# taz.de -- Widerstand gegen Zwangsräumung: Protest muss das Feld räumen | |
> Zum zweiten Mal versuchen Linke eine Zwangsräumung in Reinickendorf zu | |
> verhindern – diesmal vergebens. Der 67-jährigen Mieterin droht die | |
> Obdachlosigkeit. | |
Bild: Der "Mietenstopp", bisher nur eine Demo-Parole. | |
Die Polizei hat vorgesorgt: Schon um 7 Uhr am Dienstagmorgen riegelt sie | |
mit Gittern meterweit die Bürgersteige der Aroser Allee ab, ein Straßenzug | |
im eher ärmeren Süden Reinickendorfs. Als die Gerichtsvollzieherin zwei | |
Stunden später zu dem blassgelben Mietshaus mit der Nummer 92 geht, bleiben | |
die Demonstranten, die sich eingefunden haben, nur Statisten. „Die Häuser | |
denen, die drin wohnen“, rufen sie von der Straßenecke. Vergebens. | |
Wie schon bei anderen Zwangsräumungen in den vergangenen Wochen hatte ein | |
linkes Bündnis zum Protest gerufen, wieder sollte es eine Blockade geben. | |
Diesmal vor der Wohnung der 67-jährigen Rosemarie F., für die es bereits | |
der dritte Räumungstermin war. Der letzte wurde Ende Februar kurz vorm | |
Vollzug vom Landgericht aufgehoben, um F. vor „unbilliger Härte“ zu | |
schützen. Bereits damals gab es Proteste. Den Einspruch gegen die | |
Vollstreckung lehnte das Gericht nun ab. Er sei zu spät eingereicht worden. | |
Die schmächtige, gehbehinderte Rentnerin war wegen Mietrückständen zur | |
Räumung verurteilt worden. Laut dem Bündnis wurden die Mieten vom Amt für | |
Grundsicherung überwiesen, kamen wegen Eigentümerwechseln aber zu spät an. | |
Die neuen Vermieter beharrten auf Räumung und warfen zudem F. vor, Nachbarn | |
zu tyrannisieren. | |
Am Dienstagmorgen hat Rosemarie F. ihre Wohnung schon verlassen, ist zu | |
Bekannten gefahren. Im Fenster hängen noch weiße Spitzengardinen und ein | |
Deutschlandfähnchen. Ein Arzt hatte zuvor attestiert, eine Räumung sei der | |
schwerbehinderten Frau „nicht zumutbar“. | |
Erschienen sind dagegen rund 80 Protestierer, sie knüpfen ihre Transparente | |
an die Polizeigitter: „Räumt die Knäste, nicht die Häuser“. „Es trifft | |
immer die Schwächsten“, klagt ein angereister Kreuzberger, lange, weiße | |
Haare schauen unter seiner schwarzen Mütze hervor. Auch der | |
Linken-Abgeordnete Hakan Tas steht unter den Demonstranten, er vergräbt die | |
Hände in den Jackentaschen. „Wir müssen diesen Verdrängungsprozess | |
stoppen“, sagt er. „Die Eigentümer und Ämter hätten der Frau helfen soll… | |
statt hier so viel Polizei auffahren zu lassen.“ | |
Die ist mit 150 Beamten vor Ort und hält die Protestler auf Distanz. Schon | |
nach 20 Minuten verlässt die Gerichtsvollzieherin mit den Eigentümern das | |
Haus, sie hat die Schlösser austauschen lassen. Im Polizeiwagen verlassen | |
sie die Aroser Straße. | |
Vor einem Bürohaus nebenan beobachtet ein Mitarbeiter in der | |
Zigarettenpause das Geschehen. „Bisschen übertrieben, die ganze Polizei.“ | |
Eine Mittfünfzigerin in lila Daunenjacke führt ihren Hund vorbei. „Alt | |
werden darfste nicht in diesem Land“, schimpft sie. Sie habe über den Fall | |
gelesen. „Die Frau hätte man in Ruhe lassen sollen, auch sie hat ihren | |
Beitrag im Leben geleistet.“ | |
Auch ein junger Mann vom Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ steht noch | |
lange an der Straßenecke, blickt den abrückenden Polizisten hinterher. „Der | |
Fall heute ist besonders schlimm“, sagt der Kapuzenträger, der sich David | |
nennt. Bisher hätten die Betroffenen, für die man protestiert habe, am Ende | |
immer noch eine Bleibe gefunden. Bei Rosemarie F. sei das anders: „Hier | |
droht ganz direkt Obdachlosigkeit.“ | |
Vor einer Woche stand die Rentnerin noch selbst auf der Straße, stellte | |
sich mit Krücken in eine Sitzblockade gegen eine Zwangsräumung in Neukölln | |
– und wurde unter Tränen von der Polizei weggedrängt. Damals betonte sie, | |
keine Ersatzwohnung zu suchen. „Nie mehr“ wolle sie vom Sozialamt abhängig | |
sein. „Wenn ich auf der Straße lande, hat das der Staat zu verantworten.“ | |
Dass die Polizei nun erneut eine Räumung durchsetzte, will das | |
Protestbündnis nicht als Rückschlag werten. Der Großeinsatz sei erwartbar | |
gewesen, sagt David. Mit den wachsenden Protesten werde man nicht jede | |
Räumung verhindern können, diese aber sichtbar machen. „Es ist schon enorm, | |
welche Kraft der Staat inzwischen für Räumungen einsetzt, anstatt ein | |
Wohnen für alle zu ermöglichen.“ | |
Bereits in drei Wochen will das Bündnis wieder protestieren, dann in | |
Neukölln. In der Hermannstraße soll eine Mieterin der landeseigenen „Stadt | |
und Land“ zwangsgeräumt werden. Tatsächlich darf das Bündnis dann auf mehr | |
Resonanz hoffen – der Termin findet zwei Tage vor dem 1. Mai statt. | |
9 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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