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# taz.de -- Standup-Comedian Felix Lobrecht: „Ich bin ein Prolet aus Neuköll…
> Felix Lobrecht flog mit 14 vom Gymnasium, studierte später doch Politik
> und schlitterte in die Comedyszene rein. Jetzt erscheint sein erster
> Roman.
Bild: „Ich war auf dem Gymnasium, bin dann aber mit 14 runterflogen. Es gab d…
taz: Herr Lobrecht, was haben Sie als Kind gesehen, wenn Sie aus dem
Fenster geschaut haben?
Felix Lobrecht: Sonne und Beton.
Das ist der Titel Ihres Debütromans über eine Handvoll Jungs in
Gropiusstadt. Sind Sie von dort?
Ich bin auf jeden Fall in Neukölln aufgewachsen. Wo genau, sage ich nicht.
Wieso?
Weil meine Familie da noch lebt.
Hat’s ihnen da gefallen?
Klar, hat es mir gefallen. Und klar, fand ich es auch Kacke. Es gab abends
keine Möglichkeit wegzugehen. Wir saßen auf Spielplätzen rum oder in dem
Scheißpartykeller an der Grenzallee.
Ihre Jungs im Buch finden es auch deprimierend. An einer Stelle heißt es:
„Wer kam eigentlich auf die Idee, eine Hälfte der Häuser in so einem
hässlichen Braun und die andere Hälfte weiß zu bauen?“
Ich habe mir diese Frage auch oft gestellt. Reicht es nicht, dass es
scheiße aussieht? Warum muss es auch noch asymmetrisch sein? Es ist eine
roughe Ästhetik: Hochhaussiedlung, Sozialbau, Brennpunkt. Wegen dieser
Assoziationen steht der Satz auch relativ weit am Anfang, weil die meisten
meiner Leserinnen und Leser wohl eher aus Kleinstädten kommen, nicht aus
Berlin-Neukölln. Aber es geht nicht um Gropiusstadt. 300 Meter weiter in
der Lichtenrader Nahariyastraße sieht es ja nicht anders aus. Solche Ecken
gibt es überall.
Trotzdem wirkt Hellersdorf in Ihrem Roman wie das andere Ende der Welt. Wo
fing für Sie „weit weg“ an in Berlin?
Mein Leben spielte sich zwischen Rudow und Hermannplatz ab. Ich war, glaube
ich, mit 17 zum ersten Mal am Alex. Und wenn wir ganz crazy waren, sind wir
bis zur Gneisenaustraße gefahren. Aber nicht weiter.
Was war da?
Der Picaldi-Laden. Die Originalhosen von Diesel mit Karottenschnitt, den
damals alle trugen, konnten wir uns nicht leisten. Aber für 30 Euro gab es
den Style bei Picaldi: Diese Marke gab’s nur in Berlin in der
Gneisenaustraße. An Picaldi-Hosen hat man sich erkannt.
So wie die Jungs in Ihrem Buch.
Ich hörte auf, so rumzulaufen, als ich während des Zivildienstes nach
Friedrichshain zog. Erst seit ich mit mir im Reinen bin, trage ich einfach
die Klamotten, die ich geil finde. Ich muss weder verstecken, dass ich ein
Prolet aus Neukölln bin, noch dass ich studiere. Aber es ist irre: Jetzt
klauen uns die Hipster unseren Style, tragen Bomberjacke, Reeboks und die
Hosen in den Socken, dazu die Haare oben lang und an den Seiten abrasiert.
Wir nannten das damals Boxerschnitt.
Dieses Image gehört auch zu Ihrem anderen Job als Standup-Comedian. Gibt es
nicht genug Sprüche über Neukölln?
Es muss halt lustig sein.
Was macht es denn lustig?
Wenn’s eine wahre Essenz hat. Wenn es einen Blick öffnet, den andere nicht
haben. Auch der 200. Witz über die Deutsche Bahn kann super sein. Was mich
an deutscher Comedy nervt: Wir laufen alle mit unserem eigenen Filter durch
die Welt, nehmen Sachen unterschiedlich wahr – wie kann dann bitte immer
der gleiche Quatsch rauskommen, der auch handwerklich immer gleich gebaut
ist? Dass ich relativ schnell erfolgreich war, liegt auch daran, dass ich
mache, worauf ich Bock habe. Und nie etwas, weil ich glaube, so könnte es
lustig sein.
