# taz.de -- Psychologe über Mobbing und Schulen: „Es gibt keine pauschale An… | |
> Was den Tod der elfjährigen Schülerin in Berlin betrifft, warnt | |
> Entwicklungspsychologe Herbert Scheithauer vor voreiligen | |
> Schlussfolgerungen. | |
Bild: Ein Meer aus Kerzen und Blumen vor dem Eingang einer Grundschule in Reini… | |
taz: Herr Scheithauer, in den Medien kursiert die Meldung, eine elfjährige | |
Grundschülerin habe sich wegen Mobbings das Leben genommen. Was war Ihr | |
erster Gedanke angesichts dieser Nachricht? | |
Herbert Scheithauer: Diese Meldung ist mehr oder weniger inoffiziell in die | |
Öffentlichkeit gelangt. Ich habe gehört, dass die Eltern nicht über diesen | |
Vorfall reden wollen. Mein erster Gedanke war: größtes Mitgefühl mit den | |
Eltern – egal warum dieses Kind zu Tode gekommen ist. Das ist ganz | |
schrecklich, auch für andere Beteiligte im Umfeld. | |
Was für eine Reaktion würden Sie sich wünschen? | |
Man muss genau schauen, was wirklich die Hintergründe waren. Die erste | |
Frage ist für mich aber die: Muss diese Information überhaupt an die | |
Öffentlichkeit? Wir haben hier ein minderjähriges Kind … | |
Wer hat die Nachricht in die Welt gesetzt? | |
Ich weiß es nicht. Mir wurde mitgeteilt, an der Schule beteiligte Dritte | |
hätten diese Meldung in irgendeinem Forum verbreitet. Momentan steht noch | |
gar nicht fest, wie das Mädchen zu Tode gekommen ist. Ob es wirklich ein | |
Suizid war, ob wirklich Mobbing der Hintergrund war. Ob nicht vielleicht | |
andere Aspekte eine Rolle gespielt haben. Wir sollten in Ruhe abwarten, was | |
die nächsten Tage bringen. Und man sollte respektieren, dass hier Eltern | |
ein Kind verloren haben, und mit Informationen in der Öffentlichkeit sehr | |
sparsam umgehen. | |
Wird in den Berliner Schulen genug gegen Mobbing getan? | |
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es gibt Schulen, die sind | |
vorbildlich aufgestellt. Sie haben in ihrem Schulprogramm ein | |
wissenschaftlich evaluiertes Anti-Mobbing-Programm. Sie haben | |
Ansprechpartner und wissen, was im Fall eines Mobbings zu tun ist. Aber es | |
gibt auch Schulen, die haben Nachholbedarf. | |
Wie viele Kinder und Jugendliche ungefähr sind von Mobbing betroffen? | |
Zehn bis zwölf Prozent der Schüler geben an, regelmäßig Täter oder Opfer | |
von Mobbing zu sein. Das sind ältere Zahlen einer Studie, die wir in | |
Norddeutschland durchgeführt haben. Inzwischen kann man davon ausgehen, | |
dass die Zahlen höher liegen, weil neue Formen wie Cybermobbing vermehrt im | |
Gespräch sind. Das sind Zahlen, wo Schüler berichten, mindestens einmal die | |
Woche Opfer von Mobbing zu sein. | |
Was wäre eine optimale Reaktion bei Mobbing? Das betrifft ja nicht nur die | |
Schulen. | |
Wir sind seit vielen Jahren mit unserem Fortbildungsprogramm „Fairplayer“ | |
an den Berliner Schulen aktiv. Mein Eindruck ist, dass vielfach noch gar | |
nicht richtig klar ist, was Mobbing ist und was nicht. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Viele Eltern argumentieren ja, mein Kind wird gemobbt, wenn es mal | |
schlechte Noten bekommt. Auf der anderen Seite werden gewisse Dinge gar | |
nicht wahrgenommen, weil sich von Mobbing betroffene Kinder schämen und den | |
Eltern nichts erzählen. Elternteile und Lehrkräfte müssen lernen, die | |
Anzeichen zu erkennen. Das ist aber gar nicht so einfach. | |
Wo liegt das Problem? | |
Bestimmte Formen von Gewalt werden in unserer Gesellschaft schlichtweg | |
nicht ernst genommen. Manche Menschen meinen, Mobbing gehört dazu, weil das | |
Kind ja lernen muss, sich durchzusetzen. Natürlich muss man lernen, sich in | |
bestimmten Situationen durchzusetzen, das hat aber nichts damit zu tun, | |
dass man Opfer von Gewalt werden muss. Das heißt, man sollte nicht | |
übertreiben und jedes Verhalten als Mobbing ansehen, auf der anderen Seite | |
aber auch eine gewisse Sensibilität entwickeln, um die Anzeichen zu | |
erkennen. | |
Und die Eltern – was würden Sie denen speziell empfehlen? | |
Wenn ein Kind sich öffnet und den Eltern berichtet, ist es wichtig, zu dem | |
Kind zu stehen und ihm keine Vorwürfe zu machen, nach dem Motto: Was hast | |
du da denn wieder gemacht? Ich würde empfehlen, als Erstes mit der Schule | |
zu sprechen und nicht selbst mit den Eltern des anderen Kindes Kontakt | |
aufzunehmen. An den Schulen sollte man wissen, was zu tun ist. Wichtig ist, | |
sofort einzugreifen. Dass es in den Sekretariaten einen Ordner gibt für die | |
Intervention bei einem Krisennotfall, reicht natürlich nicht aus. Das muss | |
man üben. | |
4 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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