# taz.de -- Tori Amos’ neues Album: Musikalische Erwärmung | |
> „Native Invader“ ist ein politisches Album. Tori Amos singt vom | |
> Klimawandel, politischer Zuspitzung in den USA und vom Schlaganfall ihrer | |
> Mutter. | |
Bild: Molekulare Maschine? Tori Amos singt von der Natur und von chemischen Ele… | |
Die Natur ist bei Tori Amos so rund wie eine Schallplatte. Anfang und Ende | |
gehen ineinander über, ein Zyklus aus Zerstörung und Erneuerung. „Native | |
Invader“ heißt ihr neues Album. Einheimischer Eindringling. Ein | |
Widerspruch? Amos verfolgt damit ein Konzept, das in jedem Lied des Werks | |
eine neue Form annimmt. | |
Die US-Künstlerin wartet mit 13 Songs auf. Wie schon oft zuvor hat sie auch | |
dieses Album in ihrem Studio im britischen Cornwall aufgenommen und | |
produziert, wo sie schon seit den Neunzigern lebt. Mit ihrem Ehemann Mark | |
Hawley (Gitarre, Soundmix) entstand „Native Invader“ in vertrauter | |
Atmosphäre, die auf früheren Alben allerdings merklich die Kreativität | |
ausbremste. Doch Klimawandel, politische Zuspitzung in den USA und der | |
Schlaganfall ihrer Mutter ließen „Native Invader“ dringlich und | |
gleichzeitig komplex werden wie lange kein Album von Amos mehr. | |
Den Anfang macht „Reindeer King“. Private Trauer trifft hier auf den | |
Schmerz der Pole dieser Erde, die im Angesicht der globalen Erwärmung vor | |
dem Untergang stehen. „Fearing death desiring life“, singt Amos über einem | |
basswummernden Piano, dessen Produktion direkt in eiskalte Sphären | |
versetzt, wo die Umwelt immer lauter dröhnt und bricht. | |
In „Cloud Riders“ beschwört Amos die politische Widerstandskraft derer, die | |
am Rande der Klippe stehen und in den Abgrund schauen. Das Lied wird | |
dominiert von Gitarre und Hammond-Orgel. „I am not giving up on us“, | |
vergewissert Tori Amos sich, sie will mit ihren Hörern gegen die | |
Turbulenzen der Welt ansingen. | |
In „Bang“, dem Mittelpunkt des Albums, kulminieren alle Themen und Sounds | |
zusammen. „Immigrants that’s who we all are“, singt sie da. Eine klare | |
Aussage gegen Rassismus auf der einen Seite, die Natur und ihren endlosen | |
Zyklen auf der anderen Seite – „One story’s end / Seeds another to begin�… | |
Am Höhepunkt des Songs schließlich singt Amos von chemischen Elementen, die | |
sie zu einer molekularen Maschine machen. Und sie möchte nichts weiter sein | |
als deren bestmögliche Form. Dabei klingt ihre Musik selbst wie eine | |
unaufhaltbare Maschine. Treibende Gitarrenriffs und kraftvolles Klavier | |
steigern sich immer weiter, deuten auf eine kommende Erschütterung hin, die | |
aber – noch – nur Andeutung bleibt. | |
Das Finale des Albums bildet „Mary’s Eyes“, in dem Amos die Hörer*innen … | |
ihrem Seelenleben teilhaben lässt, während sie am Bett ihrer erkrankten | |
Mutter sitzt. Ein Gedankenstrom aus Hoffnung und Kummer wird begleitet von | |
feinsinnigem Klavierspiel, das sich hebt und senkt. Auch hier wieder der | |
Zyklus von Anfang und Ende. Die Geschichte von Eindringlingen und | |
Einheimischen. | |
„Native Invader“ ist ein privates, ein politisches Album. Ein Album, das | |
sowohl versöhnt als auch aktiviert. Ein Album, das gehört werden will. | |
22 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
## TAGS | |
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Musik | |
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Globale Erwärmung | |
Musiker | |
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