# taz.de -- Unabhängige Polizeibeschwerdestellen: Vertrauen mit Mängeln | |
> In Thüringen soll eine Vertrauensstelle der Polizei die Namen von | |
> Hinweisgeber*innen verraten. Es gibt zu wenig unabhängige | |
> Beschwerdestellen. | |
Bild: Meike Herz, Leiterin der Polizeivertrauensstelle in Erfurt | |
ERFURT taz | Seit mehr als fünf Jahren gibt es in Thüringen die | |
Polizeivertrauensstelle, die dem Innenministerium unterstellt ist. Das Team | |
um die Leiterin Meike Herz dient als Anlaufpunkt für Bürger*innen, die | |
Gesprächsbedarf zum Thema Polizei haben. | |
Sei es, dass sie schlechte Erfahrungen gemacht haben oder rechtswidriges | |
Handeln von Beamt*innen erlebt oder beobachtet haben. „Wesentliche | |
Aufgabe ist es, bei der Konfliktlösung zu beraten und zu betreuen“, so | |
Herz. Allerdings ist die Vertrauensstelle keine Beschwerdestelle im engeren | |
Sinne. Im Vordergrund stehen laut Herz oft Gespräche über Opferschutz oder | |
die Notwendigkeit von Rassismus-Schulungen. Sie kann Beschwerden aber nur | |
weiterleiten. Selbst ermitteln darf sie nicht. | |
Doch nicht nur darin liegt ein Problem: Obwohl Meike Herz den | |
Hinweisgebenden absoluten Schutz zusichern möchte, muss sie | |
Informant*innen immer wieder belehren, dass sie als Vertrauensstelle | |
keine Anonymität bei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zusichern kann. | |
Wie problematisch das sein kann, zeigte sich Anfang dieses Jahres besonders | |
deutlich durch eine Vorladung der Staatsanwaltschaft Gera. | |
Im Sommer 2019 meldeten sich Hinweisgeber*innen unabhängig voneinander | |
bei der Vertrauensstelle und machten auf mögliche rechtsextreme Umtriebe in | |
der Freiwilligen Feuerwehr Bad Lobenstein aufmerksam. Kein Fall, für den | |
die Vertrauensstelle in erster Linie zuständig ist, aber dennoch leitete | |
diese die Hinweise anonymisiert an die Polizei weiter. | |
Auf Ermittlungen folgten Durchsuchungen, rechtsextreme Nachrichten in | |
Chatgruppen kamen ans Licht, Medien berichteten überregional und | |
Feuerwehrleute wurden von ihrem Dienst entbunden. Die Staatsanwaltschaft | |
Gera teilt auf Nachfrage der taz mit, dass gegen sieben Personen | |
Geldstrafen verhängt worden seien wegen Volksverhetzung und des Verwendens | |
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es gehe bei den | |
Verfahren um das „Einstellen strafbewehrter Inhalte in einen | |
WhatsApp-Gruppenchat der Freiwilligen Feuerwehr Bad Lobenstein, aber auch | |
wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz“. | |
Laut Medienberichten stand der damalige Jugendwart im Fokus der | |
Ermittlungen. Er soll unter anderem der „Reichsbürger“-Bewegung | |
nahegestanden und die Bundesrepublik Deutschland und ihr Grundgesetz | |
abgelehnt haben. Der Beschuldigte sah sich falsch in der Öffentlichkeit | |
dargestellt. Er erstattete wegen übler Nachrede Anzeige gegen Unbekannt und | |
verlangte von der Vertrauensstelle die Herausgabe der Hinweisgeber*innen. | |
Auch die Staatsanwaltschaft Gera sah die Forderung begründet und forderte | |
mit Nachdruck die Herausgabe der Informationen. | |
## Gefährdung der Hinweisgeber*innen nicht auszuschließen | |
Die Vertrauensstelle befürchtete, dass die Namen dadurch möglicherweise in | |
die Hände von einschlägig vorbestraften Personen fallen könnten. Mit dem | |
Hinweis auf die Gefährdungslage für die Hinweisgebenden bemühte sich die | |
Vertrauensstelle daher um eine Aussageverweigerung. Dem kam das Thüringer | |
