# taz.de -- Streitgespräch Aktivistin vs. Energieboss: „Streiken Sie mit, He… | |
> Sind sie Feinde – oder sogar Verbündete für eine neue Klimapolitik? | |
> FFF-Aktivistin Luisa Neubauer und EnBW-Chef Frank Mastiaux im | |
> Streitgespräch. | |
Bild: Gesitteter Streit: Neubauer und Mastiaux, links Moderator Peter Unfried i… | |
taz: Frau Neubauer, Fridays for Future (FFF) arbeitet mit einer klaren | |
Ansage an die Bundesregierung: Haltet die Klimaziele von Paris ein, die ihr | |
unterschrieben habt. Die Transformation der Wirtschaft ist | |
Grundvoraussetzung dafür. Darüber reden Sie kaum. | |
Luisa Neubauer: Natürlich, es ist zu leicht zu sagen: Hier, Politik, haltet | |
Paris ein, und dann packen wir wieder ein, gehen in die Schule und dann | |
wird das alles gut. Was da aber impliziert ist: dass wir von der Politik | |
erwarten, dass sie die Rahmenbedingungen auch so setzt, dass | |
Wirtschaftsakteure den Handlungsspielraum bekommen, Paris einzuhalten. Aber | |
an der Stelle wird es kompliziert. Ich erinnere mich an Gespräche mit | |
Menschen wie Herrn Altmaier … | |
… dem Bundeswirtschaftsminister von der CDU … | |
… die dann sagen: Nee, nee, die Wirtschaft will man ja auch nicht | |
verschrecken, deswegen machen wir da erst mal wenig – oder praktisch gar | |
nichts. | |
Was bedeutet das für Sie? | |
Wir müssen unser Spektrum weiten und sagen zu den wirtschaftlichen | |
Akteuren: Wenn ihr das nicht einfordert, wird das de facto nicht passieren. | |
Das ist übrigens der Grund, warum wir sagen: Liebe UnternehmerInnen und | |
ArbeitnehmerInnen, kommt mit uns auf die Straße. Wir haben am 20. September | |
wahrscheinlich den relevantesten klimapolitischen Tag des Jahres. Wir | |
brauchen die Wirtschaftsakteure, die mit uns auf der Straße stehen und | |
sagen: Liebe Altmaiers dieses Landes, wir fordern euch auf, loszulegen. Wir | |
können und wir wollen nicht länger eure Ausrede sein. Da richten wir uns | |
ganz klar an die großen Wirtschaftsakteure wie die EnBW. | |
Beim Energiekonzern RWE hat Frau Neubauer bei der Aktionärsversammlung eine | |
Art moralischen Appell gehalten. Moralische Ansprache ist ja nicht gerade | |
das, worüber ein Unternehmer funktioniert, Herr Mastiaux? | |
Frank Mastiaux: Das würde ich so nicht sagen. Zunächst muss man | |
feststellen: Es gibt nicht die Politik und die Wirtschaft. Ich glaube, wir | |
müssen besser werden in diesem Dialog, in der Differenzierung von denen, | |
die wirklich können, die, die wirklich nicht können, die, die wirklich | |
wollen, und die, die wirklich nicht wollen. Und dazwischen sind die, die | |
sagen, dass sie wollen, aber nicht wollen. | |
Großartiger Aphorismus. | |
Mastiaux: Auch wenn es ein bisschen flapsig formuliert war: Ich halte das | |
für ein Kernproblem. Die Moral ist in ihrer Präsenz und Wucht überzeugend, | |
aber vielleicht gar nicht die ursächliche – sagen wir mal – | |
Überzeugungskraft. Aber Sie haben recht, Frau Neubauer, wir müssen über | |
Rahmenbedingungen sprechen. Die Frage ist, ob wir es schaffen, endlich mal | |
einen verbindlichen Umsetzungsplan zu entwickeln, bei dem nicht gleich beim | |
ersten Schritt einer ausbüxt. | |
Was brauchen Sie? | |
Mastiaux: Da komme ich jetzt mal mit einer Forderung aus der Wirtschaft an | |
die Leute, mit denen wir – das ist primär Politik – sprechen müssen. Wir | |
