| # taz.de -- Selbstdiagnose im Internet: Dr. Google hilft tatsächlich | |
| > Immer wieder wird davor gewarnt, sich im Internet über Krankheiten zu | |
| > informieren. Trotzdem machen es alle. Und das ist auch gesund so. | |
| Bild: Falls Sie per Google hier gelandet sind: Bei Erkältung hilft heißer Tee. | |
| Die Haut juckt, nachts vor allem und nach dem Duschen. Sie ist rot und | |
| irgendwie rau, und mit dem Winter nimmt das zu. Was tun? Die meisten | |
| Menschen machen erst mal eins: Sie googeln. | |
| Sie tippen vielleicht „Haut“ und „jucken“ oder „Haut“ und „trocke… | |
| scrollen über die ekligen Bilder von Ekzemen und Hautpickel hinweg und | |
| landen auf einer Seite, die das Thema behandelt. | |
| Während dieser Recherche wird das schlechte Gewissen des Googlers immer | |
| größer. Denn obwohl es wirklich alle tun, haben alle auch schon hundertmal | |
| gehört, dass man Krankheiten nicht googeln dürfe, weil man immer einem | |
| Eintrag begegnen würde, der in etwa so laute: „Das hatte meine Schwester | |
| auch, und drei Tage später war sie tot.“ | |
| Man muss solche Foren natürlich nicht lesen, genauso wenig, wie man an | |
| solche Aussagen glauben muss. Natürlich können die vielen Informationen | |
| verunsichern. Doch nicht alle Menschen, die nach Krankheiten googeln, sind | |
| gleich Cyberchonder. Und nicht Google macht sie dazu, genauso wenig, wie | |
| Computerspiele Menschen zu Mördern machen. | |
| ## Unabhängige Qualitätssiegel | |
| Warnungen vor „Dr. Google“ und die Einschätzung, „Rat aus dem Internet | |
| macht krank“ sind Quatsch. Zum einen gibt es viele gute Internetseiten zum | |
| Thema Gesundheit wie Netdoktor, Onmeda oder auch die Apotheken-Umschau. Zu | |
| ihnen gelangt man über Google meist auch als Erstes. Anders als beim | |
| Hausarzt erhält man im Netz auch unabhängige Expertenprüfungen: Die | |
| Stiftung Warentest bewertete genau diese Seiten hinsichtlich fachlicher | |
| Qualität und finanzieller Transparenz für gut oder zumindest befriedigend. | |
| Unabhängige Stiftungen wie die Schweizer Health On the Net Foundation geben | |
| den Seiten ein Siegel für Qualität und Seriosität. Eine Liste mit | |
| Internetforen, bei denen man keine Angst haben muss, dass ein als | |
| Betroffener getarnter Pharmavertreter Werbung für eine teure Behandlung | |
| macht, gibt es auf Selbsthilfe-Interaktiv. | |
| Eine Studie der Europäischen Kommission zeigt, dass sechs von zehn | |
| Europäern ins Internet gehen, wenn sie Informationen zur Gesundheit suchen. | |
| 90 Prozent von ihnen sagen, dass sie zufrieden sind mit dem, was sie | |
| finden. Dennoch wird das Krankheiten-Googeln seinen üblen Ruf nicht los. | |
| Auch Ärzte warnen: Laien können die unseriösen Seiten nicht erkennen. | |
| ## Patienten werden klüger | |
| Vielleicht steckt hinter den Warnungen der Ärzte aber auch etwas Tieferes: | |
| Patienten wollen nicht mehr den alten Gott in Weiß. Sie glauben ihm nicht | |
| alles, googeln über die Diagnosen auch nach dem Arztbesuch. Eine aktuelle | |
| Studie der Asklepios Kliniken erfasst, dass das zwei von drei Deutschen | |
| machen. | |
| Die Patienten sind selbstbewusster und lassen sich bei einer Erkältung | |
| nicht mehr einfach so Antibiotika reinblasen oder, nur weil es ziept, das | |
| Knie aufschneiden. Patienten kennen sich besser aus denn je, und das nicht | |
| zuletzt wegen des Internets. Das nervt viele Ärzte. | |
| Und ganz ehrlich: Wer glaubt noch an das deutsche Gesundheitssystem, in dem | |
| der Arzt sich durchschnittlich acht Minuten Zeit für den Patienten nimmt? | |
| Wer glaubt daran, dass alle 15,8 Millionen Operationen im Jahr 2013 | |
| Heilmittel gewesen seien und nicht Maßnahmen, um das Schuldenloch des | |
| Krankenhauses zu stopfen? Dass der Arzt tatsächlich das beste Medikament | |
| empfiehlt und dafür keinen dicken Scheck erhält? | |
| Das soll nicht heißen, alle Ärzte seien korrupt. Es gibt zahlreiche | |
| Chirurgen, die sich gegen überflüssige Operationen aussprechen, und | |
| Mediziner, die sich nicht bestechen lassen wie die bei Mezis, der | |
| „Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte“. | |
| Statt zu schimpfen, wäre es an der Zeit, das Phänomen des | |
| Krankheiten-Googelns empirisch zu erforschen. Vielleicht findet man dadurch | |
| Hinweise, an welchen Stellen das marode Gesundheitssystem verbessert werden | |
| könnte. | |
| ## Sechs Wochen Wartezeit beim Hautarzt | |
| Menschen googeln symptomorientiert. Macht es also nicht viel mehr Sinn, die | |
| Strukturen der Arztpraxen diesem Verhalten anzupassen? Statt von einem zum | |
| nächsten Facharzt zu rennen, in eine Schwindel- oder Kopfwehpraxis zu | |
| gehen? | |
| Die Geschichte mit dem eingangs erwähnten Hautproblem endete übrigens so: | |
| Nach intensiver Google-Recherche fanden sich in Berlin drei Hautärzte, von | |
| denen nur einer nach etwa 25 Versuchen telefonisch zu erreichen war. Einen | |
| Termin gab es erst sechs Wochen später. Es folgten eine Stunde Wartezeit in | |
| einem kalten Wartezimmer und ein Arzt, der sich etwa 10 Sekunden lang die | |
| Haut ansah und sagte: „Jaja, Veranlagung, da hilft nur cremen, cremen, | |
| cremen.“ Ohne nähere Diagnose, dafür wurde die Patientin mit Probepackungen | |
| von teuren Cremes nach Hause geschickt. Nicht mal die statistischen acht | |
| Minuten waren bei diesem Besuch drin. | |
| Zu Hause angekommen, wurde die zertifizierte Seite der Techniker | |
| Krankenkasse aufgerufen, die Symptomgeneratoren und Apps anbietet. Der Rat: | |
| baden mit Salz und eine Creme, die Urea und Glycerin enthält. Eine solche | |
| Creme kostet 2,45 Euro im Drogeriemarkt. Die ersten Tests wurden schon | |
| gemacht: läuft. | |
| 24 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Maria Rossbauer | |
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