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# taz.de -- Referendum in Venezuela: Kein Anlass zur Euphorie
> Über sechs Millionen VenezolanerInnen sprachen sich am Sonntag gegen die
> geplante Verfassungsänderung aus. Bei einem Überfall wurde eine Frau
> getötet.
Bild: Protest gegen die Pläne von Präsident Maduro nach der Teilnahme an der …
BUENOS AIRES taz | Rund 7,2 Millionen VenezolanerInnen haben sich am
Sonntag an einem von der Opposition organisiertem Referendum beteiligt.
Abgestimmt wurde über die verfassunggebende Versammlung, die Präsident
Nicolás Maduro Anfang Mai einberufen hatte und deren Mitglieder am 30. Juli
gewählt werden sollen. Nach der Auswertung von 95 Prozent der Stimmen
sprachen sich 6,4 Millionen gegen das Vorhaben des Präsidenten aus. Das
Resultat ist jedoch nicht bindend.
Schon seit Wochen tobt in Venezuela der Streit darüber, ob der Präsident
die Kompetenz besitzt, eine solche Versammlung direkt zu initiieren, oder
zuvor die Zustimmung der Bevölkerung einholen muss. Die Opposition spricht
Maduro die Legitimation dafür ab. Für sie verbergen sich dahinter die
totalitären Ambitionen seiner Regierung, gegen die sie seit mehr als 100
Tagen mit intensiven Straßenschlachten Sturm laufen und die bisher über 90
Todesopfer gefordert haben.
Unter dem Motto „El Pueblo decide! – Das Volk entscheidet!“ konnten alle
VenezolanerInnen ab 18 Jahren bei drei Fragen ein Ja oder Nein ankreuzen.
Knapp 700.000 VenezolanerInnen gaben ihr Votum im Ausland an einem der
Wahltische in weltweit 532 Städten ab, darunter auch 16 Städte in
Deutschland. Die Abstimmung war zunächst friedlich verlaufen.
Bei einem bewaffneten Überfall auf Oppositionsanhänger im Westen von
Caracas wurden eine 61-jährige Frau getötet und drei weitere Menschen
verletzt, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Unbekannte hätten von
Motorrädern aus auf Bürger geschossen, die ihre Stimme abgeben wollten,
hieß es. Die Opposition machte „paramilitärische Gruppen“ aus dem Umkreis
Maduros für den Angriff verantwortlich. Der Überfall ereignete sich in
einem Arbeiterviertel im Westen der Hauptstadt Caracas. Fernsehaufnahmen
zeigten Menschen, die in Panik vor den Schüssen flohen. Viele suchten
Schutz in einer nahe gelegenen Kirche.
## Reine Formsache
Organisiert hatte die Consulta die im ‚Tisch der demokratischen Einheit‘
(Mesa de la Unidad Democrática – MUD) zusammengeschlossene Opposition, ein
Bündnis aus konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Partien.
Rechtlich stützte sie sich auf den Artikel 71 der Verfassung, der ein
konsultatives Referendum vorsieht und für dessen Durchführung die
Zustimmung der Nationalversammlung ausreicht. Die Zustimmung der
oppositionellen Mehrheit im Parlament war reine Formsache.
Zielte die erste politische Frage der Consulta direkt auf die
verfassunggebende Versammlung ab, so gingen die beiden folgenden darüber
hinaus: 1. Ich lehne die Durchführung der von Präsident Nicolás Maduro
vorgeschlagenen verfassunggebenden Versammlung ohne die vorherige
Zustimmung des venezolanischen Volkes ab und erkenne sie nicht an. 2. Ich
verlange von den Streitkräften und allen staatlichen Funktionären, dass sie
die gegenwärtige Verfassung von 1999 verteidigen und die Entscheidungen der
Nationalversammlung unterstützen. 3. Ich befürworte, dass die öffentlichen
Behörden unter den von der gültigen Verfassung vorgegebenen Bedingungen
erneuert werden und die Durchführung von freien und transparenten Wahlen,
sowie auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, um die
verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen.
Nüchtern betrachtet dürfte das Ergebnis trotz der
Organisationsschwierigkeiten hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein.
Gemessen an den rund 19 Millionen Wahlberechtigten lag die Beteiligung bei
unter 40 Prozent. Auch in absoluten Zahlen bietet das Ergebnis keinen
Anlass zur Euphorie. So gaben beispielsweise bei der letzten
Präsidentschaftswahl vor drei Jahren knapp 15 Millionen Wahlberechtige ihre
Stimmen ab, von denen Maduro rund 7,6 Millionen erhielt und der
Oppositionskandidat Henrique Capriles 7,4 Millionen. Capriles erhielt
damals mehr Stimmen als am Sonntag die Ablehnung der Constituyente.
Präsident Maduro hatte das Vorhaben stets als verfassungswidrig abgelehnt,
da es nicht vom Obersten Wahlrat organisiert sei, der allein dazu
legitimiert sei. Noch am Vorabend nannte er den Vorgang eine „interne
Consulta der Oppositionsparteien ohne Wahlregister, ohne Lesegeräte für
Fingerabdrücke und ohne Überprüfung.“
## „Nur ein Warmlaufen“
Als Counterpart hatte die Regierung für den Sonntag eine Wahlsimulation für
die Delegiertenwahl zur verfassunggebenden Versammlung angesetzt.
Eigentlich eine übliche Maßnahme, die in der Regel vor allen wichtigen
Wahlen durchgeführt wird und bei der das Funktionieren der elektronischen
Wahlgeräte getestet wird. Zugleich wird die Mobilisierung der Mitglieder
der Regierungspartei PSUV geprobt. Nach der Formel „Einer für Zehn“ muss
jedes Mitglied zehn weitere Wahlberechtigte zur Stimmabgabe bringen.
Maduro feierte denn auch am Abend die rege Beteiligung an der Übung, „die
nur ein Warmlaufen für die Wahl der Asamblea Nacional Constituyente (ANC)
am 30. Juli war“. Den ganzen Tag über strahlten die staatlichen und
regierungsfreundlichen Fernsehsender Bilder von Menschen aus, die vor den
Wahlgeräten warteten, die ihre Personalausweise vorlegten und ihre
Fingerkuppen auf die Lesegeräte drückten. Wer an der Übung teilnahm, wurde
registriert.
Die Livestreams der Opposition lieferten ausschließlich Bilder und
Interviews von und über die Consulta. Wer an der Consulta teilnahm, wurde
zwar auch notiert, aber diese Unterlagen werden aus Sicherheitsgründen nach
der Auszählung vernichtet. Was in einigen Bundesstaaten schon geschehen
ist, wie die Bilder von brennenden Registern zeigten. Die Angst vor
Repression sitzt gerade bei den Staatsangestellten tief.
17 Jul 2017
## AUTOREN
Jürgen Vogt
## TAGS
Nicolás Maduro
Venezuela
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Verfassungsänderung
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