# taz.de -- Seltener Auftritt von Rainald Goetz: Abstrakte Texte und echte Mens… | |
> Der Autor Rainald Goetz schenkt der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ | |
> eine fulminante Blattkritik. Ein Ortstermin im Berliner | |
> Wissenschaftskolleg. | |
Bild: Texte unter Hochdruck: Rainald Goetz am Berliner Wissenschaftskolleg | |
BERLIN taz | Ein Raum, der von Rainald Goetz gelesen wird, ist nicht mehr | |
derselbe. Einer, der von ihm bespielt wird, auch nicht. Man hatte es, weil | |
der Schriftsteller sich zuletzt eher rar gemacht hat, etwas vergessen. | |
Jetzt aber. Wie von selbst fliegt an diesem Mittwoch im Berliner | |
Wissenschaftskolleg der notierende Stift über die Seiten. „Zeitschrift ist | |
soziale Energie“, schreibt man mit und „Freude an Autorschaft“, „Hochdr… | |
des Schreibens“. Den Gedanken, dass man in der Hysterie des Schreibens sein | |
müsse, um zu hören, was die Sprache von sich aus will, notiert man. Und | |
dass man zum Verstehen anderer Menschen aber „den realen Kontakt mit realen | |
Körpern braucht“. | |
Und schließlich noch, dass die „im Text gespeicherte Hysterie“ bei so einer | |
Feierstunde zum Erscheinen einer neuen Ausgabe einer Kulturzeitschrift in | |
die „Hysterie intersubjektiver Begegnungen“ übersetzt wird, wenn es glück… | |
Der Schriftsteller Rainald Goetz hat im Berliner Wissenschaftskolleg also | |
einen Vortrag über die neue Ausgabe der [1][Zeitschrift für | |
Ideengeschichte,] zu der er auch einen (großartigen) Beitrag beigesteuert | |
hat, gehalten. Wo war er [2][die vergangenen Jahre?] Von seinem | |
Erkenntnisfuror hat er nichts verloren. Und die längst hinzugewonnene | |
Freundlichkeit den Menschen und Dingen gegenüber steht ihm gut. | |
Und so gewährte das Zuhören an diesem Abend eine schnelle Abfolge von | |
Mikro-Epiphanien – kurz aufglimmende Einblicke in die Dinge und | |
Zusammenhänge, wie sie wirklich sind, in ihrer Kompliziertheit. | |
## Aanlog ist besser | |
Durch den Straßenverkehr wird man sich nun, nachdem Rainald Goetz ihn | |
beschrieben hat – ständige „Konfliktabwehr durch Koordination“ der | |
Verkehrsteilnehmer, Konfrontation mit „von sich selbst überforderten | |
Regulierungsbemühungen“ an der Ampel –, eine Zeit lang anders bewegen. Auch | |
das Schreiben als sozialer Akt steht nach diesem Vortrag noch eine Weile | |
irgendwie leuchtend da. | |
Nur dass man sich aber auch darüber wunderte, wie medienkulturell | |
konservativ der Vortrag in seiner Analog-ist-besser-Grundierung ausfiel. | |
Was noch nicht einmal nur daran lag, dass Rainald Goetz das Analoge – die | |
reale Begegnung, das materielle Printprodukt – gegenüber dem Digitalen so | |
vehement favorisierte. Es lag eher an dem Material, auf das er sich dabei | |
bezog und das, mit Verlaub, in der FAZ-Welt der 90er Jahre steckenblieb. | |
Die real existierende Zeitungsseite als Kunstwerk feiern, schön und gut, | |
aber lässt sich Henning Ritters „Geisteswissenschaften“-Seite, nur ein | |
Beispiel, tatsächlich immer noch als gegenwärtiger Maßstab behaupten? Wenn | |
schon FAZ, hätte man ja auch etwas zu den Versuchen sagen können, die | |
ikonische „Bilder und Zeiten“-Beilage jetzt im Digitalen wiederauferstehen | |
zu lassen. Vielleicht hat er, dachte man zwischendurch, zum gegenwärtigen | |
Feuilleton insgesamt den Kontakt verloren – was natürlich, auch wenn man es | |
bedauert, sein gutes Recht ist, es ist eben nur ein veränderter Rainald | |
Goetz (was auch sein Recht ist). | |
## Überzeugend euphorisiert | |
Doch eine schöne Feier der Kulturzeitschriften lieferte er unbedingt ab. | |
Ausgaben der Zeitschrift für Ideengeschichte, von Sinn und Form, Merkur und | |
Das Wetter hielt er hoch. Und siehe: Sie hatten allesamt nichts Verstaubtes | |
an sich, weil Rainald Goetz die in ihnen gebündelte intellektuelle Energie | |
so überzeugend euphorisierte. | |
An dieser Stelle erschien das Primat des Analogen auch einleuchtend: Das | |
lief darauf hinaus, dass, wenn überzeugend Texte zueinanderfinden, Menschen | |
zusammenkommen. Abstrakte Texte, echte Menschen, na ja, so war’s dann beim | |
Smalltalk hinterher auch. | |
Schon toll: Nach diesem Auftritt wirkten die Intellektuellen-Zeitschriften | |
geradezu glamourös. Das war das Geschenk des Schriftstellers Rainald Goetz | |
an diesem Abend. Wenn man die Reaktionen von Florian Meinel und Carlos | |
Spoerhase, der Herausgeber der aktuellen Zeitschrift für Ideengeschichte, | |
und ihres Redakteurs Stephan Schlak richtig deutet, nahm man das Geschenk | |
leicht überfordert, aber vor allem voller Dankbarkeit an. Zu Recht. | |
26 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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