können die Ressource bereitstellen, wir können es bis dann und dann | |
umsetzen. Wenn aber Prozesse passieren, wo es einfach elend lange dauert, | |
ohne dass man es als Unternehmen unmittelbar beeinflussen kann, dann wird | |
es einfach unangenehm. Dann hilft natürlich, wenn eine Bewegung kommt, die | |
sagt: Schluss jetzt! Wir sind die Generation, die darunter leidet. | |
Was behindert Sie? | |
Mastiaux: Das betrifft nicht nur Politik, sondern auch Behörden, | |
Verwaltungen und natürlich auch Gegner von solchen Projekten. In | |
Deutschland wird derzeit, glaube ich, eine halbe Windenergie-Anlage pro Tag | |
gebaut. Wir bräuchten die siebenfache Menge, um da zu landen, wo wir landen | |
müssten. Während auf der einen Seite viel Zeit und Raum ist für | |
Verzögerungen aller Art, bleibt zu wenig Raum und Zeit für den eigentlichen | |
Bau. Dadurch haben wir keine Planungssicherheit. Im Bereich Offshore ist | |
das Problem die Deckelung. Wir haben 160 Leute, die wir in den letzten zehn | |
Jahren eingestellt haben, um Offshore-Windparks zu bauen. Wir können jetzt | |
per existierendem regulatorischen Rahmen als EnBW im Inland aber kein | |
weiteres Projekt bis 2025 entwickeln. Deshalb schauen wir uns im Onshore- | |
als auch im Offshore-Bereich im Ausland um, beispielsweise in den USA oder | |
Taiwan. | |
Neubauer: Wir sitzen im Wirtschaftsministerium, und uns wird gesagt, wir | |
können keine Umweltauflagen haben, sonst wandern die Unternehmen ab. Und | |
was passiert ist, es gibt keine Umweltauflagen und Unternehmen wandern ab. | |
Da stimmt doch irgendwas nicht. Kommen Sie am 20. September mit uns | |
streiken, Herr Mastiaux? | |
Frank Mastiaux: Etwas fordern finde ich super, aber es gibt diesen einen | |
unangenehmen Punkt, wenn man etwas dreimal gefordert hat. Man muss in eine | |
Umsetzungsschleife kommen und dafür ganz genau überlegen: Was fordere ich | |
von wem? Wenn wir diese Zielgruppe richtig verifizieren, können wir das | |
machen. | |
Neubauer: Weichen Sie aus? | |
Mastiaux: Überhaupt nicht. Ich habe relativ klare Vorstellungen, was | |
passieren müsste, weil die Umstände, die zur Nichtumsetzung führen, relativ | |
transparent sind. | |
taz: Nämlich? | |
Nummer eins: Wir haben die Verbindlichkeit verloren, Projekte in einem fest | |
definierten Rahmen umzusetzen. Wir sagen: Na ja, dann halt später. Bei | |
Grönemeyer hieß das früher: „Wie eine träge Herde Kühe / schauen wir kurz | |
auf / und grasen dann gemütlich weiter.“ Nummer zwei: An einem bestimmten | |
Punkt müssen wir eine Debatte beenden, entscheiden und am Montag danach | |
starten. Nummer drei: Ich glaube, dass wir einen sehr komplizierten Apparat | |
um uns herum haben, in Deutschland. Das ist nicht nur die Politik. Das sind | |
die Wirtschaftsverbände, das sind Unternehmen, das sind alle Institutionen, | |
die mitreden. Dieser Apparat hat eine Autobahnanbindung von A nach B in den | |
70er Jahren zeitgerecht umgesetzt gekriegt. Aber so ein komplexes Thema wie | |
ein Klimaschutzziel zu erreichen, halte ich in dieser Gemengelage für | |
zunehmend schwierig. Das betrifft auch die Digitalisierung und eigentlich | |
jedes komplexe Thema. | |
Neubauer: Ich glaube nicht, dass wir bei FFF Ihnen helfen können, was die | |
Projektabnahme betrifft. Unserer Erfahrung nach ist der effektive Hebel, | |
