aussicht gestellt, wenn sie ihn in die Regierung bringe. | |
| An einer Medienszene „wie beim Orbán“ in Ungarn sei ihm auch gelegen. Daf�… | |
| müsse man in der auflagenstarken Kronen Zeitung „zack, zack, zack“ ein paar | |
| Redakteure entfernen und andere einsetzen. | |
| Wenige Tage nach seinem Rücktritt im Mai vergangenen Jahres war auch die | |
| türkis-blaue Koalition unter Sebastian Kurz Geschichte. Nach nur 17 | |
| Monaten. Strache wurde aus seiner Partei verstoßen und zog sich „endgültig�… | |
| aus der Politik zurück. Vor wenigen Wochen präsentierte er seine neue | |
| Partei, „Team HC Strache“, mit der er im Oktober ins Wiener Rathaus | |
| einziehen will. | |
| ## Missbrauch von Tonaufnahmen | |
| Vor dem U-Ausschuss will sich Strache erst ausführlich äußern, wenn er das | |
| gesamte Video und den Ermittlungsakt kennt. Für ihn ist es das Produkt | |
| eines über Jahre geschmiedeten Plans, ihn politisch zu vernichten: eine | |
| „Ungeheuerlichkeit“. Als einen der Drahtzieher identifizierte er einen | |
| ehemaligen Bodyguard, der belastendes Material gesammelt hat. Die eigene | |
| Rolle sieht er nicht als Ruhmesblatt. Es sei „mit Sicherheit kein | |
| philosophischer Abend“ gewesen. Doch Verwerfliches habe er nicht geäußert. | |
| Nach der Befragung wies er vor der Presse nochmals jeden aus dem Video | |
| resultierenden Vorwurf „vehement zurück“. Strache: „Ich war in meinem | |
| gesamten Leben nie käuflich und habe sämtliche Inhalte immer aus reinem | |
| Idealismus vertreten.“ | |
| Die Hintermänner der Ibiza-Falle sind den Behörden bekannt. Gefahndet wird | |
| noch nach der Schauspielerin, die sich als millionenschwere Russin | |
| vorstellte. Obwohl ihr nicht mehr als „Missbrauch von Tonaufnahmen“, also | |
| ein Verwaltungsvergehen, vorgeworfen wird, hat die Kriminalpolizei ein | |
| Steckbrieffoto veröffentlicht, als handle es sich um eine gefährliche | |
| Schwerverbrecherin. Ihr Gesicht, das in den bisher bekannten Ausschnitten | |
| verpixelt ist, kennt man jetzt, da das gesamte, mehr als sieben Stunden | |
| lange Video Ende April bei einer Hausdurchsuchung auf einer SIM-Karte | |
| gefunden wurde. Aber um die Fallensteller geht es im U-Ausschuss nicht, | |
| außer wenn die FPÖ-Abgeordneten vom eigentlichen Untersuchungsgegenstand | |
| ablenken wollen. | |
| Untersucht wird nicht nur, inwieweit der damalige FPÖ-Chef, aber auch | |
| führende ÖVP-Politiker an Korruption beteiligt waren, sondern auch | |
| parteipolitischer Postenschacher zum Nachteil der Republik. Diese Praxis | |
| wird zunehmend hinterfragt, seit im letzten Jahr bekannt wurde, wie die FPÖ | |
| ihren Parteigänger Peter Sidlo in den Aufsichtsrat der Casinos AG drückte. | |
| Sidlo, bis dahin Bezirksrat im 9. Wiener Bezirk, steht für die schamlose | |
| Einflussnahme der Regierungsparteien auf staatsnahe Unternehmen, weil ihn | |
| ein unabhängiges Gutachten ausdrücklich als „nicht qualifiziert“ eingestu… | |
| hatte. Die Causa Sidlo könnte für die ÖVP auch noch unangenehm werden weil | |
| solche Besetzungen in der ÖVP-FPÖ-Regierung koalitionsintern akkordiert | |
| wurden. | |
| ZackZack, ein von dem ehemaligen Abgeordneten Peter Pilz gegründetes | |
| Onlinemagazin, berichtete am Donnerstag von regelmäßigen Treffen der | |
| Koalitionsspitzen in den Privatwohnungen des damaligen Vizekanzlers Strache | |
| und des Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Dort sei unter anderem die Besetzung | |
| von Posten in Vorständen und Aufsichtsräten der Unternehmen der Republik | |
| ausgehandelt worden. Je nachdem, ob ein Unternehmen in den Einflussbereich | |
| eines „türkisen“ oder eines „blauen“ Ressorts falle, seien diese Funkt… | |
| jeweils im Schlüssel 2:1 von den Parteien beschickt worden. Belegt wird das | |
| durch einen regen E-Mail-Verkehr, der Peter Pilz zugespielt worden war. | |
| Dass ZackZack die Geschichte am Vorabend des U-Ausschuss-Auftakts | |
| veröffentlichte, ist kein Zufall. Pilz sieht die ÖVP als „Mutterpartei des | |
| Proporzes, der Parteibuchwirtschaft, der geheimen Parteienfinanzierung“. | |
| Sie betreibe dieses Geschäft seit über 44 Jahren mit kurzer Unterbrechung. | |
| Pilz zur taz: „Der U-Ausschuss entscheidet, ob es der ÖVP gelingt, sich | |
| mithilfe einiger Groupie-Medien wie Kronen Zeitung und Kurier als Opfer zu | |
| inszenieren oder ob es den Ausschussmitgliedern gelingt, parlamentarischen | |
| Ernst zu machen.“ Strache bestreitet diese Runden nicht und sieht darin | |
