| # taz.de -- Überlebender des Olympia-Attentats 1972: „Ich gab mir selbst die… | |
| > Elf israelische Sportler wurden bei den Olympischen Spielen 1972 von | |
| > palästinensischen Attentätern getötet. Dan Alon überlebte den Angriff. | |
| Bild: Ein vermummtes Mitglied der Terrororganisation „Schwarzer September“ … | |
| taz: Herr Alon, fechten Sie heute noch? | |
| Dan Alon: Nein, ich spiele jetzt Golf. Und ich mache jeden Morgen Yoga und | |
| meditiere. Mein Kopf ist dadurch ruhiger und klarer geworden. | |
| Warum haben Sie aufgehört zu fechten? | |
| Mein Trainer, André Spitzer, wurde bei dem Attentat in München getötet. Ich | |
| bekam zwar einige Monate später einen neuen Trainer zugeteilt und habe mich | |
| mit ihm auf den Europacup vorbereitet, der im März 1973 stattfinden sollte. | |
| Aber kurz vor dem Abflug erkundigte ich mich bei der israelischen | |
| Fecht-Föderation nach den geplanten Sicherheitsvorkehrungen. Dort sagte man | |
| mir, dafür gäbe es kein Budget. Also weigerte ich mich zu fahren. Ich wurde | |
| bestraft und sie haben jemand anderen geschickt. Danach habe ich aufgehört. | |
| Was genau haben Sie 1972 in München erlebt? | |
| In der Nacht des 5. Septembers wachte ich gegen halb vier Uhr morgens auf, | |
| weil ich Geräusche und laute Stimmen hörte. Ich wusste nicht, was los war. | |
| Zuerst dachten mein Kollege und ich, dass die Südamerikaner nebenan eine | |
| Party feiern. Doch dann hörten wir Maschinengewehrsalven. | |
| Die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ war in das | |
| Apartment der israelischen Olympioniken eingedrungen und hatte bereits | |
| einige Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln genommen. | |
| Wir wussten nicht, was nebenan vor sich ging. Wir sahen nur, dass Licht | |
| brannte. Wir klopften gegen die Wand, aber wir bekamen keine Antwort. Der | |
| Überfall hatte im ersten von drei Räumen des Apartments stattgefunden. Wir | |
| waren im zweiten, dem mittleren Zimmer untergebracht. Als die Terroristen | |
| die Trainer aus Zimmer Nummer eins überwältigt hatten, zwangen sie einen | |
| von ihnen, sie zu den anderen israelischen Athleten zu führen. Der führte | |
| sie nicht zu uns, sondern zu Zimmer Nummer drei, wo sie weitere Athleten | |
| gefangen nahmen. An unserem Zimmer sind sie vorbeigegangen – zweimal. | |
| Warum? | |
| Natürlich haben wir viel darüber spekuliert. Vielleicht weil im anderen | |
| Zimmer die Ringer- und Gewichtheber untergebracht waren. Vielleicht hatten | |
| sie gehofft, dass diese die Terroristen überwältigen können. Aber wir | |
| hätten Waffen gehabt. Ich war mit den Sportschützen in einem Zimmer. | |
| Haben Sie darüber nachgedacht, zu schießen? | |
| Der Anführer der Terroristen stand vor dem Gebäude und verhandelte mit den | |
| deutschen Polizisten. Natürlich haben wir darüber nachgedacht, ihn zu | |
| erschießen. Wir hatten sogar schon die Patronen eingelegt. Aber dann waren | |
| wir uns unsicher. Wir hatten keine Ahnung, wie viele Terroristen nebenan | |
| waren, und wir hatten Angst, dass sie alle Geiseln erschießen würden, wenn | |
| wir angreifen. Dieses Risiko wollten wir nicht eingehen. Also beschlossen | |
| wir zu fliehen … | |
| … über den Garten des zweistöckigen Hauses in der Conollystraße 31 des | |
| Olympischen Dorfes. | |
| Wir gingen ganz langsam über die Wendeltreppe hinunter in den ersten Stock | |
| des Hauses. Die Treppe war aus Holz und machte eine Menge Lärm. Einer nach | |
| dem anderen rannten wir durch den Garten davon. Diese Szene werde ich nie | |
| vergessen. Als ich draußen angekommen war, blieb ich kurz auf dem Balkon | |
| stehen, um mich umzusehen. Da stand einer der Terroristen und hielt Wache. | |
| Wir sahen uns an, aber er rührte sich nicht. Also drehte ich mich und lief | |
| davon. | |
| Warum hat er nicht geschossen? | |
| Es ging alles so schnell. Vielleicht war er ebenso verwirrt wie ich, weil | |
| er nicht wusste, wer ich war und wo ich herkam. Bis er einen Entschluss | |
| fassen konnte, war ich schon weg. | |
| Was dann folgte, war ein sehr langer Tag, geprägt von Verhandlungen | |
| zwischen Geiselnehmern und den deutschen Behörden? | |
| Ja, wir haben immer gehofft, dass sie freigelassen werden. Aber leider war | |
| das Ende sehr schlimm? | |
| Geiseln und Terroristen wurden zum Militärflughafen von Fürstenfeldbruck | |
| gebracht. Dort versuchte die Polizei ein letztes Mal, die Geiseln zu | |
| befreien. Doch die Aktion endete in einem Blutbad. Verurteilen Sie die | |
| Deutschen für ihre Unfähigkeit? | |
| Ach, es geht mir gar nicht um die Deutschen. Ihnen gebe ich keine Schuld. | |