Wann realisierten Sie: Damit könnte ich Geld verdienen?
Das war keine Entscheidung. Ich bin da reingeschlittert. Ich habe meine
Schule verkackt.
Was heißt das?
Ich war zuerst auf dem Gymnasium, bin dann aber mit 14 runterflogen. Es gab
da ein Missverständnis zwischen mir und allen anderen. Nach dem
Realschulabschluss auf der Chaotenschule in Neukölln, auf der ich gelandet
war, habe ich im Fitnessstudio und im Pflanzengroßhandel gejobbt und
merkte: Das ist auch nicht das Richtige. Also machte ich mein Fachabi, um
zu studieren. Und wusste nach dem Zivi: Wenn ich jetzt studiere, habe ich
wieder keine Kohle. Darum fing ich eine Ausbildung als Industriekaufmann
bei der Linde AG in Neukölln an. Ich hörte nur: 670 Euro im ersten
Lehrjahr. Am zweiten Tag saß ich da und dachte: Ich habe mit technischen
Gasen nichts zu tun. Technische Gase interessieren mich einfach nicht. Es
gibt in meinem Leben keine Überschneidung mit technischen Gasen.
Was genau ist das denn?
Unreiner Sauerstoff oder Acetylen, das braucht man zum Schweißen, zum
Kühlen. Ich habe es drei Wochen lang versucht, dann bin ich wahnsinnig
geworden. Aber ich konnte mit niemandem darüber reden: Alle anderen, selbst
die Azubis, sind aufgegangen in dieser Büroarbeit. Also habe ich es
aufgeschrieben, es wurde eine semilustige Kurzgeschichte. Mein kleiner
Bruder fand sie aber okay witzig, er wusste, dass es so was wie Poetry Slam
gibt, und hat mich da reingequatscht – und so bin ich damit im Heimathafen
aufgetreten. Heute würde ich sagen: Es war ein Scheißtext. Aber er kam
einigermaßen an. Ich war vom ersten Auftritt an angefixt von dem
Bühnendings.
Also brachen Sie die Ausbildung ab?
Nach einem Jahr – um doch zu studieren. Doch es stellte sich heraus, dass
man in Berlin mit Fachabi nur BWL und ingenieurmäßiges Zeug studieren
kann. Das eine hat mich nicht interessiert, das andere war mir zu nah an
technischen Gasen. Aber ich fand ein Journalismusstudium an einer
Privathochschule in Mitte, das Bafög deckte die Studiengebühren, ich
kellnerte nebenher. Im dritten Semester fand ich es kacke und im vierten
dachte ich: Studieren ist cool, aber nicht so – ich muss also doch
richtiges Abitur machen. Wollen Sie das wirklich alles hören?
Klar, erzählen Sie weiter.
In Berlin kann man das extern ablegen, ich habe zwei Monate allein
gebüffelt und dann mit den regulären Schülern Abi gemacht. Aber mein
Schnitt war nicht gut genug, um hier zu studieren, also habe ich in Marburg
mit Politikwissenschaft und VWL angefangen. Nebenher machte ich Poetry Slam
weiter, um mein ekliges WG-Zimmer zu bezahlen – und irgendwann stellte ich
fest: Ah, ich mache das offenbar beruflich. Ich gehe nur noch in zwei
Vorlesungen die Woche, an den anderen Tagen habe ich Auftritte.
Wie fühlt es sich an, auf der Bühne etwas zu erzählen – und die Zuschauer
lachen?
Geil. Stellen Sie sich vor, Sie haben guten Sex und viele Leute schauen zu.
Und Sie kriegen danach Geld dafür. Ich habe das Gefühl, ich werde fürs
Durch-die-Gegend-Fahren bezahlt und damit ich in Hotels übernachte. Nicht
dafür, auf der Bühne zu stehen. Wenn ich Shows in Berlin habe, fahre ich
zehn Minuten hin, habe zwei Stunden Spaß, chille noch eine Stunde mit den
Fans und gehe wieder heim. Das ist keine Arbeit.
Ihre Gegenleistung ist, dass Sie Persönliches preisgeben.
