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# taz.de -- Skandale in Sachsen-Anhalt: Fördergeld und Feldhamster
> An Gerichten und in Untersuchungsausschüssen ist in dem Land immer etwas
> los. Eine Auswahl delikater Affären, Skandale und Investitionsgräber.
Bild: Der Flughafen in Cochstedt wird inzwischen anders genutzt
Nicht nur wegen Corona herrscht am ehemaligen sowjetischen Militärflughafen
Cochstedt 40 Kilometer südwestlich von Magdeburg erholsame Ruhe. Nur einige
Versuchsdrohnen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt steigen auf,
seit der Flughafen 2016 nach mehreren Insolvenzen seine Betriebserlaubnis
verlor.
[1][Dabei gingen die Träume eines sachsen-anhaltischen Nationalflughafens
hier einst in die Luft.] Rund 60 Millionen Euro öffentlicher Fördermittel
flossen in den Ausbau. Sogar als Alternative zum Ewigkeitsprojekt des
Schönefelder Flughafens war Cochstedt im Gespräch.
Aber es wollten sich immer weniger Fluggäste und auch immer weniger
Betreiber finden. Zuletzt versuchte es Ryanair von 2011 bis 2013 sogar mit
Linienflügen. Erfolglos. Zu allem Überfluss stürzte 2019 auch noch ein Teil
des erst vor wenigen Jahren errichteten Terminals ein.
## Alpine Illusionen in Schierke
Ein ähnliches Debakel blieb dem Harzer Wintersportort Schierke erspart, wo
schon der Kaiser gern Ski lief. [2][Auf 600 Metern Höhe sollte eine
Skiarena dem Klimawandel trotzen], obwohl es nebenan am Wurmberg bei
Braunlage bereits Pisten gibt. Ein paar Hektar Wald und einige Moore würde
man für den erlösenden Tourismus schon opfern, hieß es.
Neben den öffentlichen Fördermitteln wollte Investor Gerhard Bürger bis zu
20 Millionen Euro einsetzen. Vor allem der Einsatz der Grünen und der
Naturschutzverbände verhinderte das lokal eifrig verfochtene irrwitzige
Projekt. In diesem Frühjahr gab der Investor auf. 2018 schon hatten Teile
der Grünen andernfalls mit einem Koalitionsbruch gedroht.
## Immer diese Fördermittel
[3][Im förderbedürftigen Sachsen-Anhalt ist man für Fördermittel besonders
empfänglich.] In den Jahren 2005 bis 2008 legten 25 Firmen und das
Bildungszentrum der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau dem
Landesverwaltungsamt gefälschte Anwesenheitslisten und Verwendungsnachweise
für angebliche Bildungskurse vor: Fördergelder aus dem Europäischen
Sozialfonds winkten.
Nach dem Auffliegen forderte zu Prozessbeginn 2015 das Verwaltungsamt 7,2
Millionen Euro zurück. Parallel befasste sich im Landtag ein
Untersuchungsausschuss mit der Affäre, die noch die Landtagswahl 2016
überschattete. Wenig später wurden die beiden Hauptbeschuldigten wegen
Subventionsbetruges zu fünf Jahren Haft beziehungsweise zwei Jahren
Bewährung verurteilt.
## Von der Ostens Ost-Netzwerk
Weniger eindeutig für das Land ging eine 20 Jahre schwelende Affäre um die
ebenfalls in EU-Fördermitteln schwimmende Landesbeteiligungsgesellschaft
IBG aus. Sie sollte einheimischen Unternehmern mit öffentlichem Geld zu
Eigenkapital verhelfen. [4][Nicht nur Unternehmern offenbar, sondern auch
Geschäftsführer Dinnies Johannes von der Osten.]
Es begann 2001 mit einer Landesbeteiligung am später krisengeschüttelten
Solarzellenhersteller Q-Cells. Nach der Entlassung des Geschäftsführers
2013 fanden ein Untersuchungsausschuss des Landtages und der Rechnungshof
immer mehr Indizien, dass von der Osten privat kräftig verdiente und Gelder
an Firmen lancierte, an denen er beteiligt war. Die Aufsicht des Landes
habe versagt.
Die EU drehte daraufhin Sachsen-Anhalt zunächst den Förderhahn zu. Von der
Osten aber gelang es, bis zum April dieses Jahres insgesamt 21 Millionen
Euro vom Land für entgangene Vergütungen erfolgreich einzuklagen. Sein
Arbeitsvertrag erlaubte es ausdrücklich, Beteiligungen an anderen
Unternehmen „zustimmungsfrei zu unterhalten und einzugehen“.