| Sie waren naiv und haben nicht damit gerechnet, dass so etwas passieren | |
| würde. Für mich sind die Israelis die Schuldigen. | |
| Warum? | |
| Das israelische Olympische Komitee hätte sich um unsere Sicherheit kümmern | |
| müssen. Es gab bereits zuvor einige Anschläge auf Israelis. Trotzdem wurden | |
| die Eingänge unseres Gebäudes nicht bewacht. Die Terroristen konnten | |
| einfach reinlaufen. Man hätte dort ganz leicht Sicherheitskräfte platzieren | |
| können. Das ist wirklich ein großer Skandal. Aber am meisten Schuld haben | |
| natürlich die Palästinenser. | |
| Das Attentat geschah vor 40 Jahren. Können Sie verzeihen? | |
| Ich kann vergeben. Aber nur, wenn der andere seinen Fehler erkennt und | |
| bereut, was er getan hat. Aber diese Menschen bedauern nicht, was passiert | |
| ist. Im Gegenteil: Sie sind stolz darauf. Und sie werden weitermachen. Wie | |
| kann ich da vergeben? Ich sehe keine Lösung des Konflikts zwischen Israel | |
| und den Palästinensern. Ich weiß nicht, was wir dazu beitragen können, dass | |
| der Konflikt endet. Ich würde gern Frieden schließen, aber der Ball liegt | |
| auf palästinensischer Seite. Unschuldige Menschen umzubringen, ist keine | |
| Lösung. | |
| Was haben Ihnen die Spiele in München bedeutet? | |
| Sehr viel. Mein Vater war ebenfalls Fechter. Er stammte aus Budapest und | |
| sein Team war damals sehr erfolgreich. Er hat immer davon geträumt, bei | |
| Olympia dabei zu sein. Aber als der Zweite Weltkrieg begann, flüchtete er | |
| nach Palästina und konnte nicht mehr antreten. Er war es, der mir als | |
| kleiner Junge das Fechten beibrachte. Der Gedanke, eines Tages statt seiner | |
| bei Olympia dabei zu sein, war seit Kindheitstagen in meinem Kopf. Als ich | |
| dann an der Eröffnungszeremonie im Münchner Olympiastadion dabei war, | |
| weinte ich vor Freude. Und dann, eine Woche später, fand am selben Ort die | |
| Trauerfeier für unsere getöteten Teamkollegen statt. Alles war so anders. | |
| Ich weinte wieder, aber diesmal aus einem ganz anderen Grund. | |
| Nach dem Attentat wurden die Spiele fortgesetzt. Haben Sie das verstanden? | |
| Ja. Der Terror darf nicht gewinnen. Man muss zeigen, dass alles normal | |
| weitergeht. Die Spiele zu unterbrechen, wäre den anderen Athleten gegenüber | |
| ungerecht gewesen. | |
| Gemeinsam mit den anderen Überlebenden flogen sie in der Maschine, die auch | |
| die Särge Ihrer toten Kollegen transportierte, zurück nach Israel. Wie ist | |
| es Ihnen dort ergangen? | |
| Am Anfang fiel es mir sehr schwer, mein Leben fortzusetzen. Wir waren ja | |
| alle traumatisiert. Ich hatte für nichts Geduld. Ich denke noch sehr oft an | |
| das, was wir damals erlebt haben. Und ich träume noch davon. | |
| André Spitzer war nicht nur Ihr Trainer, sondern auch ein langjähriger | |
| Freund. Machen Sie sich Vorwürfe, dass Sie statt seiner überlebt haben? | |
| Nein. Als wir das Apartment in der Conollystraße bezogen, habe ich | |
| versucht, ihn zu überreden, mit uns im gleichen Zimmer zu übernachten. Aber | |
| er ließ sich nicht davon abbringen, in das Zimmer Nummer eins zu ziehen. | |
| Haben Sie später mit den anderen Überlebenden über Ihre Erlebnisse | |
| gesprochen? | |
| Nein. Wir haben uns zwar in all den Jahren immer wieder gesehen, aber wir | |
| haben geschwiegen. Erst als wir im Februar gemeinsam nach München flogen, | |
| um den Dokumentarfilm zu drehen, haben wir uns zum ersten Mal seit vierzig | |
| Jahren darüber ausgetauscht. | |
| Warum? | |
| Ich wollte vorher nicht. Ich fühlte mich sehr schlecht. Ich war wütend, ich | |
| habe mich geschämt, dass ich damals davongelaufen bin und mich nicht | |
| gewehrt habe, meinen Teamkollegen nicht geholfen habe. Ich gab mir selbst | |
| die Schuld, dass alles so enden musste. | |
| Und was ist mit Ihrer Familie? | |
| Auch mit ihnen habe ich lange nicht gesprochen. Mein Schweigen brach ich | |
| erst vor sechs Jahren. Damals kam Steven Spielbergs Film „München“ in die | |
| Kinos. Da begannen plötzlich Menschen aus der ganzen Welt bei mir anzurufen | |
| und baten mich, meine Geschichte zu erzählen. Die erste Einladung kam von | |
| der Universität Oxford. Dort bin ich hingefahren und habe meine Geschichte | |
| den Studenten erzählt. Irgendwie fiel es mir leichter, vor Fremden zu | |
| sprechen. Meine Geschichte hatte plötzlich einen Sinn. Ich wollte, dass die | |
| Menschen erfahren, was damals passiert ist – aus historischer Sicht. | |
| 11 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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