# taz.de -- Regionalwahlen in Russland: Probelauf für 2024 | |
> Bei den Regionalwahlen in der Hauptstadt Moskau ist der Wählerwille | |
> unwichtig. Der Kreml übt damit für die Präsidentschaftswahl im kommenden | |
> Jahr. | |
Bild: Gewählt wird in Russland nicht nur im Wahllokal | |
Eine 100-prozentige Wahlbeteiligung meldet die Zentrale Wahlkommission in | |
Moskau, und die Vorsitzende sagt dazu, ganz im Ernst, das Wahlsystem in | |
Russland sei „offen und transparent, es ist unmöglich, etwas zu verbergen“. | |
Selbst in den Untersuchungshaftanstalten Moskaus ist dieses System offenbar | |
so ausgeklügelt, dass alle, die dort einsitzen, ihre Kreuze gemacht haben. | |
Höchstwahrscheinlich machen mussten. Andere Wahlbezirke vermeldeten eine | |
etwas geringere Beteiligung, für das Gesamtergebnis spielt das allerdings | |
keine Rolle. | |
[1][Bei den dreitägigen Regionalwahlen] quer durchs Land kamen die | |
Kandidat*innen der Regierungspartei „Einiges Russland“ in nahezu jeder | |
Region auf Zustimmungswerte zwischen 70 und 86 Prozent. Für die Führung im | |
Kreml sind solche Zahlen beruhigend, zeigen sie doch in ihren Augen, dass | |
das Volk hinter dem Kurs von Präsident Wladimir Putin steht. Einem Kurs, | |
der [2][einen Krieg] zur treibenden Kraft der Politik gemacht hat und davon | |
nicht abweicht. Mag in einigen Regionen nur jeder Fünfte abgestimmt haben – | |
das Plebiszit ist dennoch geglückt, der Kreml legitimiert mit dem erneuten | |
Bestätigungsritual seine Macht. | |
Russland hat also gewählt, Gouverneure, Bürgermeister, Lokalabgeordnete. | |
Nur als Wahl lässt sich die Farce, die mit Sowjetschnulzen in den | |
Wahllokalen und Geldpreisen bei elektronischem Abstimmen für die | |
notwendigen Zahlen sorgte, nicht bezeichnen. Politische Inhalte wurden beim | |
Wahlspektakel vollkommen herausgehalten. Stattdessen herrscht eine | |
Verwaltung, deren Ziel ist, die politische Landschaft nach Putins Wünschen | |
zu formen. | |
Bei Wahlen in Russland geht es längst nicht mehr darum, politische | |
Stimmungen abzubilden, sondern vielmehr die Fähigkeit zu demonstrieren, wie | |
gut sich die Bevölkerung kontrollieren lässt. In einem System, das | |
jegliches Engagement von unten sofort abzuwürgen weiß, sind die Menschen | |
ohnehin müde geworden und haben sich damit abgefunden, dass jegliche | |
Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Kaum einer glaubt | |
ernsthaft noch daran, dass sie mit einer Wahl etwas ändern könnten. | |
In Moskau war das Konterfei des zur Wahl stehenden Bürgermeisters auf | |
keinem Plakat zu sehen. „Stimmen Sie ab, gewinnen Sie einen von Millionen | |
Preisen“, hieß es überall. Worüber abgestimmt werden sollte, wurde gar | |
nicht erwähnt. Manchen Hauptstädter*innen war überhaupt nicht klar, | |
dass Wahlwochenende war. Sie feierten in den Parks das Stadtfest, die | |
längsten Schlangen gab es bei den kostenlosen Fahrgeschäften für die | |
Kinder. | |
Vor den Wahllokalen hingegen fanden sich nur vereinzelte Wähler*innen. | |
Sergei Sobjanin, Putins loyaler Technokrat, der gern neue Metro-Stationen | |
eröffnet und Parks aufhübschen lässt, hat auch so seine 76,3 Prozent der | |
Stimmen geholt, die meisten über die elektronische Stimmabgabe. Etwaige | |
Manipulationen lassen sich auf diesem Wege kaum nachvollziehen. In vielen | |
Regionen meldeten die Menschen, die im Wahllokal ihr Kreuz machen wollten, | |
auch dort seien sie zum Wählen am Automat regelrecht gedrängt worden. | |
Manche Wähler*innen wurden von Beamten in die Wahllokale gebracht. | |
„Dafür gab es Zigaretten umsonst“, erzählten sie dann bereitwillig vor | |
Fernsehkameras. Auch in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten | |
holte „Einiges Russland“ bei den Scheinwahlen die Mehrheit. | |
Die Abstimmung war ein Probelauf für die Präsidentschaftswahl im kommenden | |
Jahr. Ein Test, was bei einem solchen Spektakel noch nachgebessert werden | |
könnte. Sowohl beim sogenannten Wahlkampf als auch bei der Mobilisierung | |
der Menschen an die Urnen und dem Auszählen der Stimmen. Lediglich in zwei | |
Regionen zog [3][die oppositionelle Partei Jabloko], die offen gegen den | |
Krieg antritt, in die Stadtparlamente ein. | |
Unabhängige Beobachter*innen fehlten überall. Dem Vorsitzenden der | |
[4][bekanntesten russischen Wahlbeobachterorganisation Golos] wird seit | |
Kurzem – wegen „Extremismus“ – in Moskau der Prozess gemacht. Golos | |
beschrieb die Regionalwahlen als die unfreiesten in der Geschichte | |
Russlands, seit Putin an der Macht ist. Andere politische | |
Beobachter*innen bezeichneten sie als die langweiligsten seit Jahren. | |
11 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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