| # taz.de -- Soloalbum „Northern Dancer“ von Stella Sommer: Magische Momente | |
| > Die Hamburgerin Stella Sommer veröffentlichte ihr zweites Soloalbum | |
| > „Northern Dancer“. Darin meistert sie klassisches Songwriting im | |
| > Alleingang. | |
| Bild: Pop-Esperanto an der Nordseeküste | |
| Wie es ihr so geht? Ach ja, so zwanzigzwanzig eben, sagt Stella Sommer, und | |
| man versteht intuitiv, was sie meint. Vielleicht ist das aber auch Sommers | |
| Normalnull, kommt einem in den Sinn, hört man nun „Northern Dancer“, das | |
| zweite Soloalbum der Bandleaderin von [1][Die Heiterkeit] aus Hamburg und | |
| Berlin, einem der besten Indierock-Ensembles deutscher Zunge. | |
| Ein Verdacht: Die Einsamkeit, der Abstand, das Aushalten oder wie | |
| [2][Stella Sommer] es formuliert, „Lockdown und Leerlauf“ – so muss ihr d… | |
| doch schon vergangenes Jahr gegangen sein, als sie die Songs für das Album | |
| komponierte! | |
| Auf dem neuen Werk namens „Northern Dancer“ ist Musik, die klingt wie | |
| herübergeweht aus den [3][goldenen Zeiten] des Pop. Die Musik passt zur | |
| tristen Gesamtstimmung so exakt, als hätten diese Songs nur auf den | |
| richtigen Moment gewartet, sich zu materialisieren. | |
| Geschenkt, dass sich die Presse nach dem Jahrzehnt, in dem Sommer zu einer | |
| der prägendsten Figuren der deutschsprachigem Musikszene wurde, nun endlich | |
| unausgesprochen auf sie geeinigt hat: Nun ist endlich genug damit, Sommer | |
| darauf zu reduzieren, wie ihre Stimme klingt, und sie mit den circa drei | |
| anderen Frauen im Pop zu vergleichen, die sonst noch so aufgerufen werden. | |
| Dabei: Kaum haben alle den Anstand, nicht mehr zu wiederholen, Sommer | |
| klänge wie [4][Nico], klingt sie auf einmal wirklich wie Nico. Fast. Und | |
| freilich wie die „Desertshore“-Nico, die zwischen Gothic-Folk, Neoklassik | |
| und Drone entlangreitet und deren Altstimme nie so ganz in die Lieder | |
| hineinpasst, die die Komposition für sie auslegt. | |
| Stella Sommers neue Lieder handeln von blauen Schatten, der Liebe allein | |
| und sieben Schwestern. Sie sind sparsam bis zur Sprödheit arrangiert, aber | |
| nutzen effektvoll ein ganz anderes Instrumentarium als ihre zuletzt | |
| elektrifizierte Hauptband: Streicher, Bläser, Pauke. | |
| ## Pop-Esperanto an der Nordseeküste | |
| „Northern Dancer“ ist ihr zweites Werk mit Songs, die komplett auf Englisch | |
| gesungen sind, der Sprache, in der sie als Elfjährige an der | |
| schleswig-holsteinischen Nordseeküste einst begonnen hat, eigene Songs zu | |
| entwerfen: Pop-Esperanto. Wie schon ihr Solodebüt „13 Kinds of Happiness“ | |
| (2018) ist auch das neue Album ein Plädoyer für Songwriting als Handwerk, | |
| für den simplen Kern hinter den Ornamenten der Arrangements. Man könnte | |
| diesen Ansatz konservativ nennen. Oder klassisch. Klassisch, konservativ | |
| und berückend schön. | |
| „Zeitlos“ nennt es Sommer: „Ich glaube, dass ich Musik immer am schönsten | |
| fand, wenn sie nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist. Wenn es ist, als | |
| wären die Lieder größer als der natürliche Lauf der Dinge, als würden sie | |
| sich dem Lauf der Zeit nicht unterordnen. Wenn man nicht weiß, woher etwas | |
| kommt, wann es entstanden ist. | |
| Wenn es von überall herkommen könnte“, sagt sie. Nun, eigentlich hat diese | |
| Musik natürlich Ort und Zeit, und das ist Westeuropa und Nordamerika, und | |
| das sind die späten 1960er und die frühen 1970er. Es geht um Folk aus | |
| England und aus dem [5][New Yorker Greenwich Village] und da sind typische | |
| Westcoast-Choräle. Das mag stimmen, lacht sie, aber wendet ein: „Auch in | |
