# taz.de -- Rassismusvorwürfe gegen Jugendamt: Kindeswohl in Gefahr | |
> Viele Inobhutnahmen seien ungerechtfertigt, weil Behörden häufig aufgrund | |
> von Vorurteilen arbeiten, kritisieren antirassistische Organisationen. | |
Bild: Jugendämter handel nicht im Sinne des Kindeswohl, auch wenn es ihre Aufg… | |
BERLIN taz | Kinder durch Zwang ihren Eltern zu entziehen, gilt als letztes | |
und schärfstes Mittel der Jugendämter, um das Wohl Heranwachsender zu | |
schützen. Doch gerade bei migrantischen Familien wird die sogenannte | |
Inobhutnahme oftmals viel zu leichtfertig eingesetzt, kritisierten | |
antirassistische Initiativen bei der Veranstaltung „Plötzlich ist das Kind | |
weg – Rassismus bei Inobhutnahmen durch das Jugendamt“ am Freitagabend. | |
„Die Jugendämter sind Hilfseinrichtungen, deren Aufgabe die Sicherung des | |
Kindeswohls ist. Doch meistens kommt es seitens der Jugendämter zu einer | |
viel größeren Kindeswohlgefährdung, sagt eine Sprecherin von Space2grow, | |
einem Projekt für geflüchtete und migrierte Frauen, das zusammen mit der | |
[1][Kampagne für Opfer von Polizeigewalt (KOP)] und der Beratungsstelle für | |
Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt Reach Out die | |
Veranstaltung organisiert hat. | |
Im Jahr 2022 ist die Inobhutnahme von Kindern in Deutschland um 40 Prozent | |
gestiegen; [2][migrantische Familien] sind hier überproportional betroffen. | |
Marie Melior, Rechtsanwältin für Familienrecht, sagte: „Bei Essen und | |
Sprache fängt [3][der Rassismus] bereits an. Wenn das Kind zum Beispiel nur | |
arabisches Essen bekommt und mit der Mutter kein Deutsch spricht, gilt dies | |
bereits als eine Kindeswohlgefährdung.“ Dies seien Gründe genug, um eine | |
Kindesentziehung einzuberufen. | |
## Verlust von Kultur | |
Die Maßnahmen würden für die Eltern ein Entzug von Autorität und Kultur | |
bedeuten: Die Familien sind unter Beobachtung, es wird alles notiert, es | |
werden Protokolle über die jeweiligen Betroffenen geführt, und diese | |
dürften aus datenschutzrechtlichen Gründen ihre eigenen Akten nicht | |
einsehen. | |
In den meisten Fällen wehren sich die Betroffenen nicht, da sie Angst | |
haben, ihre Kinder nie wiedersehen zu dürfen, heißt es von den | |
antirassistischen Initiativen. Ein weiteres Problem seien Sprachbarrieren. | |
Die Dokumente, Beratungsgespräche und Gerichtsverfahren seien alle auf | |
Deutsch. Auch bei den Jugendämtern wird das sprachliche Unverständnis als | |
mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt. Auch das führe nicht selten | |
zu Kindesentzug. | |
Marie Melior berichtete von einem Gerichtsverfahren gegen eine junge | |
Mutter. Die Frau habe kein Deutsch verstanden, weshalb Melior anfing zu | |
dolmetschen. Daraufhin sei sie vom Richter zurechtgewiesen worden; es sei | |
keine Übersetzung vorgesehen. Das Urteil des Richters: Die Frau brauche | |
eine Therapie, sei unzurechnungsfähig. „Und so wird in den meisten Fällen | |
entschieden. Die Betroffenen verstehen die Sprache nicht und können nicht | |
reagieren. Dies aber wird als Unzurechnungsfähigkeit eingestuft.“ | |
Die Teilnahme an rassismuskritischen Weiterbildungen für | |
Sozialarbeiter:innen wäre eine Möglichkeit, die Situation zu | |
verbessern, schlägt Melior vor. Auch würde es helfen, wenn mehr | |
Dolmetscher:innen eingestellt werden, um die sprachliche Barriere | |
aufzuheben. Die Organisationen würden gern intensiv mit den Jugendämtern | |
zusammenarbeiten, aber dies sei aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht | |
machbar. Das Problem, kritisieren sie, sei in erster Linie ein politisches. | |
Statt Kürzungen sozialer Infrastruktur bräuchten Betroffene mehr | |
Beratungsstellen. | |
19 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Derya Türkmen | |
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