# taz.de -- Untersuchungsausschuss im Fall Amri: „Philipp, das stimmt nicht“ | |
> Versuchte das BKA einen Spitzel mundtot zu machen? Im Bundestag treffen | |
> dazu alle Protagonisten aufeinander und liefern sich eine | |
> Schlammschlacht. | |
Bild: Ein Schatten liegt über dem BKA – hat das Amt wirklich einen Spitzel m… | |
BERLIN taz | Philipp K. gibt sich empört. „Der Vorwurf ist völlig absurd“, | |
sagt der BKA-Kommissar am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des | |
Bundestags zum Fall Anis Amri. Sein Bundeskriminalamt habe einen | |
Informanten mundtot machen wollen, der vor Anis Amri warnte? Gar noch auf | |
Druck des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière? „Das wäre ja | |
ungeheuerlich.“ Nein, sagt Philipp K., das habe es nicht gegeben. „Da ist | |
nichts dran.“ | |
Tatsächlich aber steht momentan genau dieser Vorwurf im Raum – und er | |
richtet sich konkret auch gegen Philipp K. Denn genau er soll am 23. | |
Februar 2016, am Rande einer Besprechung bei der Bundesanwaltschaft in | |
Karlsruhe, gesagt haben, besagter Informant des Landeskriminalamts aus | |
Nordrhein-Westfalen „mache zu viel Arbeit“, er müsse „kaputtgeschrieben�… | |
werden. Und diese Sicht werde auch „von ganz oben“ geteilt, von einem | |
führenden BKA-Kriminaldirektor und von de Maizière. | |
[1][Diesen Vorwurf erhob kürzlich Rasmus M.] im Ausschuss, leitender | |
Kommissar beim Landeskriminalamt NRW. Es folgte einiger Wirbel. Am | |
Donnerstag nun kommt es zum Showdown im Ausschuss: Beide Männer sind als | |
Zeugen geladen. Und beide bleiben auch nach stundenlangen Befragungen bei | |
ihren Versionen. | |
Schon vor der Sitzung hatte BKA-Mann Philipp K. eine dienstliche Erklärung | |
abgegeben: Das beschriebene Vier-Augen-Gespräch habe es nicht gegeben, die | |
Aussagen seien nie gefallen. Auch das Bundesinnenministerium verkündete | |
dies. Diese Version muss Philipp K. nun im Ausschuss auf Nachfragen | |
relativieren. Es könne vielleicht sein, dass es doch ein beiläufiges | |
Gespräch nach dem Treffen gegeben habe, mach dem Treffen, im Flur oder auf | |
der Treppe. Die vorgeworfenen Aussagen seien aber nie gefallen, beteuert | |
der 39-jährige Analyst. Das würde er auch unter Eid aussagen. | |
## Emotionale E-Mails und scharfe Formulierungen | |
Die Abgeordneten haken nach. Immer wieder fragen sie nach der Bewertung des | |
LKA-Informanten aus NRW: der VP01 oder „Murat“. [2][Der Deutschtürke war | |
eine Top-Quelle], weil er sich tief in der islamistischen Szene bewegte. | |
Und „Murat“ warnte schon Anfang 2016 vor Amri: Der Tunesier schwärme von | |
den Paris-Anschlägen, wolle in Deutschland „etwas machen“ und suche nach | |
Kalaschnikows. | |
Philipp K. räumt ein, dass es damals Streit über „Murat“ gab. Das BKA habe | |
den Spitzel nicht für glaubhaft gehalten, weil er gleich in zwei Verfahren | |
in Anschlagsplänen eingeweiht gewesen sein will. „Das hielten wir für so | |
wahrscheinlich, wie zwei Mal in der Woche Lotto zu spielen und zwei mal | |
einen Sechser zu landen“, sagt K. Der Dissenz sei bei dem Treffen in | |
Karlsruhe aber ausgeräumt worden, als das LKA offengelegt habe, dass | |
„Murat“ besonderes Vertrauen in der Szene genoss – weil er sich selbst als | |
anschlagsbereit gab. | |
E-Mails von Philipp K. belegen indes keine Streitbeilegung. Noch am Tag | |
nach der Besprechung in Karlsruhe ätzte K. dort über die „hanebüchenen | |
Bewertungsversuche“ in NRW, deren Vorgehen „grenzt an Lügen“. K. gesteht | |
nun, dass diese E-Mails „sehr emotional“ verfasst waren. Das Problem sei | |
aber gewesen, dass NRW Anis Amri damals, anders als abgesprochen, mit | |
„ungewöhnlich scharfen Formulierungen“ eingestuft habe. Indes: Das LKA | |
hatte mit seiner Einschätzung recht. Denn am 19. Dezember 2016 verübte Anis | |
Amri tatsächlich seinen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz mit 12 | |
Toten. Es war das bisher schwerste islamistische Attentat in Deutschland. | |
## Vehementer Widerspruch und entgeisterte Gesichter | |
Auch die Abgeordneten verweisen auf die letztlich richtige Einschätzung aus | |
NRW. Stunde um Stunde dauert Philipp K.s Befragung, der Beamte wirkt | |
zunehmend dünnhäutig und unwirsch. Als eine Abgeordnete das gute | |
Erinnerungsvermögen von Rasmus M. lobt, zischt er: „Das wage ich zu | |
