# taz.de -- Spätaussiedler vor der Wahl: Nur Feinde oder Freunde | |
> Die AfD hofft auf viele Stimmen von Russlanddeutschen. Doch die sind | |
> großteils noch immer für Merkel – und wehren sich gegen Vorurteile. | |
Bild: Lilli Bischoff und Ernst Strohmeier wollen mit den demokratischen Parteie… | |
BERLIN taz | Ernst Strohmaier ist jemand, der gerne und viel redet. | |
Manchmal auch zu viel, sagt seine Kollegin Lilli Bischoff. Aber an diesem | |
Samstagmittag redet der kleine, rundliche Mann noch mehr und noch langsamer | |
als sonst. Am Tisch vor ihm sitzen drei ältere Männer, die er nur ungern zu | |
Wort kommen lassen will. Strohmaier ist stellvertretender Vorsitzender der | |
Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. In der Alten Börse in | |
Berlin-Marzahn leitet er zum Tag der Aussiedler und Vertrieben das Forum | |
Kultur und Werte, eine Art Workshop. | |
Die drei weißhaarigen Männer vor ihm sind sozusagen seine Feinde. Sie sagen | |
Dinge wie: „Wenn wir über unsere Kultur sprechen, dann müssen wir über ihr | |
Aussterben sprechen.“ Strohmaier lässt sie aussprechen, geht aber nicht | |
weiter auf ihre Bemerkungen ein. Er kennt die Männer, vor allem den einen, | |
der sich Papa Schulz nennt. Sie gehören zum rechten Spektrum unter den | |
Russlanddeutschen. Zu dem Spektrum, über das die Medien in letzter Zeit | |
viel berichteten und das Strohmaier vehement bekämpft. | |
Nach dem Forum sitzt der 63-Jährige im Nebenraum bei einer Tasse Kaffee und | |
lacht. Gegenwind ist er gewöhnt. „Wir haben nur Feinde oder Freunde“, sagt | |
er über die Landsmannschaft. Sein Akzent verrät die Herkunft. Strohmaier | |
wurde als Sohn deutscher Eltern in Sibirien geboren. „Staflager 525“. | |
Aufgewachsen ist er in Usbekistan, wo er zur ersten Generation der | |
deutschen Minderheit gehörte, die studieren durfte. 1987 floh er zunächst | |
in die DDR, zwei Jahre später in die BRD – kurz vor dem Fall der Mauer. | |
„Die Geschichte wollte mich einholen“, sagt er. | |
## Für Aufklärung, gegen Vereinnahmung | |
Seit drei Jahren ist Strohmaier stellvertretender Vorsitzender der | |
Landsmannschaft. Er kämpft für Aufklärung und – gegen die Vereinnahmung | |
durch die AfD. Dafür hat er schon Morddrohungen erhalten, auf Facebook wird | |
er regelmäßig beschimpft. Ob er der Partei dankbar für die gewonnene | |
Aufmerksamkeit der Russlanddeutschen ist? Er schüttelt den Kopf. „Die | |
benutzen uns nur für ihre Propaganda.“ Konkrete Unterstützung gebe es | |
nicht. Trotzdem sei das Bild, das zuletzt in den Medien entstanden ist, | |
nicht repräsentativ. Der Großteil der Russlanddeutschen unterstütze Merkel. | |
Auch Strohmaier ist CDU-Mitglied. Doch er sieht sich nicht als Wahlhelfer. | |
Ihm ist wichtig, dass alle demokratischen Parteien auf die | |
Russlanddeutschen zugehen. Dabei geht es ihm vor allem um ein Thema: die | |
Rente. „Wir wollen die Parteien für Themen wie Altersarmut sensibilisieren. | |
Denn wir glauben, dass ist vor allem ein russlanddeutsches Problem“, sagt | |
er. | |
Seit 1991 wurden die Renten der Spätaussiedler durch das Fremdrentengesetz | |
immer weiter gesenkt. Seit 1996 bekommen sie nur 60 Prozent der | |
bundesdeutschen Rente. Damals wurde die Höhe der Rente an die sogenannte | |
Ostrente gekoppelt, doch die stieg immer weiter an, die Fremdrente nicht. | |
„Populistisch würde das heißen: Unsere Kinder sind nur 60 Prozent der | |
deutschen Kinder wert“, fügt Strohmaier hinzu. | |
Für das Thema Fremdrente gehen er und seine KollegInnen quasi auf | |
Wahlkampftour. Die CDU ist bisher die einzige Partei, in deren | |
Regierungspapier explizit steht, dass sie die Benachteiligung der | |
Spätaussiedler abschaffen will. Immerhin geht es um 1,5 Millionen | |
Wahlberechtigte der insgesamt drei Millionen Russlanddeutschen. | |
## Wenn es darauf ankommt, ist die AfD nicht da | |
Ein Treffen mit Merkel gab es schon, auch mit der Linken. Nur die SPD sei | |
nicht auf sie zugegangen. Und das, obwohl soziale Gerechtigkeit doch das | |
größte Wahlkampfthema der Sozialdemokraten ist. Nach langem Warten hat | |
Strohmaier an diesem Nachmittag ein Treffen mit der Spitzenkandidatin Eva | |
Högl erreicht. | |
Aus dem Nebenraum dringen Akkordeonklänge und eine Mädchenstimme. Gleich | |
beginnt hier die Podiumsdiskussion mit den Parteien. Sie sollen die | |
Möglichkeit haben, sich zur Politik gegenüber den Russlanddeutschen zu | |
positionieren. Nur die AfD ist nicht vertreten. Lilli Bischoff, Strohmaiers | |
Kollegin, steht am Seiteneingang und schielt auf die Bühne. „Dass die nicht | |
hier sind, zeigt doch nur, dass sie eine populistische Partei sind“, sagt | |
sie. „Die sagen, sie wollen sich für uns einsetzen, aber wenn es drauf | |
ankommt, sind sie nicht da.“ | |
Kurz darauf stehen Lilli Bischoff und Ernst Strohmaier vor dem Gebäude und | |
warten auf ihren Fahrer. In einer Stunde beginnt das Treffen mit der | |
SPD-Bundestagsfraktion. Waldemar Eisenbraun, Bundesvorsitzender der | |
Landsmannschaft, eilt zu ihnen herüber „Wir sollten unbedingt noch einmal | |
unser Unverständnis äußern, dass es kein Spitzentreffen gab“, sagt er zu | |
den beiden. „Wir sind denen so lange hinterhergerannt.“ Strohmaier nickt. | |
„Am besten sie würden eine Erklärung abgeben. Wir könnten ihnen anbieten, | |
im Gegenzug ein gemeinsames Foto zu posten.“ Lilli Bischoff und Ernst | |
Strohmaier verabschieden sich. | |
Zwei Tage später sagt Strohmaier am Telefon nur: „Das Treffen war wichtig.“ | |
19 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Paul Toetzke | |
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