## Fahrräder und Feldhamster
In der DDR teilte sich der Fahrradbauer Mifa in Sangerhausen mit dem
Konkurrenten Diamant aus dem heutigen Chemnitz den nicht gerade üppigen
Markt. Nach Expertenmeinung wurde Mifa nach 1990 die Fortsetzung der
Strategie zum Verhängnis, vor allem den Billigsektor zu beliefen, sich also
mit der asiatischen Konkurrenz anzulegen. Drei Insolvenzen in sechs Jahren
waren die Folge.
2021 übernahm ein Schweizer noch 75 der einst 600 Mitarbeiter. Der vom
Aussterben bedrohte Feldhamster aber sorgte für eine rührende Episode in
der Mifa-Geschichte: Beim Werksneubau 2016 gab die Stadt Sangerhausen aus
Liebe zu Fahrrad und Tier 816.000 Euro für eine Aufzuchtstation aus,
nachdem auf dem Gelände etwa 100 der putzigen Tiere vermutet wurden – am
Ende wurden 2 gefunden.
## Hundertwasserhaus und ein verzocktes Bistumsvermögen
Gegen den teils unverschämten Reichtum der katholischen Kirche kämpfte das
Bistum Magdeburg auf seine Weise. Nicht freiwillig, denn zunächst trat die
eigene Gero AG als Immobilienspekulant auf, baute unter anderem in
Magdeburg Hundertwassers letztes Hausprojekt, die „Grüne Zitadelle“.
Doch 2009 bat Bischof Gerhard Feige die Gläubigen um „fürbittendes Gebet“,
das Schritte zur Schadensbegrenzung begleiten solle. Die Gero AG habe bei
Geschäften mit erneuerbaren Energien und Biotechnologie hohe Verluste
eingefahren. Der Gebetsbedarf stieg noch, als bekannt wurde, dass
Geschäftsführer Norbert Diehl auch international gezockt hatte, unter
anderem mit Schiffsbeteiligungen. Auf 45 Millionen Euro wurden infolge der
Weltfinanzkrise 2008 die Verluste des Bistums geschätzt. Diehl fühlte sich
indessen als Sündenbock, weil alle Schritte mit der Bistumsspitze und den
Aufsichtsgremien abgestimmt gewesen sein sollen.
2012 kam die ehemalige Gero-Spitze bei einem außergerichtlichen Vergleich
mit dem Bistum mit 1 Million Euro Schadensersatz glimpflich davon. 2015
offenbarte das Bistum Magdeburg erstmals seine bescheidenen
Vermögensverhältnisse infolge der Gero-Pleiten. Nur 11 Millionen auf der
hohen Kante – allerdings ohne Bewertung des Immobilienvermögens.
## Neonazis und Bürger mit Reichsfantasien
Der Koch Peter Fitzek aus Wittenberg wurde als „König von Neu-Deutschland“
in der ganzen Republik bekannt. Seine Pseudo-Staatsgründung in
Reichsbürgermanier diente indessen dazu, 550 gutgläubige Anleger bei seiner
„Gesundheitskasse“ um Millionen zu erleichtern. Er wurde 2017 zu drei
Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.
Eine bedenklichere ideologische Metamorphose war an zwei Amtsträgern zu
beobachten. 2010 gelang es zunächst nicht, dem NPD-nahen
Bezirksschornsteinfegermeister Lutz Battke aus Laucha im Burgenlandkreis
das Amt zu entziehen und ihn vom Training des Fußballnachwuchses
fernzuhalten.
Das schaffte erst zwei Jahre später das Bundesverwaltungsgericht. Battke
hatte unter anderem an einer Feier für die Mörder des jüdischen
Außenministers Walter Rathenau aus der Weimarer Republik teilgenommen.
Ebenfalls zwei Jahre dauerte es, bis 2015 der ebenfalls aus dem
Burgenlandkreis kommende Bürgermeister von Krauschwitz Hans Püschel zu
25.000 Euro Geldstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Der frühere
SPD-Politiker, der zur NPD abdriftete, hatte auf seiner Internetseite unter
anderem geschrieben, „Holocaust-Leugnung ist Menschenrecht“.
6 Jun 2021
## LINKS
[1] /!454464/
[2] /Geplantes-Ski-Paradies-im-Harz/!5260505
[3] /Dessauer-Filz-vor-Gericht/!5236773/
[4] /Verlustgeschaeft-in-Sachsen-Anhalt/!5062626
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Sozialbetrug
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