# taz.de -- Timur Vermes’ Satire „Er ist wieder da“: Lustig-blöder Hitle… | |
> Mit „Er ist wieder da“ will Timur Vermes Hitler in die Gegenwart holen. | |
> Statt einer gelungenen Satire ist das Buch nur ein Marketing-Coup. | |
Bild: Nicht die Satire, der Autor ist zynisch – Szene aus dem Werbevideo zum … | |
Keine Frage: Timur Vermes’ Hitler-Satire [1][„Er ist wieder da“] als | |
Schwerpunkttitel des unter dem Bastei-Lübbe-Dach neu aufgestellten Eichborn | |
Verlags war ein Coup. Cover und Marketingkampagne glückten, sodass es der | |
Roman auf Anhieb hoch auf die Bestsellerlisten schaffte. Respekt!, könnte | |
man sagen, doch es gibt einen Wermutstropfen: Das Buch ist totlangweilig | |
und nicht im mindesten komisch. | |
Der Verlag spricht von „atemberaubendem Lesevergnügen“, und Tatsache: Mehr | |
als einmal drohte mir der Atem beim Lesen auszugehen. Das einzige Mal, dass | |
ich im Zusammenhang mit diesem Buch gelacht habe, war beim Kauf – als man | |
mir den Preis nannte: „neunzehndreiunddreißig“. | |
Der Plot des Buches ist schnell erzählt: Im Sommer 2011 erwacht Adolf | |
Hitler, kein Jahr gealtert, auf einer Brache in Berlin-Mitte. „Wie das?“, | |
werden allzu kritische Menschen fragen. Ganz einfach: weil der Autor es so | |
wollte. | |
Aber das ist durchaus legitim. Jeder Roman, jede Figurenkonstellation ist | |
eine Versuchsanordnung, die kann auch irrealen Ursprungs sein: Wurmloch, | |
Paralleluniversum, durch die Zeit gefallen, egal. Durch so ein kosmisches | |
Rätsel wird Hitler ins Jahr 2011 katapultiert. Kann man machen. Ist | |
allerdings ein alter Hut, Walter Moers’ Comic „Adolf: Äch bin wieder da!“ | |
hat das schon vorgemacht, erschienen übrigens auch bei Eichborn. | |
## Hitler als lustige Kunstfigur | |
Die Krux an solchen irrealen Versuchsanordnungen ist, dass sie nur dann | |
aufgehen, wenn sich die anderen Protagonisten weiterhin halbwegs normal | |
verhalten. Darin liegt auch die Basis für Satire. Doch die zündet bei mir | |
nicht, weil ich keinem von Vermes’ Akteuren ihr Handeln abnehme. | |
Eine unbekannte narrative Hintergrundstrahlung macht, dass Vermes’ | |
Romanpersonal immer nur so weit fragt und denkt, dass es den Hitler für | |
eine lustige Kunstfigur hält statt für einen vollirren Nazi-Cosplayer. Wenn | |
es hart auf hart kommt, lässt Vermes seine Akteure in lustigen | |
Missverständnissen aneinander vorbeisprechen. | |
„Das Thema ’Juden‘ ist nicht witzig“, lautet beispielsweise eine dieser | |
geschickt erdachten Formeln, die über erzählerische Abgründe hinwegtragen, | |
weil Hitler und sein Umfeld sie völlig verschieden füllen. Dazu merkt man | |
der Formel an, wie lang der Autor danach gesucht hat. | |
Die Versuchsanordnung im Roman scheitert, weil der Autor an zu vielen | |
Variablen dreht. Da wird niemand mehr entlarvt, weil die zu entlarvenden | |
Protagonisten zuvor narrativ verdummt wurden. Und narrativ verdummte | |
Personen zu entlarven, entlarvt letztendlich nur den Verdummenden, in | |
diesem Fall den Autor. | |
## Türkischer Blödelbarde | |
Der dumme Plot geht dann so weiter: Hitler gerät an einen Kioskbesitzer, | |
der hat – das ist in Berlin-Mitte einfach so, das weiß ja jedes Kind – | |
natürlich gute Freunde bei einer TV-Produktionsgesellschaft und vermittelt | |
den täuschend echten Hitlerdarsteller als Sidekick in die Comedyshow eines | |
türkischen Blödelbarden. | |
Dort demagogiert Hitler vor sich hin, wird Publikumsliebling und | |
Klick-Millionär auf YouTube, bekommt eine eigene Sendung, den Grimme-Preis | |
und bereitet die Gründung einer eigenen Partei vor, um seine historische | |
Mission zu beenden. Hitler will seine zweite Chance nutzen. | |
So kurz lässt sich die ganze Geschichte zusammenfassen. Timur Vermes | |
braucht 396 Seiten. Schuld ist sein Versuch, die Geschichte aus der | |
Ich-Perspektive zu erzählen. Prompt stellt der Verlag im Klappentext die | |
Frage „Lachen mit Hitler – geht das? Darf man das überhaupt?“ | |
Die Frage ist einfältig. Natürlich darf man, Satire darf bekanntlich alles. | |
Aber zu dürfen heißt nicht, es auch zu müssen – geschweige denn zu können. | |
Die Erzählhaltung ist schriftstellerisch ungeschickt. Denn die Innensicht | |
Hitlers nicht zu verlassen führt dazu, dass gut fünfzig Prozent des Romans | |
aus seitenlangen, penetrant redundanten Etüden des Hitlererzählers über die | |
Verwendbarkeit des 2011 vorgefundenen Menschenmaterials für nationale | |