den es braucht: loszulegen. Was wir erlebt haben in den letzten Monaten, | |
ist, dass eine unglaubliche Energie freigesetzt wird, wenn man Menschen | |
hinter dem großen Ganzen versammelt, hinter einer Vision, dass wir Paris | |
einhalten. Das heißt für Deutschland, nicht erst 2050 klimaneutral werden, | |
sondern 2030 und 2040, wie das die Wissenschaft fordert. | |
Was soll der klimapolitische Streiktag dazu beitragen? | |
Was wir am 20. September lostreten werden: Wir brauchen wirklich alle. Auch | |
Menschen, die das nicht nachvollziehbar finden, warum jetzt ausgerechnet | |
vor ihrem Haus ein Windrad stehen muss. Auch die Menschen, die tausende | |
andere Menschen angestellt haben, ein Budget jenseits der Vorstellungskraft | |
verwalten und mit diesem Budget und der politischen Einflussnahme eine | |
Macht ausüben könnten, die ganz viele Hebel in Gang setzen kann. | |
Lassen Sie uns über das Zeitproblem reden. Die EnBW war ein Atom- und | |
Kohle-Konzern, wo sie bis Fukushima das Geld jeden Tag mit Schubkarren | |
rausgeschoben haben. Nun arbeiten Sie seit 2012 an der Transformation und | |
sind längst nicht fertig. | |
Mastiaux: Die Frage ist, womit man das misst und wo man gestartet ist. 2011 | |
hatte dieses Unternehmen 61 Prozent Kernkraft in seinem Kraftwerkportfolio. | |
Der Rest war mehr oder weniger Kohle und Gas. Nach Fukushima verlor EnBW | |
jedes Jahr ein Viertel seines Ertrags. Das heißt, die Veränderung des | |
Unternehmens war wirtschaftlich fundamental wichtig. Seitdem bauen wir das | |
um, haben 40 Prozent der Kohlekraftwerke aus dem Betrieb genommen, die | |
Erneuerbaren verfünffacht, viel Geld in Netze für die Infrastruktur der | |
Energiewende investiert. Wir sind noch lange nicht fertig, ist völlig | |
richtig. Wir haben es aber immerhin geschafft, das Ziel zu erreichen, | |
wieder so viel Geld zu verdienen, wie wir vor dem Umbau verdient haben. | |
Die EnBW gehört zur Hälfte dem von den Grünen regierten Baden-Württemberg, | |
zur Hälfte neun CDU-regierten Landkreisen mit CDU. | |
Mastiaux: Man könnte auch sagen, es gehört den Bürgern. Unser Eigner ist | |
nicht ein Oligarch auf einer Jacht vor Monaco. Wenn wir mit dem, was wir | |
tun, Ertrag erwirtschaften, landet das unmittelbar beim Bürger, und mit dem | |
Geld passiert etwas im Land für das Land. Und dann gibt es noch 21.000 | |
Menschen bei uns, die wir beschäftigen. | |
Neubauer: Es ist schön zu sagen, das Geld kommt bei den Menschen an. De | |
facto ist aber die Frage von Ownership eine ganz andere. Die Energiewende | |
in Bürgerhand, die Idee von den Energiegenossenschaften, von den Leuten, | |
die sich zusammentun und gemeinsam ihre Energieinfrastruktur lokal, | |
dezentral und ohne Machtmonopole organisieren, das spielt ja eigentlich | |
keine Rolle. | |
Mastiaux: Wir bieten diverse Bürgerbeteiligungsmodelle an. Wir machen | |
heute mit dem Verkauf von Strom aus eigener konventioneller Erzeugung, aus | |
Großkraftwerken, noch nicht mal mehr 20 Prozent unseres Geldes, Tendenz | |
weiter deutlich fallend, und bieten dezentrale Solarlösungen für | |
Privathaushalte an. Wir sind längst weg von irgendwas, was Sie Monopol, | |
Macht und solche Dinge genannt haben. Das ist überhaupt nicht mehr unser | |
Geschäftsmodell. | |
Herr Mastiaux, Sie haben sieben Kohlekraftwerke. Es sei moralisch ihrer | |
