# taz.de -- „Tatort“ aus Wien: Unbarmherzige Welt der Auslese | |
> Der neue Wien-“Tatort“ handelt von einem ermordeten IT-Überflieger. Und | |
> er zeigt die perfide Härte des Kapitalismus. | |
Bild: Moritz Eisner und Bibi Fellner ermitteln | |
Was ist das für eine Welt, fragen sich die wienerischen Ermittler*innen | |
Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und | |
deren Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) an diesem Sonntag. Der | |
junge, erfolgreich in der Unternehmensberatung tätige IT-Experte Marlon | |
Unger (Felix Oitzinger) wurde nach einem Rennradausflug an den Briefkästen | |
im Flur zu seinem waschbetonschicken Luxusappartement im zweiten Bezirk | |
niedergestochen. | |
Erste Ermittlungen führen Fellner und Eisner zu Raffaela Unger (Katja | |
Lechthaler), der Mutter des Opfers. Offensichtlich aufgrund | |
fortschreitender Demenz psychisch nicht dazu in der Lage, die Situation zu | |
verarbeiten, gerät sie in den Fokus der Polizei. Laut Aussage ihres | |
ehemaligen Pflegers Paul Hassler (Kajetan Krajnc), der Marlon kurz vor | |
dessen Ableben noch auf dem Handy erreichen wollte, neigte Frau Unger | |
während der Schübe ihrer Krankheit zu übermenschlichen und recht | |
gewalttätigen Kräften. Ist es also möglich, dass eine Mutter ihren Sohn | |
ersticht, weil sie ihn nicht mehr erkennt? | |
Alles ziemlich „oasch“, befinden Fellner und Eisner. Weitere Befragungen | |
von Marlons leicht einfältigem Arbeitgeber Gernot Schlager (Dirk Stermann) | |
ergeben weiter nichts, außer dass der junge Mann der „perfekte | |
Arbeitnehmer“ war. Ein Auskenner in der IT-Ebene, aber auch einer, der den | |
Mund aufbekommt. Auch Marlons schlecht frisierter Mentor Arnold Cistota | |
(Valentin Postlmayr) weiß, nachdem er in einer Molkerei über die Vorteile | |
von Software Solutions und Optimierung von Produktionsprozessen doziert | |
(und dabei doch nur die [1][Kündigung von altgedienten Mitarbeitenden] | |
meint), nur Gutes über Marlon zu berichten: Fleißig, freundlich. Er hat | |
immer alles richtig gemacht, außer vielleicht auf Partys, da hat er gern | |
ein bisschen übertrieben. Frei nach dem im absurd überdrehten Firmenvideo | |
propagierten Slogan: „No Problems, only Solutions!“ | |
Vielleicht, so flüstert Cistota es der jüngeren Kollegin Meret Schande ein, | |
vielleicht ist der Täter ja eher im Bereich der entlassenen alten Arbeiter | |
zu suchen. Die hätten ja wohl ein greifbares Motiv, den Überflieger | |
abzustechen. Und tatsächlich findet sich ein sehr passender Verdächtiger: | |
Der Vater von Marlons Freundin Anna Feistinger (Marlene Hauser) war doch in | |
einer Firma beschäftigt, die dank Marlons Optimierungssoftware etliche | |
Arbeiter entlassen hatte. | |
## Ohne einen Funken Anstand | |
Dieser 30. Fall des Wiener Teams wirft einen Blick in die [2][unbarmherzige | |
Welt der Unternehmensberatungen] und ihrer Auslegung des Kapitalismus. | |
Nicht nur, dass sie ohne einen Funken Anstand über die Arbeit von anderen | |
entscheiden – auch sich selbst gegenüber gilt nur das Prinzip der Härte. | |
Etwa wenn Cistota erzählt, dass er Top-Performer sei, und 82 Stunden in der | |
Woche arbeitet. Und wofür? Für einen schönen weißen Tesla und ein | |
durchgestyltes Einfamilienhaus. Wirklich glücklich macht das am Ende des | |
Tages eigentlich auch niemanden. | |
Für charmantkomische Momente sorgen die herrlichen Gespräche zwischen | |
Fellner und Eisner; man merkt, dass hier ein auch auf menschlicher Ebene | |
sehr eingespieltes Team am Start ist. Übler wird diesmal Meret Schande | |
mitgespielt: Sie muss zum Ende hin eine gewichtige Entscheidung treffen. | |
Eine zentrale Rolle nimmt auch die wunderbar passende Musik der Wiener Band | |
Kreisky ein. Alles in allem: Ein sehr sehenswerter Tatort, der gar nicht | |
„oasch“ ist! | |
26 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Almuth Müller | |
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