# taz.de -- Ungeimpfte Snowboarderin in Quarantäne: Abenteuer im Hotelzimmer | |
> Die ungeimpfte Schweizer Snowboarderin Patrizia Kummer sitzt als wohl | |
> einzige Olympiateilnehmerin in Peking in dreiwöchiger Quarantäne. | |
Bild: Konzentriert: Patrizia Kummer bei einem Weltcup-Rennen in Slowenien | |
Nicht jede Lebensdevise passt immer zum Leben. Ein Leitsatz von Patrizia | |
Kummer lautet: „Live life outside“. Derzeit befindet sich die Snowboarderin | |
aus der Schweiz in dreiwöchiger [1][Hotelquarantäne] im Norden von Peking. | |
Zum Glück, sagt sie, könne sie das Fenster öffnen. Weil sie ungeimpft ist, | |
muss sich die Olympiasiegerin von 2014 strengsten Isolationsregeln | |
unterwerfen, um erneut an den Winterspielen teilnehmen zu können. | |
Erfreulicherweise verfügt die 34-Jährige noch über eine zweite | |
Lebensdevise, die sie ebenfalls auf ihrer Homepage festgehalten hat. „Life | |
begins at the end of your comfort zone“. Diese Weisheit lässt sich mit | |
ihrer derzeitigen Lage schon deutlich besser verbinden. | |
Auf etwas mehr als 25 Quadratmeter, schätzt die Leistungssportlerin, ist | |
ihr Leben 21 Tage beschränkt. Genau eine Woche hat sie bereits hinter sich, | |
als sie sich am Donnerstag kurz vor dem Abendessen den Fragen von etwa 35 | |
vornehmlich Schweizer Journalist:innen in einer Videoschaltung stellt. | |
Das Snowboard steht hinter ihr an die Wand gelehnt. Davor ist ein | |
Fahrradergometer postiert, über dessen Bereitstellung im Hotel sich Kummer | |
besonders gefreut hat. Ansonsten hätte sie nur mit Seilspringen ihre | |
Ausdauerkraft trainieren können. Eine Couch hat sie als Raumtrenner | |
eingesetzt. „Jetzt habe ich ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer“, erklärt | |
sie. | |
## Fast 100 Prozent geimpft | |
Patrizia Kummer ist nicht nur unter den Schweizer | |
Olympiateilnehmer:innen eine Ausnahmeerscheinung. Soweit sie | |
informiert sei, sagt sie, sei außer ihr niemand, der an den Olympischen | |
Winterspielen teilnehmen wolle, ungeimpft in dieser dreiwöchigen | |
Quarantäne. Das Internationale Olympische Komitee will das auf | |
taz-Nachfrage nicht bestätigen, weil man keine medizinischen Informationen | |
über einzelne Sportler:innen öffentlich machen dürfe. Man erwarte aber, | |
heißt es, dass fast 100 Prozent der fast 3.000 Athlet:innen geimpft sein | |
werden. | |
Die Frage drängt sich auf, weshalb macht Patrizia Kummer das alles hier | |
überhaupt? Warum drei Wochen lang morgens um halb sieben Uhr in einem | |
Pekinger Hotel aufstehen, um nach dem Frühstück eine etwas anspruchsvollere | |
konditionelle Trainingseinheit zu absolvieren und nach dem Mittagessen eine | |
etwas leichtere koordinative mit Yoga, Jonglierbällen, Springseil und einem | |
Balanceboard? Warum sich in der Einsiedelei auf reine Trockenübungen | |
einlassen, während ihre Konkurrentinnen sich im Schnee den letzten Schwung | |
auf ihrem Board holen? Was treibt sie an in dieser schwierigen Situation? | |
„Ich finde die Situation nicht schwierig“, sagt Kummer. „Ich glaube daran, | |
dass ich Erfolg haben kann auf dem Snowboard, auch wenn ich drei Wochen | |
nicht auf dem Schnee bin. Wir sind mehr als unser Körper. Ich kann ja auch | |
sehr viel mit Mentaltraining machen. Einer meiner größten Stärken wird | |
sein, dass ich zu mir selber gestanden bin.“ | |
Über die anderen spricht Patrizia Kummer wenig. Es fällt kein Wort der | |
Klage über die Organisatoren und ihre erschwerten Bedingungen. Sie spricht | |
nicht von Ausgrenzung oder Diskriminierung wie etwa die [2][Demonstranten | |
gegen die Coronamaßnahmen]. „Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse“, | |
sagt Kummer. | |
Für sie sei das „wie ein Abenteuer“. Andere Leute würden viel Geld | |
bezahlen, um in irgendeinem Tempel drei Wochen in Stille verbringen zu | |
können. Sie sagt: „Ich bin auch sehr gern in meiner eigenen Gesellschaft.“ | |
## Ausschluss vom Weltcup-Rennen | |
Sie berichtet von schwierigen Monaten. Im Frühjahr habe sie sich intensiv | |
mit der Frage auseinandergesetzt, ob sie sich impfen lassen solle oder | |
nicht. Sie sei keine Impfgegnerin. In einem Abwägungsprozess sei sie zu | |
ihrer Entscheidung gekommen. Für beide Optionen hätte es mehrere Argumente | |
gegeben. Welche den Ausschlag gaben, will sie nicht sagen. „Ich bin der | |
Meinung, es muss sich niemand rechtfertigen.“ Es sei ihr Körper, ihre | |
Entscheidung. | |
Im Herbst, als klar wurde, dass sie sich auf eine lange Isolationszeit in | |
Peking einlassen und deshalb auch auf Qualifikationspunkte im letzten | |