Generation gegenüber nicht vertretbar, hat Frau Neubauer bei RWE gesagt, | |
solche Kraftwerke länger als 2030 laufen lassen. Was sagen Sie dazu? | |
Mastiaux: Alle Kohlekraftwerke, die ein bestimmtes Alter und eine bestimmte | |
CO2-Intensität haben, haben wir zur Abschaltung angemeldet, und sie werden | |
von den Transportnetzbetreibern nur noch als Reservekraftwerke angefordert, | |
wenn es zu Versorgungsengpässen kommt. Wir werden in den nächsten Jahren | |
ohne konventionelle Kraftwerke nicht auskommen. Die, die wir noch haben, | |
sind am besten Ende der verfügbaren Kohlekraftwerke in Deutschland. Jedes | |
dieser Kraftwerke liefert nicht nur Strom, sondern Fernwärme für viele | |
Menschen. Wenn wir die nicht als technisches Abfallprodukt liefern, würden | |
wir anderswo CO2 erzeugen, um sie liefern zu können. Das ist ein ganz | |
entscheidender Punkt. Das halte ich nicht für moralisch verwerflich. | |
Ihre Kohlekraftwerke laufen also länger als bis 2030? | |
Mastiaux: Ich würde sagen, das trifft möglicherweise für manche zu, manche | |
werden vor 2030 außer Betrieb gehen. | |
Wahrscheinlich erklärt Frankreichs Staatspräsident Macron demnächst, zum | |
Einhalten der europäischen Klimaziele brauche man Atomkraft. Sagen Sie | |
dann: Ah ja, super, hurra, wir sind dabei? | |
Mastiaux: Nein. No go. Da gibt es kein Zurück mehr. Das Thema ist, wie man | |
so salopp sagen würde, durch. | |
Neubauer: Wenn Sie als jemand, der in dem Unternehmen ganz viel bewegt, | |
damit auch Erfolg feiern können, ist das erst mal großartig, nur stellt | |
sich im Kontext der Klimakrise eine Verantwortungsfrage, die Menschen wie | |
Sie mit einer neuen Verantwortung belegt. Was tun Sie, Herr Mastiaux, | |
konkret, um Giganten wie Eon und RWE zu zeigen, wie sie es besser machen | |
können? Weil, die checken es anscheinend nicht. Was machen Sie konkret, um | |
ganz laut von der Straße einen Gegenpol zu bilden gegen den Bundesverband | |
der Deutschen Industrie, der am 20. September verhindern wird, dass wir | |
eine CO2-Steuer haben? | |
Mastiaux: Wir sagen nicht nur, die CO2-Steuer muss hoch, sondern wir sagen | |
auch, welche Steuereffekte angepasst werden müssen, damit es sozial | |
verträglich auch für Menschen machbar ist, die sich vielleicht gerade mit | |
Mühe für ihre fünfköpfige Familie einen Golf Diesel Kombi zusammengespart | |
haben. | |
Wie hoch sollte der CO2-Preis sein? FFF spricht von 180 Euro. | |
Mastiaux: Als der CO2-Pass 5 Euro war, haben wir uns für 25 und 30 | |
ausgesprochen, das ist der Mindestpreis, den wir brauchen. | |
Neubauer: Die Leute sagen immer wieder: Ja, wir machen doch schon. Sorry, | |
Leute, ihr sagt das schon die letzten 30 Jahre. Ich glaube, wir sind uns | |
dessen nicht bewusst, dass wir tatsächlich gerade eine Krise, eine | |
Katastrophe erleben, die einer atomaren Bedrohung total ähnelt, in der | |
Krassheit ihrer Auswirkungen. Wir alle, egal ob wir Einzelpersonen sind | |
oder Unternehmen, müssen über uns hinauswachsen und uns dieser Krise | |
stellen. Wir gehen deshalb auf die Straße, wir widersprechen deshalb so | |
viel, wir hauen deshalb auf den Tisch, weil wir in diesen Krisenmodus | |
kommen müssen, um endlich zu machen. | |
20 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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