Zwecke und Feldzüge bestehen. | |
Die Erzählperspektive erfordert es dabei, jede Menge | |
nationalsozialistisches Gedankengut wiederzukäuen. Timur Vermes versucht | |
sich hier durch Überspitzungen und anekdotisches Geläster Hitlers über | |
seine unfähigen früheren Wegbegleiter (vor allem Göring) aus der Bredouille | |
zu ziehen und streut zudem jede Menge klassische Zeitreisescherze ein, die | |
ihre Fallhöhe aus dem Purzeln in eine andere Zeit und Welt ziehen. | |
## Schulterschluss mit dem Leser | |
Der Hitler des Jahres 1945 muss sich im Jahr 2011 zurechtfinden und | |
interpretiert die Verhaltensweisen der modernen Deutschen vor seinem | |
nationalsozialistischen Hintergrund total ulkig fehl. In all diesen | |
Passagen wirkt Hitler so drollig wie ein rechtsradikaler Clon von | |
„Traveling Matt“ – dem Fraggles-Onkel bei seiner Erkundung der | |
Menschenwelt. | |
Eine solche Banalisierung Hitlers muss man nicht mögen. Und da Timur Vermes | |
immerhin nicht verborgen geblieben ist, dass Hitler Antisemit war, streut | |
er immer wieder entsprechende Versatzstücke ein, vermeidet aber persönliche | |
Angriffe, sondern sucht lieber den Schulterschluss mit dem Leser, indem er | |
seinen Hitler etwa für Einführung des Euro und Weltwirtschaftskrise das | |
internationale „Finanzjudentum“ verantwortlich machen lässt. | |
Dies sind wohl die Stellen, wo Christoph Maria Herbst, der das Buch loben | |
(und das Hörbuch einlesen) durfte, einen „Rest Gänsehaut“ gefühlt haben | |
will. Mehr Gänsehaut bereitete mir allerdings die Szene, in der Hitlers | |
neue Sekretärin, das sympathische Gothicmädchen „Fräulein Krömeier“, Hi… | |
damit konfrontiert, dass ihre Oma einzige Überlebende einer im Holocaust | |
ermordeten, jüdischen Familie ist und Hitler daraufhin anbietet, der Oma | |
einen Besuch abzustatten. | |
Wenn mir eins wirklich Unbehagen bei Vermes’ Roman gemacht hat, dann, dass | |
der Autor diese Begegnung einfach ausspart und in lapidaren zehn Zeilen | |
abhandelt: Er lässt Hitler die Enkelin als „unentbehrlich“ loben und | |
schließen: „Was irgendwelche Bedenken in weltanschaulichen Dingen betraf, | |
hörte die Dame ab diesem Zeitpunkt längst nur noch das, was sie hören | |
wollte. Aber es half natürlich, dass ich diesen Besuch nicht in Uniform | |
machte.“ | |
## Schmunzeln über die Einfalt des Autors | |
Hier ist nicht mehr die Satire zynisch, sondern der Autor. Wo es brenzlig | |
wird, kneift er. So entstehen Sollbruchstellen in seiner Versuchsanordnung. | |
Damit geht er aber über die erzählerischen Probleme einfach hinweg. Das ist | |
unaufrichtig. | |
Immerhin: Eine Stimme in Timur Vermes’ Roman gibt es, die den „irren | |
YouTube-Hitler“ zu entlarven droht und nach dem „Staatsanwalt“ ruft, und | |
dies ist ausgerechnet die Bild-Zeitung. Ich gebe zu, da habe ich schon | |
geschmunzelt – über die Einfalt des Autors, der selbst jahrelang | |
Boulevardjournalist bei der Abendzeitung und dem Kölner Express war. Da | |
freut man sich schon fast, wie es Hitler und seinen Comedyproduzenten | |
gelingt, die Bild mundtot zu machen mit dem Slogan „BILD finanzierte den | |
Führer“. | |
Hier, nach nunmehr 250 Seiten, nimmt der Roman tatsächlich kurz satirisch | |
Fahrt auf. Wie auch in der Szene, in der Hitler der Köpenicker | |
NPD-Parteizentrale einen Besuch abstattet und zum Ergebnis kommt, dass dort | |
nur „ein Haufen Waschlappen“ tätig ist. | |
Den Grimme-Preis, den Hitler für diese Entlarvung bekommt, hätte aber wohl | |
eher die NDR-Redaktion von „Extra 3“ verdient, deren Hitler-Montagen hier | |
wohl Pate standen. Dass Hitler in der Konsequenz von rechtsextremen | |
Schlägern als „Judenschwein“ betitelt und halbtot geprügelt wird, weil er | |
die deutschnationale Sache verrate, ist einer der wenigen Kapriolen, die | |
mir an Vermes’ Konstrukt gefallen. | |
Ansonsten ist Timur Vermes’ Hitler-Satire aber einfach ein über weite | |
Strecken unkomisches, ermüdendes Konglomerat aus nicht ganz neuen Ideen. | |
Sie ist ein Krampf, auf den man am besten mit einem anderen Bestsellertitel | |
antwortet: „Er ist wieder da“ – Na, „Ich bin dann mal weg.“ | |
## ■ Volker Surman ist Kabarettist, Autor und Sprachwissenschaftler. Er | |
lebt in Berlin. | |
27 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.luebbe.de/Buecher/Belletristik/Details/Id/978-3-8479-0517-2 | |
## AUTOREN | |
Volker Surmann | |
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