# taz.de -- Sachbuch über globale Ungleichheit: Wer den Preis zahlt | |
> Dir geht’s gut, weil es anderen schlechtgeht. Soziologe Stephan Lessenich | |
> klagt in „Neben uns die Sintflut“ das soziale Versagen an. | |
Bild: Ein Symbol für das, was schiefläuft: Shrimps aus asiatischer Aquakultur | |
Man kann sagen, dass Stephan Lessenich den Kuschelkurs beendet mit seinem | |
neuen Buch „Neben uns die Sintflut“. Der Münchner Soziologe will, dass wir | |
endlich Verantwortung übernehmen für unser Kaufen und Verbrauchen, das | |
globale Folgen hat. | |
Kennen wir schon, höre ich da, ebenso wie die Ergebnisse des aktuellen | |
Oxfam-Berichts, um den es zu Beginn des Buches geht: Ein Prozent der | |
Weltbevölkerung besitzt mehr Vermögen als der Rest zusammengenommen. | |
Ja, sagen dann die Neunmalklugen, man könnte das doch umverteilen und | |
gerechter vergeben, dann würde es allen gut oder wenigstens besser gehen. | |
Nein, sagt Lessenich, denn damit verkürzen wir das Problem der massiven | |
Ungleichheit von Einkommen und Vermögen. Die systematisch und strukturell | |
angelegt ist und die heute überall auf der Welt Effekte zeigt, die nicht | |
mehr zu verantworten sind. Auszuhalten sowieso nicht. | |
Es gibt eine Stelle in Stephan Lessenichs Buch, die geht an die Grenze des | |
Erträglichen: Er beschreibt die Garnelenzucht in Thailand. Für die | |
Massentierhaltung werden Mangrovenwälder abgeholzt, Chemikalien und | |
Antibiotika werden eingesetzt, damit die Garnelen in den Aquafarmen nicht | |
eingehen. Geerntet wird meistens von Gastarbeitenden aus Kambodscha, Laos | |
oder Myanmar, oft sind es Kinder, die 16 Stunden am Tag Krabben pulen, die | |
Hände im Eiswasser. | |
## Outsourcing des Unangenehmen | |
Und warum das alles? Weil der internationale Garnelenkonsum angestiegen | |
ist: Keine Pizza con Wurstel mehr, Garnelen müssen es sein, im Wrap, im | |
Risotto, überall. Um diesen Bedarf zu befriedigen, akzeptieren wir durch | |
unseren Kauf Bedingungen für Menschen, Tiere und Umwelt, die inakzeptabel | |
sind. Das hat aber fast niemand auf dem Schirm – weil das alles weit weg | |
ist von uns. Wir verlagern die unangenehmen Seiten der Produktion nach | |
außen und erfreuen uns lediglich an den angenehmen. | |
Ja aber, wird dann ganz häufig gesagt, so haben die da unten wenigstens | |
einen Job. Auch hier verneint Stephan Lessenich und weist darauf hin, dass | |
eine solche Wirtschaft so einseitig auf ein Produkt ausgelegt ist, dass sie | |
weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig sein kann. | |
Ach, und auch der Tourismus hilft nicht wirklich, die notwendigen | |
Entwicklungsprozesse finden häufig einfach nicht statt. Selbst der hehre | |
Wunsch nach einer künftigen Technologie, die Umweltschäden verhindern oder | |
einfach nur die Massenproduktion von jeder Giftstoffemission entkoppeln | |
könnte, ist am Ende des Tages nicht realistisch. | |
## Die Verhätnisse anerkennen | |
Wir müssen hinsehen, nicht wegsehen, die Verhältnisse anerkennen, nicht | |
zerreden, fordert Lessenich, um dann entsprechend zu handeln. Im Gespräch | |
empfiehlt er weder Partei noch Organisation, sondern sagt, es gebe genügend | |
NGOs und Vereinigungen, so dass jeder Mensch das für ihn oder sie Richtige | |
finden kann – er selbst gehört zum Beirat von Attac und engagiert sich im | |
Netzwerk Grundeinkommen. | |
Lessenich spricht aus, was viele nicht hören wollen. Wir müssen | |
gleichzeitig global etwas verbessern und dabei unsere eigene Position | |
verschlechtern, an die eigene Komfortzone rangehen: „Es drohen niemandem | |
von uns Arbeits- und Lebensverhältnisse wie vielen Menschen in | |
Zentralafrika oder Lateinamerika oder Südostasien, aber man muss tätig | |
werden, um auch sich selber zu schädigen. Aber ich bin mir sicher, dass es | |
keine Selbstschädigung wäre, wenn wir in Beziehung treten zu anderen | |
Menschen, dann ist es ein sehr, sehr großer Gewinn.“ | |
Die Beziehung zu den Garnelenpulern in Thailand haben wir doch längst | |
begonnen, nun gilt es, sie auf Augenhöhe fortzuführen. Fair einkaufen ist | |
nicht genug, das wird einmal mehr deutlich durch das Buch „Neben uns die | |
Sintflut“. Doch statt zu entmutigen, versetzt Stephan Lessenich den Leser | |
und die Leserin in eine Art Aufbruchstimmung. | |
28 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Streidl | |
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