| den Sechzigern klingen Songs nicht wie die Sechziger. Es ist eine andere | |
| Art, zu komponieren.“ | |
| ## Nach dem Ende der Indieslacker | |
| Ist da ein Unterschied zu Die Heiterkeit, eine Band, die beinahe | |
| exemplarisch die Gegenwart des deutschsprachigen Indie-Rock nach dem Ende | |
| von Slacker-Indierock darstellt? Das Debüt 2012 noch als Hamburger Trio, | |
| eine brillante Schrammelei, das dritte Album [6][„Pop & Tod I + II“] in | |
| völlig veränderter Besetzung 2016 schon als sakrales Meisterwerk mit Chor | |
| und letzten Dingen, entstanden zwischen Hamburg und Berlin. | |
| Das letztjährige Werk, „Was passiert ist“, schließlich derart post-genre | |
| (Gothic Eurodance?), dass es eigentlich nur im Heute spielen kann. Und dann | |
| ist da eben noch die Sprache: „Selbst wenn man sich mit Die Heiterkeit | |
| musikalisch in den Sechzigern bewegen würde, ist man im deutschsprachigen | |
| Indierock doch immer an das Heute gebunden, weil es ihn einfach nur in | |
| einer bestimmten Zeit gab“, sagt Sommer: „Auch das ist das Spannende am | |
| Texten auf Englisch, dass es einen ganz anderen Rahmen gibt.“ | |
| Oder mehrere, denn genau wie die Songwriter-Ikonen der Sechziger, die stets | |
| mit einem fiktiven, eingebildeten archaischen Wissen verbunden schienen, | |
| beherrscht auch Stella Sommer das Spiel mit dem mystisch Verrätselten; sie | |
| lässt eine poetische Vagheit anklingen, die nicht einmal so tut, als würde | |
| sie von etwas handeln außer der Sprache selbst. | |
| Als Inspiration diente ihr ein Gedichtband: „Texte indigener Völker, simple | |
| Verse, ganz kurz. Man weiß nie so richtig, um was es geht, nur: Etwas | |
| Magisches ist passiert.“ Eine Magie, die sie selbst beim Texten bemerkt. | |
| Dass sie gerne manchmal weiter ausholen würde, als das Songformat es | |
| zulässt, verneint sie: „Ich schreibe intuitiv. Manchmal geht das so | |
| schnell, dass ich nicht weiß, wo etwas hergekommen ist. Manchmal weiß ich, | |
| was ich mir dabei gedacht hatte, aber oft denke ich auch einfach nichts.“ | |
| Sie lacht, zu Recht: Muss man ihn sich schließlich erst einmal leisten | |
| können, diesen Satz. Und das kann sie. Mit „Northern Dancer“ tritt Sommer | |
| nicht nur musikalisch autonom auf – sie hat dafür auch soloselbstständig | |
| ihr eigenes Label gegründet. Diese Entscheidung ist der Pandemie geschuldet | |
| beziehungsweise der dadurch entstandenen unsicheren Lage auf dem Markt und | |
| der Flaute auf den Bühnen. | |
| Erste Gespräche mit Labels über das fertiggestellte Album im Frühjahr | |
| verliefen allzu zögerlich. „Da dachte ich mir: Bevor ich jetzt noch ewig | |
| rumeiere und sich kein Label entscheiden kann, weil ja niemand wusste, wie | |
| es weitergeht, mach ich es lieber selbst.“ | |
| So verhandelte Sommer diesmal direkt mit Vertrieb und [7][Presswerk]. Spaß | |
| mache dieses Verhandeln nicht, viel mehr Arbeit bedeute es allerdings auch | |
| nicht. Und dabei ist sie auch noch vom Pech verfolgt, gerade mussten zum | |
| zweiten Mal aufgrund eines Herstellungsfehlers im Presswerk die just | |
| ausgelieferten Vinyl-Exemplare zurückgerufen werden. „Wirklich komplette | |
| 2020er-Veröffentlichung“, winkt sie grinsend ab, ohne jede Spur von Gram. | |
| Das Album eines Jahres: Vermutlich ist nicht Stella Sommer gerade | |
| hineingeworfen in eine merkwürdige Zeit, sondern die Zeit hineingeworfen in | |
| einen Ausnahmezustand, in dem Stella Sommer sich mit „Northern Dancer“ | |
| längst gut eingerichtet hat. | |
| 27 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Steffen Greiner | |
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