# taz.de -- Schwangerschaftsabbruch in Flensburg: Stadt sucht Abtreibungs-Arzt | |
> Weil zwei christlicher Kliniken fusionieren, wird in Flensburg die | |
> Möglichkeit wegfallen, im Krankenhaus abzutreiben. Die Stadt will Ersatz | |
> schaffen. | |
Bild: Vor einem Jahr protestierten Flensburger*innen gegen die ökumenische Kli… | |
NEUMÜNSTER taz | In Flensburg soll das erste ökumenische Krankenhaus | |
Deutschlands entstehen. Das von Trägern, Stadt und Land gewollte | |
Großprojekt hat aber einen Haken: Schwangerschaftsabbrüche wird es in der | |
neuen Klinik nicht geben. Nun will die Stadt dafür selbst Ärzt*innen | |
einstellen. Die Beratungsstelle Pro Familia und der Berufsverband der | |
Frauenärzt*innen kritisieren den Plan. | |
Für die Leitung des St.-Franziskus-Hospitals, das zum Malteser-Orden | |
gehört, ist die Sache klar: Das Nein zu Abtreibungen sei eine | |
„ethisch-moralische, grundsätzliche Position der katholischen Kirche “, | |
hatte Klaus Deitmaring, Geschäftsführer des 340-Betten-Hauses, im Oktober | |
2019 gesagt. Auch heute finden Schwangerschaftsabbrüche nur in Notfällen | |
statt, wenn das Leben der Frau bedroht ist. Im evangelischen | |
Diakonissenkrankenhaus „Diako“ mit rund 500 Betten können Frauen bislang | |
aus sozialen Gründen abtreiben. Im gemeinsamen Klinikum wird das künftig | |
nicht mehr möglich sein. Für die katholische Seite sei der Punkt „nicht | |
verhandelbar“, so Deitmaring. | |
Auf die Frage, wohin sich ungewollt Schwangere wenden können, erwidern die | |
Kliniken, Schwangerschaftsabbrüche würden auch niedergelassene | |
Frauenärzt*innen übernehmen. „Stimmt“, sagt Reiner Johannsen, | |
Landesgeschäftsführer der Beratungsstelle Pro Familia, „aber viele Frauen | |
ziehen es vor, ins Krankenhaus zu gehen, allein, um bei Komplikationen die | |
Technik im Hintergrund zu wissen.“ | |
Vor gut einem Jahr hat Flensburgs Ratsversammlung einen runden Tisch | |
eingesetzt, um ein alternatives Angebot für Schwangere zu finden. Die Runde | |
mit Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), Vertreter*innen von | |
Krankenhäusern, Sozialministerium und Pro Familia schlägt nun eine | |
„dauerhafte kommunale Lösung“ vor: Die Stadt stellt selbst eine*n Ärzt*in | |
ein und gründet eine Praxis – nah beim, aber nicht im neuen Klinikum. | |
Der Gesundheitsausschuss der Stadt hat zugestimmt, auch wenn Abgeordnete | |
vor allem von SPD und Grünen gern mehr erreicht hätten. Stadtsprecher | |
Clemens Teschendorf sagt: „Auch wir hätten uns eine Lösung in der Klinik | |
gewünscht, aber es geht darum, das Angebot für die Region zu erhalten.“ | |
Doch viele Fragen sind noch ungeklärt: Wie soll die Organisation der | |
kommunalen Praxis aussehen? Wie teuer wird das Projekt? Lässt sich ein*e | |
Bewerber*in für die Stelle finden? Wie läuft die Vertretung bei | |
Abwesenheit? „Das sind Detailfragen, die nun in der Arbeitsgruppe | |
besprochen werden müssen“, sagt Teschendorf. Zeit ist bis 2023, wenn ein | |
entsprechender Vertrag mit dem heutigen Diako-Krankenhaus ausläuft. | |
Doris Scharrel, Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzt*innen, | |
sieht weit mehr als nur offene Detailfragen. Sie stellt die Idee | |
grundsätzlich infrage: „Kein Arzt, keine Ärztin würde sich darauf | |
einlassen, nur Abtreibungen vorzunehmen.“ Zudem müsse man an die Frauen | |
denken: „Wenn in einem Gebäude nur Schwangerschaftsabbrüche stattfinden, | |
ist das höchst problematisch.“ | |
Schwierig seien auch Haftungs- und Kostenfragen: „Schwangerschaftsabbrüche | |
sind angesichts hoher Versicherungsgebühren kaum kostendeckend zu machen.“ | |
Denkbar sei stattdessen, die Eingriffe in ein ambulantes OP-Zentrum zu | |
verlagern, in dem niedergelassene Ärzt*innen verschiedene Operationen | |
vornehmen. So ein Zentrum gibt es in Flensburg bereits, allerdings nicht | |
auf dem Gelände des künftigen Klinikums. Diese räumliche Nähe wünscht sich | |
die Stadtpolitik aber. | |
Klar ist: Weder die Stadt noch das Land wollen den Zusammenschluss | |
gefährden. Beide Krankenhäuser arbeiten seit fast 150 Jahren in Flensburg, | |
seit einigen Jahren kooperieren sie. Nun sind sie sanierungsbedürftig. Das | |
Land müsste dafür dreistellige Millionenbeträge aufbringen und will | |
stattdessen einen Neubau bezahlen, im Frühjahr hat das Bundeskartellamt den | |
Weg frei gemacht. Bis 2026 soll ein Haus mit rund 700 Betten entstehen, in | |
dem pro Jahr 100.000 Menschen ambulant und stationär behandelt werden | |
können. | |
Die Idee des städtischen Abtreibungs-Angebots sieht auch Reiner Johannsen | |
von Pro Familia kritisch und will auf die vielen offenen Fragen rasch | |
Antworten. Ihn treibt die allgemeine Entwicklung um: „Es wird | |
gebetsmühlenhaft wiederholt, wir hätten in der Region eine gute Versorgung. | |
Tatsächlich mag das Angebot besser sein als in anderen Gegenden | |
Deutschlands, aber auch hier sind Praxen auf dem Rückzug, die ambulante | |
Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.“ Grund sei eine veränderte Einstellung | |
in der Ärzteschaft: „Die Älteren, die in den Jahren der 68er-Bewegung | |
sozialisiert worden sind, sehen es als ihre Aufgabe an. Aber viele Jüngere | |
streben nicht einmal die Genehmigung für ambulante OPs an.“ | |
Doris Scharrel bestätigt: „Jüngere sehen das Thema durchaus als wichtig an, | |
aber sie sind oft unsicher, auch wegen der bürokratischen Hürden, um die | |
Erlaubnis für ambulante Eingriffe zu erhalten.“ Sie wünsche sich ein | |
generelles Umsteuern – weg von Eingriffen, hin zu mehr | |
Schwangerschaftsabbrüchen per Medikament. Dabei liege Deutschland im | |
EU-Vergleich weit hinten: „Es wird Zeit, dass wir zum internationalen | |
Standard aufschließen.“ | |
23 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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