bezweifeln.“ Und wie komme es, dass der LKA-Mann erst nach drei Jahren | |
seinen Unmut öffentlich mache? Das BKA jedenfalls habe das LKA im [3][Fall | |
Amri] fortan stets unterstützt, sagt K. Auch das vermeintliche | |
„Kaputtschreiben“ von Spitzel „Murat“ habe es nach dem Treffen nie gege… | |
Dann folgt eine Premiere: Befragt werden nun Philipp K., Rasmus M. und ein | |
Oberstaatsanwalt des Bundesgerichtshof, Dieter Killmer, der am 23. Februar | |
2016 auch dabei war – und zwar alle gleichzeitig. Und es wird sofort | |
dynamisch. Denn Rasmus M. wiederholt seine Aussage, diesmal direkt ins | |
Gesicht seines Kollegen. Philipp K. blickt entgeistert zurück. „Das muss | |
ich erst mal verdauen. Ich habe nicht geglaubt, dass diese Sachen wirklich | |
so von dir gesagt wurden.“ Und nein, er schließe weiter aus, dass es die | |
Aussprüche gegeben habe. | |
Aber Rasmus M. macht weiter. Der LKA-Kommissar widerspricht auch, dass es | |
ein Einlenken des BKA beim Treffen in Karlsruhe gegeben habe. „Philipp, das | |
stimmt nicht. Du hast bis zum Schluss gesagt: ‚Ich werde meine Meinung | |
nicht ändern.‘“ Auch stimme nicht, dass sein LKA nicht ausreichend über d… | |
Hintergrund des Spitzels informierte habe: „Da muss ich vehement | |
widersprechen.“ Bereits Wochen zuvor sei allen Behörden berichtet worden, | |
dass sich die Quelle als anschlagsbereit ausgebe, sagt der 59-Jährige. | |
## Einer sagt nicht die Wahrheit | |
Philipp K. verfolgt all dies kopfschüttelnd, blickt hilflos in den Saal. | |
Eine wirkliche Entlastung gelingt ihm nicht mehr. Was Rasmus M. denn für | |
ein Motiv haben solle, sich dies alles auszudenken, wird der BKA-Beamte | |
gefragt. Der zuckt mit den Schultern: „Ich kann mir das alles nicht | |
erklären.“ | |
Rasmus M. wiederum hat eine Erklärung für das behauptete Vorgehen des BKA. | |
Der LKA-Informant VP01 habe damals allen Behörden ja tatsächlich viel | |
Arbeit gemacht. „Scheinbar zu viel Arbeit.“ Hier wiederum widerspricht | |
Philipp K.: Das sei kein Argument, es habe damals durchaus | |
Personalkapazität im BKA gegeben. | |
Aber auch Oberstaatsanwalt Killmer springt dem LKA-Mann bei. Er kenne | |
Rasmus M. seit Jahren aus Ermittlungsverfahren, habe ihn stets als „sehr | |
sachlich und besonnen“ erlebt. Nach dem Treffen in Karlsruhe aber habe ihn | |
M. „sehr aufgebracht“ von dem Vier-Augen-Gespräch mit Philipp K. erzählt. | |
So habe er ihn noch nicht erlebt. Er gehe daher davon aus, dass es | |
tatsächlich das besagte Gespräch zwischen Rasmus M. und Philipp K. gegeben | |
habe, so Killmer. | |
Als um kurz nach Mitternacht, nach mehr als 13 Stunden Befragungen, die | |
Sitzung schließt, steht damit Aussage gegen Aussage. Das aber heißt auch: | |
Einer sagt hier nicht die Wahrheit. Die bisher denkwürdigste Sitzung des | |
Amri-Untersuchungsausschusses ist damit zwar beendet. Die Affäre um Spitzel | |
„Murat“ indes längst noch nicht. | |
13 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Zeuge-belastet-Bundesinnenministerium/!5642370 | |
[2] /Spitzel-des-BKA-in-Anis-Amris-Netzwerk/!5556864 | |
[3] /Das-Netzwerk-von-Anis-Amri/!5595838 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Anis Amri | |
Bundeskriminalamt | |
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt | |
Terroranschlag | |
Untersuchungsausschuss | |
Anis Amri | |
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt | |
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt | |
Anis Amri | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eklat im Amri-Ausschuss: Die Doppelrolle | |
Ein Verfassungsschützer saß für die Bundesregierung im U-Ausschuss zum | |
Amri-Anschlag – obwohl er Zeuge sein könnte. Die Opposition ist empört. | |
Zeuge belastet Bundesinnenministerium: Schwere Vorwürfe im Fall Amri | |
Sollte ein Informant, der vor Attentäter Anis Amri warnte, mundtot gemacht | |
werden? Ein LKA-Mann behauptet das – das Innenministerium widerspricht. | |
Das Netzwerk von Anis Amri: Unter Gleichgesinnten | |
Es wird immer klarer: Anis Amri war kein Einzeltäter, sondern Teil eines | |
Netzwerks von Terroristen. Ein Ex-Kumpan steht nun vor Gericht. | |
Terrorfall Anis Amri: Rätseln um Bilel Ben Ammar | |
Warum wurde der Amri-Kumpel so hastig abgeschoben? Weil er gefährlich war, | |
sagt Innenminister Seehofer und weist weitere Spekulationen zurück. |