| auch nichts Verwerfliches. Er habe sich immer an die Abmachungen gehalten, | |
| „die ÖVP nicht“. | |
| Weiter will sich Strache im U-Ausschuss zu dieser Causa nicht äußern. Auch | |
| zu den geplanten Reformen, die das türkis-blaue Regierungsprogramm beim | |
| Glücksspiel vorgesehen hatte, verweigert er die Aussage. Es besteht nämlich | |
| der Verdacht, dass die Wahl von Peter Sidlo durch den an der Casinos AG | |
| beteiligten privaten Glücksspielkonzern Novomatic durch Zusagen zu einer | |
| Gesetzeslockerung erkauft war. Geschwiegen wurde auch zu den jüngsten | |
| Vorwürfen. Ein E-Mail-Verkehr suggeriert, dass Strache einem Freund, der | |
| eine Privatklinik betreibt, gegen Parteispenden zu Millionen an staatlicher | |
| Hilfe verholfen habe. | |
| Johann Gudenus, der damalige FPÖ-Fraktionschef, der Strache die | |
| Oligarchennichte vermittelt hatte und dann als Dolmetscher diente, wurde | |
| über die parteinahen Vereine befragt, die Strache in Ibiza zur Umgehung | |
| einer Rechnungshofprüfung empfohlen hatte. Sämtliche Vereine, die nun im | |
| Fokus der Berichterstattung stehen, hätten niemals eine Spende an die FPÖ | |
| geleistet. All diese Vereine seien von einem Wirtschaftsprüfer geprüft | |
| worden und es habe demnach keine Spenden an die FPÖ gegeben. Von | |
| parteinahen Vereinen wüssten hingegen „SPÖ und ÖVP ein Liedchen zu singen�… | |
| versuchte Gudenus abzulenken. | |
| ## Dann verweigert Gudenus die Aussage | |
| Immer wenn es spannend wird, also etwa Dokumente vorgelegt werden, die | |
| belegen, wie er Spenden für solche Vereine eingeworben hat, verweigert der | |
| einstige Strache-Kumpan die Aussage. Eindeutige Drohungen, man müsse die | |
| „verdammte FMA“ (Finanzmarktaufsicht) loswerden, erklärt er damit, dass | |
| „Substanzen im Getränk“ gewesen seien, die ihn verwirrt hätten. | |
| Ergiebiger als die Befragung von Strache war der Auftritt von Florian Klenk | |
| am Vormittag. Der Herausgeber der Wochenzeitung Falter war einer der ersten | |
| Österreicher, die das komplette Video zu sehen bekamen. Redakteure der | |
| Süddeutschen hatten ihn seinerzeit hinzugezogen, damit er für Ausländer | |
| schwer verständliche Austriazismen übersetze und bei der Einordnung von | |
| Namen und Institutionen helfe. Klenk war geladen, weil die | |
| Ausschussmitglieder das Video noch nicht kennen. Es wird derzeit von der | |
| Kriminalpolizei unter Verschluss gehalten und soll dem Ausschuss erst in | |
| zwei Wochen zugeleitet werden. | |
| Klenk fand es auffällig, wie Strache immer wieder betont habe, dass er | |
| nicht käuflich sei, dann aber der angeblichen Oligarchin rechtswidrige | |
| Angebote gemacht habe. Die Atmosphäre im Video beschrieb er im Übrigen als | |
| „Hausmeisterstimmung“. Man habe geraucht, getrunken und Nägel gebissen. | |
| Dann habe es Szenen „höchster Anspannung“ gegeben, wo eifrig geredet und | |
| übersetzt wurde. Kokain, das manche auf dem Tisch entdeckt haben wollen, | |
| konnte Klenk nicht sehen. Sein Resümee: „Die ganze Falle baut darauf auf, | |
| dass man austesten wollte, wie weit die Politiker gehen.“ | |
| Relevante, noch nicht bekannte Aussagen habe es noch zum | |
| öffentlich-rechtlichen ORF gegeben. Zunächst ging es um eine Beteiligung | |
| der Oligarchin an der Kronen Zeitung: „Wenn du die Krone hast, hast du | |
| die Meinungshoheit.“ Dann blieben noch „der ORF und der Fellner“. Wolfgang | |
| Fellner steuert um das Gratisblatt Österreich und den Privatsender oe24 ein | |
| kleines Medienimperium. Bei Regierungsbeteiligung „können wir uns sogar | |
| vorstellen, einen Sender zu privatisieren“. Derartige Pläne wurden in der | |
| Koalition tatsächlich ventiliert, die ORF-Reform kam aber nicht zustande, | |
| weil die Koalition wegen des Ibiza-Videos platzte. | |
| Nach dem Auftritt der zwei Protagonisten soll auch untersucht werden, | |
| inwieweit die Spitzen der ÖVP in die mutmaßlichen Skandale verwickelt sind | |
| und ob das ÖVP-geführte Innenministerium an Vertuschung beteiligt war. So | |
| gilt es, der Merkwürdigkeit nachzugehen, dass Straches SMS-Verkehr mit | |
| Bundeskanzler Kurz (ÖVP) von seinem beschlagnahmten Handy gelöscht wurde | |
| und auch in den Akten nicht aufzufinden ist. Der Untersuchungsausschuss hat | |
| noch viel zu tun. | |
| 5 Jun 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=Qztkf6bHkN0 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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