Aber Comedy erlaubt mir, dass ich im einen Moment Dinge erzählen kann, die
genau so passiert sind, und im nächsten etwas, das total erfunden ist. Und
die Zuschauer wissen nicht, was was ist. Deswegen lasse ich auch in dem
Roman offen, was ausgedacht ist. Aber es ist ein Kick: Leute, die auf der
Bühne stehen, müssen etwas kompensieren.
Was ist es bei Ihnen?
Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Mir wurde immer gesagt, dass ich
zu klein sei. Ich sah relativ lange relativ jung aus. Dazu das
Bloßgestelltwerden, wenn man kein Geld hat. Auf dem Gymnasium etwa musste
man die Schulbücher selber kaufen. Nur die, deren Eltern Sozialhilfe
bezogen, waren lernmittelbefreit. Ich war der Einzige in meiner Klasse. Ich
hatte ein paar Wichser-Lehrer, die sagten, holt eure Bücher raus – oder
bekommt jemand Sozialhilfe? Felix, du vielleicht? Und dann war ich der
Spast, der dieses zerknitterte, abgewichste Buch vor sich liegen hatte, das
allen signalisierte: Ich bin der, dessen Familie keine Kohle hat.
Versteht das Ihr Publikum, wenn Sie auf dem Abiball – Motto „Casino Night“
– in Wetzlar auftreten?
Abiball 2014 in Wetzlar war super. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt.
Und wenn man im Supermarkt an der Kasse steht und weiß, der Dispo des
Kontos ist ausgereizt, und man hofft, dass die Karte durchgeht: Dann tritt
man auch für 200 Euro auf Abibällen auf.
Zwischen dem Abiball und Neukölln liegen Welten. Sie sagten, Sie seien es
leid, dass alle immer das Gleiche machten. Und doch schrieben Sie den
500.000. Berlin-Roman.
Ich glaube, es ist der 600.000. Was ist der Punkt? Ich komme halt nicht aus
Eisenhüttenstadt.
Kommen Sie, die Jungs in Ihrem Roman erfüllen alle Neukölln-Klischees: Sie
klauen im Supermarkt, brechen in die Schule ein und verticken gestohlene
Computer.
Das ist mir tatsächlich ein bisschen egal. Mit ein Grund, warum ich so ein
Buch schreiben wollte, war ein Jugendroman, der Anfang der 2000er erschien:
„Knallhart“, über Jungs, die so alt waren wie ich, einer zieht aus
Zehlendorf nach Neukölln. Es war von der Story her ganz nett, aber ich
dachte: Das spielt in meinem Bezirk, es geht um uns – und ich konnte an
jedem Satz ablesen, dass der Autor wahrscheinlich 30 Jahre älter ist und
mindestens aus Hannover kommt. Es war einfach nicht authentisch.
Die Zooperspektive hat Sie geärgert?
Nö. Ich sage nur, dass ich eine andere Perspektive anzubieten habe. Dafür
kann ich nichts übers Hipster-Partyleben erzählen, außer den drei Klischees
über Baumwollmützen und Schnurrbärte, nachdem ich mal eben über die
Weserstraße gelaufen bin.
Wann änderte sich Ihr Blick auf Neukölln?
In Marburg. Die, die ich dort kennenlernte, waren aus der Mittelschicht
oder Akademiker-Elternhäusern, aus Kleinstädten und Dörfern, alle mit sehr
kongruentem Lebenslauf. Ich war ein Alien. Einmal vergaß ich, die Miete zu
überweisen. Damit meine ich: Ich konnte sie nicht bezahlen. Als ich die
Kohle zusammenhatte, konnte mir keiner meiner Mitbewohner mal schnell die
Kontoverbindung geben. Weil ihre Eltern das Geld überwiesen. Seitdem geht
es mir auf den Sack, wenn mir solche Leute nach einem Besuch bei ihren
Kumpels in Neukölln erzählen: Ey, da ist es doch gar nicht so schlimm, wie
du sagst – wir hatten echt einen netten Abend in der Griessmühle.
Was ist das größte Missverständnis über Ihren Bezirk?
Dass es in solchen Vierteln, egal ob Neukölln oder Wedding, ja nicht nur
schlimm ist, sondern auch ein ganz normales Leben gibt, trotz der
Kriminalität. Denn selbst der gewalttätigste Hakan sitzt heulend zu Hause,
wenn ihn seine Freundin verlässt. Auch so ein Missverständnis: der Gedanke,
dass vier nette Cafés und eine Bäckerei Jugendkriminalität und Armut auf
einen Schlag lösen könnten.
