# taz.de -- Trauerdemo für tote Rentnerin: Nur die Ruhe | |
> Nach dem Tod der Rentnerin Rosemarie F. gehen in Berlin 350 Menschen auf | |
> die Straße. Es gibt kein Polittheater, nur Stille und Sprachlosigkeit. | |
Bild: „Heute geht es nicht um Abrechnung, heute geht es nur um Trauer.“ | |
BERLIN taz | Der kleine Sprechchor säuft einfach ab. „Wir vergessen nicht, | |
Rosemarie“ wollten sie rufen, zwei, drei mal tun sie es. Dann werden sie | |
wieder still. Ruhig, bedächtig, sprachlos stehen die Menschen am | |
Freitagabend im Berliner Reinickendorf, vor dem weißen Haus mit dem | |
Spitzdach, aus dem am Dienstagmorgen erst die 67-jährige Rentnerin | |
Rosemarie F. ausziehen musste. Zwangsräumung. | |
Jetzt ist sie tot. | |
In sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht am Freitag in | |
Windeseile: Zwei Tage nachdem die schwerbehinderte Frau aus ihrer Wohnung | |
geworfen wurde, verstarb sie am Donnerstagabend in einer Berliner | |
Obdachlosenunterkunft. Das Thema empört viele – denn steigende Mieten, | |
soziale Verdrängung und Zwangsräumungen sorgten in der Hauptstadt in den | |
letzten Monaten immer wieder für Proteste und Straßenblockaden. Nun stirbt | |
eine Frau, zwei Tage nach ihrer Räumung. Das Pikante: Ein Arzt hatte ihr | |
zuvor attestiert, dass der schwerbehinderten Rentnerin nichts zumutbar sei. | |
Rund 350 Menschen versammeln sich am frühen Freitagabend spontan hier, vor | |
ihrem früheren Wohnhaus. Die Jalousie am Fenster ihrer alten Wohnung ist | |
halb geschlossen, die Blumen von Rosemarie F. stehen noch hinter den | |
Scheiben. Und der Abend zeigt: Die Situation vor ihrem Haus überfordert | |
auch diejenigen, die seit Monaten – eigentlich lautstark – einen Kampf | |
gegen steigende Mieten in der Hauptstadt führen. | |
## Polizei rechnete mit Wut | |
Dabei hatte sich die Polizei am Freitag durchaus auf Auseinandersetzungen | |
mit Demonstranten eingerichtet. Zahlreiche Beamte sperrten zunächst die | |
Allee, eine breite Durchgangsstraße im nördlichen Berliner Stadtteil | |
Reinickendorf, an der die Rentnerin viele Jahre gewohnt hatte, großflächig | |
ab. Vor dem früheren Wohnhaus der Rentnerin waren Absperrgitter postiert. | |
Noch am Nachmittag hatte die Polizei Nachbarn aufgefordert, Fenster und | |
Türen am Abend geschlossen zu halten – offenbar rechnete sie mit Wut und | |
Ausschreitungen. | |
Ganz anders dagegen das Bild am Abend. Eine Frau sagt gedämpft durch ein | |
Megafon: „Es kann nicht sein, dass Eigentum mehr zählt als ein | |
Menschenleben.“ Sie sagt es nicht in jenem Kampfduktus, wie er beim Thema | |
oft üblich ist. „Heute geht es nicht um Abrechnung, heute geht es nur um | |
Trauer.“ | |
Grablichter und Blumen liegen an einem Baum vor Rosemarie F.s altem | |
Wohnhaus, ein Paar legt ein schwarzes Trauerbanner aus. Einige Menschen | |
haben Tränen in den Augen. „Ein Leben nicht mehr wert als eine Miete“, | |
heißt es auf einem Transparent. Auf einem dunklen Regenschirm steht „Ich | |
wünsche mir mehr Menschlichkeit“. | |
Am Ende finden einige die Sprache wieder. Spontandemo, weg von hier. | |
„Mörder, Mörder“, rufen sie – dann ziehen sie ab. Empört. | |
12 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Martin Kaul | |
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