# taz.de -- Sozialer Brennpunkt: In der Höhle der Heuschrecke | |
> Die Situation in der Grohner Düne ist furchtbar, die Politik noch | |
> planlos. Dem neuen Eigentümer der Anlage wird nachgesagt, es gehe ihm nur | |
> um die Rendite. | |
Bild: Die Grohner Düne macht nicht den Eindruck, als seien große Verbesserung… | |
Auf den ersten Blick wirkt die Siedlung gar nicht so finster. Eine | |
Ansammlung beiger und weißer Hochhäuser, dazwischen sind überall Menschen | |
unterwegs, die sich lebhaft unterhalten. Doch bei näherem Hinsehen | |
verändert sich der Eindruck schnell. Eine Familie schiebt einen Wagen | |
voller Einkäufe in Richtung eines Eingangs und passiert dabei gut zwei | |
Dutzend leere Einkaufswagen, die mitten zwischen den Häusern stehen. | |
Eine Handvoll Mädchen stehen in einem Grüppchen zusammen und reden | |
durcheinander. „Die holen die Einkaufswagen immer hier ab“, sagen sie. Mit | |
„die“ meinen sie die Supermärkte, denen die Wagen gehören. Die Mädchen | |
gehen zu einem großen Spielplatz mit Sandkasten und einem Erdhügel, auf dem | |
ein Gerüst aus Ästen steht. „Da oben spritzen sich die Jugendlichen | |
Drogen“, sagt eine. Manchmal würden die Jugendlichen ihre Spritzen im Sand | |
liegen lassen – „dann spielen kleine Kinder damit“. | |
Auch wenn die Jugendlichen nicht da sind, fühlen sich die Mädchen auf dem | |
Spielplatz nicht sicher. „Wir werden manchmal von anderen Kindern bedroht, | |
weil wir keine Moslems sind“, erzählt ein Mädchen. Sie sei Jesidin, ihre | |
FreundInnen Christen. Ein anderes Kind sagt: „Mich haben sie schon mal | |
geschlagen.“ Die Kinder leben in der Grohner Düne, in Bremen-Vegesack. Die | |
570 Wohnungen dort gehören mittlerweile vollständig dem Immobilienkonzern | |
Grand City Property. Er hatte zum 1. März die erste Gebäudeeinheit von der | |
Deutsche Wohnen AG übernommen, am 1. Juli dann den zweiten, kleineren Teil | |
von einem niederländischen Eigentümer. Die Opposition in der Bremischen | |
Bürgerschaft hatte heftig kritisiert, dass die Stadt die Grohner Düne nicht | |
gekauft hatte. Claudia Bernhard von der Linksfraktion sagt: „Grand City ist | |
eine Heuschrecke.“ In Bremen ist der Konzern bereits bekannt, weil er auch | |
Wohnungen in der Neuwieder Straße 1 des Stadtteils Tenever besitzt. Dort | |
waren Sanierungen nur langsam vorangegangen. | |
Die Grohner Düne macht bis jetzt nicht den Eindruck, als seien große | |
Verbesserungen im Gange. Viele Häuserwände sind mit grünen Schlieren | |
überzogen, einzelne Wandplatten fehlen. In mehrere Wohnungen scheint | |
Feuchtigkeit eingedrungen zu sein: Wände und Fenster sind verschimmelt. An | |
manchen Aufzügen ist die Anzeige kaputt und die Knöpfe lassen sich schwer | |
drücken. Innen sind Scheiben verkratzt und Schilder angekokelt. Eines der | |
Mädchen, die sich auf dem Spielplatz bedroht fühlen, zeigt auf ein Haus und | |
ruft: „Da bin ich mal im Aufzug stecken geblieben!“ Ihrer Mutter sei in | |
einem anderen Aufzug das Gleiche passiert. Die Feuerwehr habe kommen | |
müssen, um sie zu befreien. | |
Grand City Property sieht die Schuld nicht bei sich. Pressesprecherin | |
Katrin Petersen schrieb am Donnerstag: „Die Voreigentümer haben über Jahre | |
Pflege, Wartung und Modernisierung der Aufzüge vernachlässigt.“ Und: „Wir | |
beginnen in dieser Woche umfangreiche Arbeiten an den Aufzügen, um den | |
jahrzehntelang aufgebauten Investitionsstau nach und nach abzuarbeiten.“ | |
Auch habe der Konzern seit der Übernahme unter Beweis gestellt, dass er | |
tatsächlich investiere. Auf die Frage nach konkreten Beispielen schrieb die | |
Sprecherin, man habe das Hausmeisterbüro renoviert und wieder eröffnet. Von | |
den Mietern werde das sehr gut angenommen. In der Mail heißt es auch: | |
„Grundsätzlich ist anzumerken, dass wir stets bemüht sind, von Mietern | |
angezeigte Mängel schnell zu prüfen und im gebotenen Rahmen zu beheben.“ | |
Die Mutter des jesidischen Mädchens erzählt anderes. Vom Hausmeister sei | |
keine Rückmeldung gekommen, als sie sich wegen des Schimmels beschwerte. Im | |
Badezimmer der Familie gibt es viele schwarze Flecken, die Mutter bekommt | |
es trotz ständigen Schrubbens nicht sauber. „Wir müssen hier ständig | |
lüften, sonst stinkt es zu sehr nach Schimmel“, sagt einer ihrer vier | |
Söhne. Sein jüngster Bruder und seine Schwester würden viel husten. | |
Auf die alarmierende Situation will jetzt auch die Stadt reagieren. Die | |
jeweils höchsten Beamten mehrerer Bremer Ressorts wollen sich regelmäßig | |
treffen, um Lösungen zu entwickeln: Die Runde besteht aus den Staatsräten | |
der Senatskanzlei und der Ressorts Bildung, Soziales, Inneres und Bau, | |
wobei Letztes federführend ist. Dass sie jetzt, wo die Wohnungen verkauft | |
wurden, tatsächlich etwas bewegen kann, wird aber angezweifelt. „Die | |
Arbeitsgruppe mutet eher wie eine Beruhigungspille für die zu Recht | |
verunsicherten und aufgebrachten Menschen vor Ort an“, findet die | |
Nordbremer CDU-Abgeordnete Silvia Neumeyer. Die Staatsräte müssten durch | |
konkrete Lösungen zeitnah beweisen, dass es ihnen nicht nur um die soziale | |
Show gehe. | |
Wie diese konkreten Lösungen aussehen sollen, das ist allerdings kaum | |
herauszufinden. Es sei „ganz schwer“, diese Frage zu beantworten, sagte | |
Jens Tittmann, Sprecher des Bausenators, der taz. „Wir stehen noch ganz am | |
Anfang und müssen erst mal feststellen, was wir tun müssen.“ | |
In einer Pressemitteilung zur Staatsräterunde heißt es, die Stadt wolle mit | |
Grand City Property zusammenarbeiten, aber auch Möglichkeiten schaffen, | |
veräußerte Immobilien zurückzukaufen. | |
Dabei hat Bremen laut Bernhard bereits ein Vorkaufsrecht. Ihrer | |
Einschätzung nach „kann es gut sein, dass der Konzern die Grohner Düne in | |
zwei Jahren wieder abstößt“ – dann müsse der Senat „auf der Matte steh… | |
und Geld in die Hand nehmen“. | |
5 Sep 2014 | |
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