# taz.de -- Spitzenkandidat Winfried Kretschmann: Der Supergrüne | |
> Baden-Württembergs Ministerpräsident will bei der Landtagswahl 2021 | |
> nochmal antreten. Aber was genau ist „eigentlich noch grün“ an ihm? | |
Bild: Will dabeibleiben: Winfried Kretschmann | |
Winfried Kretschmann hat mir mal erzählt, wie er nach der Wahl von Dieter | |
Salomon zum OB von Freiburg in seinem Stuttgarter Abgeordnetenkabuff saß | |
und wartete, dass die Kollegen der Minifraktion daherkämen, um ihn zur | |
Nachfolge Salomons als Fraktionsvorsitzender zu überreden. „Kam aber | |
keiner“, brummte Kretschmann. Als er im Frühjahr 2011 mit 24,2 Prozent | |
Ministerpräsident wurde, sagten manche Leute: Wie soll denn der Kauz unser | |
Land regieren? | |
Heute haben manche das Gefühl, das Chaos bräche aus, wenn dieser Grüne die | |
führende Weltwirtschaftskraft Baden-Württemberg nicht über 2021 hinaus | |
weiterregieren würde. Dieser Change vom Chaoten von 1983 zum Bewahrer vor | |
dem Chaos markiert nicht nur den erstaunlichen Weg, den Kretschmann | |
gegangen ist, sondern auch die radikale Veränderung der Grünen Kultur. | |
Nachdem Kretschmann diese Woche bekannt gab, er werde ein drittes Mal als | |
Ministerpräsident zur Verfügung stehen (anders kann man das wohl nicht | |
sagen), kam wieder die alte Frage auf, was „eigentlich noch grün“ an | |
Kretschmann sei. | |
Die Frage wird zum einen von Ökos gestellt, überwiegend aber aus einer | |
kulturpessimistischen Attitüde heraus. „Grün“ steht hier nicht primär f�… | |
die Partei, sondern für eine linksliberale Aufbruchskultur mit tollem, | |
idealistischem und humanistischem Weltveränderungsanspruch. Leider paarte | |
sie das mit großflächiger Ignorierung der Komplexität gesellschaftlicher | |
und politischer Wirklichkeit. | |
## „Das Alte ist das Neue“ | |
Diese Kultur führte 2005 zum grandiosen Scheitern von Rot-Grün – die damals | |
rot-grüne Mehrheitsgesellschaft ließ die Politik im Stich und erledigte | |
sich damit historisch selbst. Die Zerstörung des ökosozialen Projekts von | |
Andrea Ypsilanti in Hessen durch die SPD-Parteizentrale markierte – wie | |
man heute weiß – 2008 auch das Ende aller rot-rot-grünen Träume. | |
Danach baute der so desillusionierte wie weitsichtige Tarek Al-Wazir die | |
hessischen Grünen zur Verantwortungspartei der liberalen Mitte um, was sie | |
in Baden-Württemberg längst waren. Robert Habeck folgte in | |
Schleswig-Holstein, Cem Özdemir in der Bundeszentrale, Katharina Fegebank | |
in Hamburg, Katharina Schulze in Bayern. | |
Die Landesverbände, die die alte Anti-Establishment-Kultur hochhalten, | |
wurden derweil gesellschaftlich marginalisiert und abgewählt – wie in | |
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. | |
Dieser sich in einer pragmatisch-idealistischen Teilgesellschaft | |
vollziehende Wandel weg von der Gegen- und hin zur Verantwortungskultur ist | |
durch die solitäre Ministerpräsidentenfigur Kretschmann sichtbar gemacht, | |
aber auch dynamisiert worden. | |
Durch ihn haben viele Leute erst gemerkt, wo sie stehen und bewusst stehen | |
wollen: in der „liberalen Mitte“ der Gesellschaft. Das nämlich ist nach | |
Robert Habecks Definition heute grün. Demnach ist Kretschmann supergrün. | |
Und nun das Problem. [1][Die „bundesrepublikanische | |
Maß-und-Mitte-Orthodoxie“], wie Zeit-Vize Bernd Ulrich das nennt. | |
Kretschmanns Aufstieg zum Leitpolitiker zeigt einerseits die Entwichlung | |
von Maß und Mitte, das in Baden-Württemberg heute grün imprägniert ist und | |
nicht mehr schwarz – und damit deutlich gesellschaftsliberaler. | |
Aber es stimmt: Das alles dominierende Prinzip ist durch das | |
Erwachsenwerden der Grünen und die neue illiberale Konkurrenz zwar | |
modernisiert, aber längst nicht auf der sozialökologischen, globalen und | |
digitalen Problemlage. | |
„Das Alte ist das Neue“, sagte Winfried Kretschmann am Donnerstag auf die | |
Frage, was er denn für eine dritte Amtszeit auf der Pfanne habe. Damit | |
meint er ernsthafte Klimapolitik und die sozialökologische Transformation | |
der Wirtschaft, für die er in den Achtzigern angetreten ist. Die Mitte der | |
Gesellschaft fängt – auch durch die Friday-Kids – langsam an, ihn auch hier | |
ernst zu nehmen. Aber es dauert einfach alles so lang, wie es dauert. | |
Zu lang. | |
14 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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