Bei Instagram posteten Sie ein Foto von sich und der Neuköllner
Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey. Wieso haben Sie sich getroffen?
Das war die geniale Idee meines geliebten Verlags.
Und worüber haben Sie sich unterhalten?
Sie mochte das Buch sehr und hat betont, dass es sich an ihren täglichen
Themen abarbeitet: Scheißschulen in Neukölln, Jugendkriminalität, Gewalt,
Dreck auf der Straße, strukturelle Benachteiligung.
Mögen Sie Frau Giffey?
Sie hat sich nicht verstellt. Und ich habe der Frau wirklich geglaubt, was
sie erzählt hat. Dass sie etwas verändern will. Kurzfristige Lösungen gibt
es wohl nicht, da waren wir uns einig. Mittel- und langfristig ist es
sinnvoll, auf Bildung zu setzen, Chancengleichheit anzupeilen, für
Beschäftigung von Jugendlichen zu sorgen, um sukzessive die strukturelle
Benachteiligung zu beseitigen.
Wie oft haben Sie im Studium das Gefühl, es hat mit dem Leben zu tun, das
Sie kennen?
Fast nie. Am ehesten in Seminaren zu Geschlechterungleichheit, Rassismus,
Antisemitismus. Da fiel mir auf, dass Klassismus auch ein großes Ding ist.
Diese Ismen folgen ja alle dem gleichen Schema. Es werden Gruppen
konstruiert, denen Charakteristika zugewiesen werden: Deine Mutter ist tot,
dein Vater arbeitslos, du hast zwei Geschwister, du kommst aus Neukölln.
Das bedeutet: Du bist diese Art Typ, das traut man dir zu. Wenn man einmal
dafür sensibilisiert ist, fallen einem diese Zuschreibungen im Alltag wie
Schuppen von den Augen.
Sehen das Kommilitonen aus Bildungsbürgerfamilien auch?
Die reden über Themen, die sie nur aus Aufsätzen kennen. Und wenn Leute,
die sich den ganzen Tag mit Rassismus und Antisemitismus befassen, nicht
sehen, dass es auch so etwas wie Klassismus gibt, kann ich das nicht
verstehen. Die wichtigere Frage ist aber: Wie macht man diese Inhalte
zugänglich für alle? Warum schreiben Leute verschwurbelte Essays und nicht
so, dass es auch die verstehen, die nicht studiert haben?
Auch wenn Ihr Buch ein Roman ist: Denken Sie, er hilft dabei?
Ich habe das Buch nicht mit der Intention geschrieben, die Welt zu
verändern. Der durchschnittliche Felix-Lobrecht-Fan ist 23, weiblich und
kommt aus einer Kleinstadt. Weiße deutsche Mittelschicht, die meisten mit
Abitur. Wenn denen zumindest auffällt, dass sie unter privilegierten
Bedingungen aufgewachsen sind, ist das schon eine Menge wert. Ich will
zeigen, dass nicht alle Leute, die Scheiße bauen, auch böswillig sind.
Sondern es oft auch eine Frage von Optionen ist.
Sie touren mit Ihrem Programm, gehen auf Lesereise. Wenn Sie zurück nach
Berlin kommen: Wann fühlen Sie sich zu Hause?
Wenn ich an der Abfahrt Grenzallee im Scheißstau stehe. Und es kein Act
mehr ist, meine Kumpels zu treffen. Bald wohne ich hoffentlich auch wieder
in Neukölln. Als ich aus Marburg wiederkam, um in Potsdam zu Ende zu
studieren, habe ich in Neukölln eine Wohnung gesucht. Aber die wollten
teils 900 Euro in Gegenden, bei denen ich sage: Habt ihr eine Macke? Ein
Kumpel aus Nordneukölln brachte die Veränderung auf den Punkt. Er sagte:
„Ich bin mit dem Bus die Sonnenallee runtergefahren – und da saßen nur
Kartoffeln drin.“
14 Mar 2017
## AUTOREN
Anne Haeming
## TAGS
Comedian
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deutsche Literatur
HipHop
Kunst Berlin
Heinz Buschkowsky
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