| # taz.de -- Scholz-Antwort bei G7-Gipfel: Der Schröder-Moment | |
| > Auf einer Pressekonferenz auf dem G7-Gipfel ließ Kanzler Scholz eine | |
| > Journalistin arrogant abblitzen – ein Politikstil, der nicht mehr | |
| > zeitgemäß ist. | |
| Bild: Mit Spannung wurde die Abschlusspressekonferenz in Elmau erwartet | |
| [1][Bevor Gerhard Schröder (weiterhin SPD)] Lobbyist für ein russisches | |
| Gas-Unternehmen wurde, war er bis 2005 Bundeskanzler. Pressekonferenzen mit | |
| ihm waren stets von der Frage geprägt, ob es seinem saalfüllenden | |
| Einzel-Ego gelingen würde, die Wolke der Journalisten-Egos in die Winkel | |
| und Nischen des Raums zu verdrängen. Meistens gewann das Schröder-Ego. | |
| Wobei man wissen muss, dass auch das Selbstbewusstsein vieler Kollegen | |
| gerade Anfang der nuller Jahre recht ausgeprägt war. | |
| Schröder aber hatte Techniken, seine Überlegenheit zu beweisen und zu | |
| vergrößern. Gern pickte er sich eine Fragestellerin oder einen Fragesteller | |
| heraus, nutzte irgendeinen Aspekt der Frage, der sich mutwillig | |
| missverstehen ließ, verdrehte diesen und führte den Kollegen oder – oft | |
| genug – die Kollegin damit vor. Im September 2004 tagte das damalige | |
| rot-grüne Kabinett in Bonn. Die Pressekonferenz dazu fand im „Tulpenfeld“ | |
| statt, dem Ort der Bundespressekonferenz zu Alt-Westrepublik-Zeiten. | |
| Es meldete sich eine Journalistin aus Saudi-Arabien, sie erkundigte sich | |
| nach dem Programm für den bevorstehenden Besuch des irakischen Präsidenten. | |
| Schröder guckte abfällig und beschied ihr: „Auf der Tagesordnung beim | |
| Besuch des Präsidenten des Irak steht die Lage im Irak.“ Welche Hilfe der | |
| Irak zu erwarten habe, das sage er „erst dem Präsidenten und dann Ihnen“. | |
| Deutlich hörbar wurde im getäfelten Raum gekichert, allerdings nur von | |
| Männern. | |
| Wer auch immer diese Kollegin aus Saudi-Arabien war – Schröder konnte | |
| darauf vertrauen, dass er die Gelegenheit, sie abzukanzeln, schadlos nutzen | |
| konnte. Willkommener Nebeneffekt solcher Aktionen: Allen anderen wird der | |
| leise Schauer die Wirbelsäule hochgeschickt, dass es ihnen jederzeit | |
| ähnlich ergehen könnte. Mit nervös gestellten Fragen lässt es sich leichter | |
| regieren. | |
| ## Veraltete Kulturtechniken | |
| Diese Woche nun hatte Bundeskanzler Olaf Scholz auf der | |
| Abschluss-Pressekonferenz [2][zum G7-Gipfel] am Dienstag in Elmau einen | |
| solchen Gerhard-Schröder-Moment. Scholz referierte über die Weltlage und | |
| reagierte auf Fragen aus dem Kanzler-Pressetross zunächst durchaus lebendig | |
| und für Scholz-Verhältnisse kooperativ. Als die Deutsche-Welle-Reporterin | |
| Rosalia Romaniec jedoch fragte, ob er konkretisieren könnte, welche | |
| Sicherheitsgarantien die G7-Mächte für die Ukraine vorsähen, sagte Scholz: | |
| „Ja.“ Kurzes Schnauben. „Könnte ich.“ Noch ein Schnauben, ironisches | |
| Augenbrauen-Hochziehen Richtung Publikum. „Das war’s.“ Mehr, hieß das, | |
| würde er nicht sagen. | |
| Es gab viel Empörung über Scholz angesichts dieser Behandlung der Kollegin | |
| durch den Bundeskanzler, insbesondere auf Twitter, wo die Szene als | |
| 24-Sekunden-Clip kursierte. Dies darf als starker Hinweis darauf zählen, | |
| dass solch ein Verhalten inzwischen anders bewertet wird als noch zu | |
| Schröders Zeiten. Wobei es das gefällige Kichern immer noch gibt. Scholz’ | |
| Berater jedenfalls dürften noch am Dienstag angefangen haben, über ein | |
| Anti-Arroganz-Training für ihren Kanzler nachzudenken, es wurde ohnehin | |
| dringend Zeit. Rosalia Romaniec selbst twitterte maßgerecht: „Als ich | |
| Deutsch gelernt habe, wurde mir für Pressekonferenzen dringend die | |
| Höflichkeitsform empfohlen“. | |
| Nun hatte eine weitere Kollegin der Deutschen Welle keine zehn Minuten | |
| vorher bereits die gleiche Frage wie Romaniec auf Englisch gestellt – und | |
| eine höfliche und ernsthafte Antwort bekommen, ernsthaft jedenfalls im | |
| Bemühen um ein taktvolles Ausweichmanöver: Sicherheitsgarantien, sagte | |
| Scholz nach einem Moment des Nachdenkens, seien Gesprächsthema, aber „das | |
| kann noch lange nicht so konkretisiert sein, dass man darüber heute | |
| sinnvollerweise sprechen sollte“. | |
| Möglicherweise fand Scholz die erneute Frage unangemessen und wollte mit | |
| seinem Blick ins Publikum Verbindung aufnehmen: Ihr könnt euch doch auch | |
| erinnern, dass ich hierzu eben schon nichts sagen wollte. Aber dies hätte | |
| er dann auch Romaniec erklären können. Es ist ein Spiel zwischen | |
| Regierendem und JournalistInnen, natürlich auch ein Machtspiel. Die Regeln | |
| aber haben sich dann doch ein bisschen geändert. Abbügeln, Fragenverdrehen, | |
| Auflaufenlassen sind Kulturtechniken, die nicht mehr zukunftsfähig sind. | |
| Und das wiederum gilt inzwischen als vernichtendes Urteil. | |
| 29 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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