Weltcuprennen verzichten müsste, kam sie noch einmal ins Grübeln. Swiss Ski | |
hat nur vier Startplätze zu vergeben. Ihre Chancen auf einen schätzte sie | |
angesichts der starken Konkurrenz damals auf 10 Prozent ein. | |
Als sie Mitte Dezember im italienischen Carezza am Abend vor dem Start vom | |
Weltcuprennen wegen ihres Impfstatus endgültig ausgeschlossen wurde, | |
schrumpften ihre Olympia-Ambitionen auf ein Minimum. Zwei Wochen zuvor | |
waren neue Regeln in Italien erlassen worden. Trotz allem Frust erklärte | |
sie auch damals, die Bestimmungen der jeweiligen Landesregierung natürlich | |
zu akzeptieren. | |
Selbst zum Zeitpunkt ihrer nicht mehr aufschiebbaren Reise nach Peking war | |
noch unklar, ob sie Swiss Ski für Olympia nominieren wird. Erst diese Woche | |
fiel zum Vorteil von Kummer die Entscheidung über die Schweizer | |
Olympiateilnehmer:innen. | |
Selbstverständlich ist das keineswegs. Der österreichische Skiverband | |
nominiert nur geimpfte Sportler:innen, weshalb etwa [3][die Snowboarderin | |
Claudia Riegler] nun zu Hause bleiben muss. Swiss Ski habe immer an sie | |
geglaubt, sagt Kummer. „Das war für mich sehr wichtig, weil in der heutigen | |
Zeit, wenn man nicht geimpft ist, ist es nicht einfach. Man weiß nie, wie | |
die Leute reagieren.“ Der Verband unterstütze sie auch jetzt | |
organisatorisch und erkundige sich nach ihren Bedürfnissen. | |
## „Oh Mädel, impf dich ändli“ | |
Es ist sowieso auffällig, wie unaufgeregt der Fall Patrizia Kummer in der | |
Skination Schweiz öffentlich verhandelt wird. In der Videoschaltung nach | |
Peking sind die Fragen der einheimischen Journalist:innen nicht | |
konfrontativ. In den letzten Monaten hat die Snowboarderin auch nicht die | |
Kommentarspalten der Schweizer Zeitungen gefüllt. | |
Auf den Social-Media-Kanälen von Kummer sind nur vereinzelte Unmutsbeiträge | |
(„Oh Mädel, impf dich ändli, chasch nöd blöder tue wege zwei, drü | |
Stichli!“) zu finden. Deutschlands Fußballnationalspieler Joshua Kimmich | |
erhielt dagegen deutlich heftigere Reaktionen im Herbst, als er erstmals | |
seine Skepsis gegenüber einer Corona-Impfung zum Ausdruck brachte. | |
Eine Politisierung ihrer Entscheidung hat Patrizia Kummer kleinhalten | |
können, indem sie ihre persönlichen Motive einer öffentlichen Debatte nicht | |
zugänglich gemacht hat. Grundsätzlich meidet sie das politische Terrain. | |
[4][Den Fall des Tennisweltranglisten Novak Đoković], dem als Ungeimpftem | |
die Einreise nach Australien verweigert wurde, habe sie nur oberflächlich | |
verfolgt. Ein Urteil sei schwierig, „weil man nie die ganzen Informationen | |
hat“. | |
Kummer, die ein Bachelorstudium in Psychologie abgeschlossen hat und aus | |
Peking auch Onlinekurse für ihren Master besucht, will sich lieber mit der | |
eigenen Situation beschäftigen. Sie scheint bestens dafür gerüstet. „Ich | |
bin ein äußerst positiver Mensch.“ An mögliche Tiefpunkte in der dritten | |
Woche ihrer Isolation will sie nicht denken. Wenn man sich negative | |
Gedanken mache, würden sich diese auch erfüllen. Sie sagt: „Ich werde | |
sicher eine super gute Quarantäne hier erleben.“ | |
Das Personal im Hotel sei „mega nett“, auch wenn sie nicht wüsste, wie sie | |
aussehen, „weil sie immer in ihrem Mondanzug rumlaufen“. Sie könne hier | |
sehr gut an der Website ihres Cafés arbeiten, das sie im Wallis | |
mitbetreibt. Netflix funktioniere einwandfrei. | |
Kummer scheint wunschlos glücklich zu sein. Aber eines wünscht sie sich | |
dann doch: Ruhe. Im olympisch einzigartigen Kampf um das aus ihrer Sicht | |
Private, die freie Impfentscheidung nämlich, interessieren sich plötzlich | |
viele für ihre privaten Belange. Ist ihr das unangenehm, so in den Fokus zu | |
rücken? | |
„Aber ja, darum habe ich gesagt, ich gebe dieses eine Interview und dann | |
ist fertig, weil ich finde, für mich ist einfach wichtig, dass ich zur Ruhe | |
kommen kann.“ Die Bedingungen dafür sind in ihrem Pekinger Hotel bis zum 3. | |
Februar geradezu optimal. Dann wird sie mit ihrem Snowboard ihr Zimmer | |
verlassen. Am 8. Februar startet sie im olympischen Riesenslalom. | |
22 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Olympia-Quarantaene-Hotel-des-Schreckens/!5787582 | |
[2] /Urspruenge-der-Impfskepsis/!5818070 | |
[3] https://www.derstandard.de/story/2000132511560/snowboard-ungeimpfter-claudi… | |
[4] /Aus-fuer-Novak-okovic-in-Australien/!5826419 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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