# taz.de -- Sylvia Schenk über die Fifa: „Das kann Anstöße geben“ | |
> Wer die Fifa immer nur diskreditiert, ignoriert die aktuellen | |
> Fortschritte, sagt Sylvia Schenk. Dabei passiere auch in Katar schon viel | |
> Gutes. | |
Bild: Mit dem Ölboom kamen die Bauaufträge in die ganze Welt, auch nach Deuts… | |
Frau Schenk, wie behalten Sie die WM in Erinnerung? | |
Ich bin zunächst einmal froh, dass es keinen Anschlag gegeben hat, keine | |
größeren Vorfälle, keine Gewaltausbrüche. Es gab kleine Rangeleien und | |
Sicherheitsfragen, aber solche Vorkommnisse waren die Ausnahme. | |
Wie hat sich die Fifa in diesen Momenten verhalten? | |
Da wurde viel im Hintergrund bewirkt. Es gab von Vornherein wichtige | |
Zugeständnisse: Politische Banner sind im Stadion grundsätzlich verboten, | |
sonst würden auf den Rängen politische Auseinandersetzungen geführt. Für | |
Russland hat die Fifa die Forderung iranischer Frauen, in ihrem Land ins | |
Stadion zu dürfen, als soziale Forderung interpretiert, solche Banner waren | |
ebenso wie die Regenbogenflagge erlaubt. Zudem hat die Fifa in dem | |
offiziellen Diversity Haus in Moskau Veranstaltungen zu LGBT und | |
Anti-Diskriminierung unterstützt. | |
Aber es wird wohl nicht gereicht haben, um Russland zur Vorzeige-Demokratie | |
zu machen? | |
Natürlich nicht, aber die aufgelockerte Stimmung kann ein bisschen was | |
bewirken. | |
In Bezug auf die Menschenrechte in Russland? | |
Es kann Anstöße geben. Lange Zeit – bis auf die Weltmeisterschaft 1978 in | |
Argentinien – wurde die Verantwortung des Sports für Menschenrechte fast | |
gar nicht diskutiert. Mit den Olympischen Spielen 2008 in China änderte | |
sich das, 2011 wurden dann die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und | |
Menschenrechte verabschiedet – die Debatte über die Verantwortung von | |
Unternehmen schwappte in den Sport. Menschenrechtsorganisationen und die | |
internationalen Gewerkschaften haben erkannt, dass sich ihre Anliegen über | |
große Sportveranstaltungen ganz anders transportieren lassen. | |
Auch in einem Land wie Katar 2022? | |
Den Internationalen Gewerkschaften konnte nichts Besseres passieren als | |
diese Fifa-Entscheidung. Schon 2008 war klar, dass etliche Länder im Nahen | |
Osten Migrantenarbeiter extrem schlecht behandeln. Da wurde ja plötzlich | |
gebaut wie verrückt: Mit dem Ölboom gab es Aufträge in alle Welt, auch für | |
deutsche Unternehmen, aber in der Öffentlichkeit fragte niemand nach den | |
Arbeitsbedingungen. Das änderte sich grundlegend mit der WM-Vergabe. | |
Hat das denn etwas bewirkt? | |
Der Bau der Stadien begann schon mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen und | |
einer deutlich verbesserten medizinischen Versorgung der Arbeiter als | |
bislang in Katar üblich. Da jeder Unfall einer zu viel ist, wird erstmals | |
gemeinsam mit der Gewerkschaft an weiteren Maßnahmen gearbeitet. Über die | |
Internationale Labour-Organisation ist mit der Fifa ein Prozess in Gang | |
gesetzt, um dies auf alle Baustellen in Katar zu übertragen – mit dem Ziel, | |
dass sich das auf die Region auswirkt. | |
Dann kann eine große Sportveranstaltung in Ländern mit schlechter | |
Menschenrechtssituation durchaus positiv sein? | |
Die Sport and Rights Alliance (SRA), die ich mitgegründet habe, vertritt | |
genau diese Position: Sport kann positive Veränderungen bewirken, positiven | |
Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben haben, und dafür setzen | |
wir uns ein. | |
Also lieber Prozesse auf verschiedenen Ebenen anstoßen als von oben | |
bestimmen, dass in diesen oder jenem Land keine WM ausgetragen wird? | |
Ja. Nach welchem Maßstab sollten denn Länder von Vornherein ausgeschlossen | |
werden? Nach dem deutschen, japanischen, aktuell US-amerikanischen Maßstab? | |
Wer bleibt dann übrig? | |
Wir müssen nur schauen, wie wir uns selbst in den letzten Jahrzehnten | |
entwickelt haben: Wann wurde der Paragraf 175 StGB aufgehoben, wann haben | |
wir angefangen, gegen Korruption zu kämpfen? Das eine passierte 1994, das | |
andere so richtig erst nach dem Siemens-Skandal 2006. Also sollten wir | |
Länder, die sich gerade modernisieren und verändern wollen, darin | |
unterstützen, wenn dies tatsächlich eine Chance hat. | |
Aber ist die Fifa der richtige Apparat, um solche Veränderungen zu | |
begleiten? | |
Seit der Fifa-Krise 2010/11 ist enorm viel passiert, und es bringt nichts, | |
das unablässig zu negieren und zu diskreditieren. Die Fifa hat die | |
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und | |
Anti-Korruptions-Maßnahmen in ihrer Satzung verankert, sie setzt für die | |
WM-Vergaben nun ganz detaillierte Kriterien an, hat einen Teil der | |
Korruptions-belastenden Personen ausgetauscht. Die Reputation ist nun | |
einmal völlig danieder, und es dauert, bis Glaubwürdigkeit wieder | |
hergestellt ist. | |
Würde es da nicht auch helfen, wenn etwa ein Gianni Infantino ein bisschen | |
weniger selbstherrlich grinsen würde? | |
Ja, natürlich, und wenn ich könnte, würde ich mir auch eine ganze andere | |
Fifa backen. Einen Präsidenten mit mehr Demut, weniger Eitelkeiten. Aber | |
das kann ich nun einmal nicht. Ich muss mit dem arbeiten, was vorhanden ist | |
und um Reformen kämpfen. Sich die Auflösung der Fifa zu wünschen, ist nicht | |
nur unrealistisch, sondern würde auch nichts bringen. Dann haben sie bei | |
einer Neugründung wieder alle Länder und die gleichen Probleme dieser | |
Länder mit am Tisch. Die Fifa und der gesamte Fußball werden erst dann | |
völlig sauber, wenn die Welt sauber ist. | |
21 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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