Innenministerium jedoch nicht nach. „Eine mögliche Gefährdung des | |
Vertrauens allein kann nicht ausreichen, um eine Versagung zu | |
rechtfertigen“, heißt es auf taz-Anfrage. Eine Aussageverweigerung sei nur | |
möglich, wenn andernfalls die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe | |
ernstlich gefährdet oder erschwert werden würde. Dass womöglich | |
Hinweisgebende in Gefahr gebracht werden könnten, fällt für das | |
Innenministerium nicht darunter. Die Staatsanwaltschaft Gera vernahm in der | |
Folge die Leiterin der Polizeivertrauensstelle. | |
## Rufe nach tatsächlicher Unabhängigkeit werden laut | |
„Unabhängige Polizeibeschwerdestellen sind längst überfällig“, betont d… | |
Anwältin Seda Başay-Yıldız. Sie vertrat Hinterbliebene [1][des NSU-Terrors | |
und erhielt selbst zahlreiche Drohungen], die teilweise Daten aus | |
Polizeicomputern enthielten. Sie hat oft erlebt, dass Beschwerden über die | |
Polizei ins Leere laufen, weil unabhängige Beschwerdestellen nur in 6 von | |
16 Bundesländern existieren und auch bei diesen im Fall von Beschwerden | |
oder rassistischer Polizeigewalt immer noch Kolleg*innen gegen | |
Kolleg*innen ermitteln. | |
Das betreffe nicht nur Bürger*innen: „Auch Polizist*innen wissen in der | |
Regel nicht an wen sie sich mit Beschwerden wenden sollen aus Angst vor | |
Konsequenzen“, so Başay-Yıldız. Die Folge: Fehlverhalten wird erst gar | |
nicht angesprochen. Auch deshalb müssten unabhängige | |
Polizeibeschwerdestellen mit Ermittlungsbefugnissen ausgestattet werden, um | |
bei ihren Ermittlungen nicht auf die Polizei angewiesen zu sein. Eine | |
solche unabhängige Stelle mit Ermittlungsbefugnissen – anders als etwa in | |
Großbritannien oder Dänemark – gibt es in Deutschland allerdings bisher | |
nicht. | |
Wie es für die Polizeivertrauensstelle in Thüringen weitergehen wird, | |
bleibt derweil offen. Dass es Veränderungen geben wird, ist jedoch | |
abzusehen. Die bisherige [2][Sachbearbeiterin Doreen Denstädt wird ab | |
Februar Thüringens Justiz- und Migrationsministerin.] Am Mittwochvormittag | |
wird sie in Erfurt vereidigt. Die Leiterin Meike Herz wird als | |
Staatssekretärin mitziehen. Auf Nachfrage teilt das Thüringer | |
Innenministerium mit, dass man aktuell noch geeignete Nachfolger*innen | |
suche, aber zuversichtlich sei, „zeitnah neue Mitarbeitende in der | |
Vertrauensstelle präsentieren zu können“. Mit der Personaländerung geht | |
jedoch keine generelle Umstrukturierung der Stelle einher. | |
„Ich sehe mein politisches Ziel darin, dass Thüringen in naher Zukunft die | |
erste unabhängige Polizeivertrauensstelle mit eigenen | |
Ermittlungskompetenzen hat“, betont der thüringische Innenminister Georg | |
Maier (SPD). Aufgrund der politischen Machtverhältnisse in Thüringen sei | |
aber gerade nicht mit der Umsetzung einer solchen Stelle zu rechnen. Man | |
sehe das jedoch als wichtige Aufgabe. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass | |
sich Menschen mit vollem Vertrauen an eine solche Stelle wenden können, | |
ohne Angst zu haben“, so Maier. Bisher klingt das noch nach Zukunftsmusik. | |
Gerade in der Thüringer Polizeivertrauensstelle, der – neben einer | |
geeigneten Nachfolge – vor allem nach dem jüngsten Fall das Wichtigste zu | |
fehlen scheint: Vertrauen. | |
1 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rechte-Drohserie-NSU-20/!5892469 | |
[2] /Neue-Justizministerin-in-Thueringen/!5908015 | |
## AUTOREN | |
Thilo Manemann | |
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