| # taz.de -- Protokoll aus Ost-Ghouta: „Das ist dann ein guter Tag“ | |
| > Im Bunker ist es dunkel, die Kinder wollen raus aus der Enge, die | |
| > Erwachsenen dürfen sie nicht rauslassen. Ein Protokoll aus Ost-Ghouta. | |
| Bild: Seit 15 Tagen müssen sich die Menschen in Ost-Ghouta im Bunker verstecken | |
| Mein Name ist Nivin al-Hatary. Heute sind wir schon seit fünfzehn Tagen im | |
| Bunker. Der, in dem ich lebe, ist ein staubiger, sandiger Bunker. Wir haben | |
| ihn ausgewählt, weil die anderen überfüllt sind. Es gibt dort keinen Platz | |
| für uns. Außerdem ist dieser Bunker in der Nähe meiner Wohnung, ich kann | |
| also schnell nach Hause, falls ich etwas von dort brauche, etwas erledigen | |
| muss. | |
| Es gibt keine Toiletten, kein Wasser. Ich lebe hier mit fünf Familien, | |
| alles meine Verwandten. Manchmal sind wir 50 Leute. Es ist ein großer | |
| Bunker. Wir hocken nicht aufeinander, aber wir können nur dort sein, wo wir | |
| sauber gemacht haben. Wir schlafen auf dem Boden auf Matten. | |
| Unser Tag verläuft so: Morgens wird es hell, natürlich haben wir die Nacht | |
| nicht viel geschlafen. Oft müssen wir ganz nah zusammenrücken. Die Art, wie | |
| wir schlafen, vergleiche ich oft mit der Art, wie in Gefängnissen | |
| geschlafen wird. Wir schlafen immer nur auf einer Seite, wir können uns | |
| hier nicht umdrehen. Es ist sehr kalt. Der Lärm der Bombardierungen lässt | |
| ohnehin niemanden wirklich schlafen. | |
| Sobald es hell wird, gehen wir hoch in unsere Wohnungen, waschen uns, ruhen | |
| uns ein wenig aus. Aber selbst dann wird weiter bombardiert. Daher können | |
| wir das Licht in den Wohnungen nicht anmachen. Die Bunker sind dunkel, die | |
| Wohnungen auch. Wir können kein Licht anmachen. Uns wurde gesagt, dass | |
| sofort alle alarmiert wären über unseren Standort. Die ganze Stadt um uns | |
| herum ist dunkel. Aber wenn es hell wird, so gegen sechs Uhr, können wir | |
| Sachen von den Verkäufern holen, wenn es zum Beispiel Milch gibt. Das ist | |
| das Einzige, was wir zum Frühstück haben: Milch, Oliven und Quark. | |
| ## Die Bäckereien wurden zuerst bombardiert | |
| Wenn es also hell wird, geht eine junge Person los, um den anderen Leuten | |
| das Frühstück zu sichern. Diese Person muss gut zu Fuß sein. Sie muss sich | |
| schnell verstecken können, falls es Bombenangriffe gibt. | |
| Das größere Problem ist das Brot, weil alle Bäckereien mit dem ersten Tag | |
| der Eskalation aufgehört haben zu arbeiten. Sie wurden direkt bombardiert. | |
| Das Regime hatte sie als Erstes im Visier. Von Anfang an hat das Regime | |
| auch Krankenhäuser und die medizinischen Stationen bombardiert. Sie haben | |
| alles bombardiert, was uns am Leben hält, was uns andauern lässt. Daher | |
| haben wir ein Problem mit Brot. | |
| Wer gemahlenen Weizen hat, schickt ihn den Leuten. Manchmal sind in den | |
| Bunkern nämlich Bäcker, die dann auf sehr primitive Weise backen. Wenn wir | |
| Mehl haben, schicken wir es ihnen und bekommen dann Brot. Das ist dann ein | |
| guter Tag, weil wir Brot und etwas zum Frühstücken haben. | |
| Die meiste Zeit des Tages, zwischen dem Frühstück und dem Mittagessen, | |
| verbringen wir damit, die Kinder drinnenzuhalten. Sie halten es in den | |
| Bunkern nicht aus. Wir aber sind gezwungen, sie hier festzuhalten. Denn | |
| wenn sie rausgehen, könnten wir sie verlieren. Wir haben von Familien | |
| gehört, die gestorben sind. Familien, die wir kennen, weil sie aus unserer | |
| ehemaligen Stadt kommen. Sie sind gestorben, weil die Kinder vor der Tür | |
| gespielt haben und sie eine Bombe getroffen hat. Die ganze Familie ist | |
| gestorben. Deshalb lassen wir die Kinder nicht rausgehen, nicht Luft | |
| schnappen, die Sonne sehen. | |
| Wir hören von Bunkern, die manchmal Hilfe von Organisationen bekommen, die | |
| angefangen haben, hier zu arbeiten. Die schicken ihre Mannschaften, die | |
| Sachen verteilen. Aber es reicht nicht für alle. Es reicht auch nicht für | |
| den täglichen Gebrauch. Ich persönlich habe in unserem Bunker nur einmal | |
| etwas erhalten, diese Sachen reichten nur einen Tag. Ich weiß nicht, wie | |
| die Tage vergehen werden, wie die Zukunft aussieht, wie wir überleben | |
| werden. Was die Bombardierungen angeht, gibt es nicht viel zu erzählen. Sie | |
| hören nie auf, selbst wenn eigentlich Waffenruhe sein sollte. Putin hat | |
| gesagt, dass es eine Waffenruhe von 9 bis 14 Uhr geben wird. Aber er lügt. | |
| Es gibt keine Waffenruhe. | |
| ## Backsteine zählen, immer und immer wieder | |
| Tagsüber sitzen wir Frauen zusammen und reden. Wir sprechen über die | |
| Vergangenheit, um Kraft zu schöpfen. Positive Energie. Wir denken an etwas | |
| Schönes, reden darüber. Wir verbringen die Tage mit Reden. Oder wir kümmern | |
| uns um die Kinder. | |
| Nach einer Woche im Bunker wurde uns klar, dass wir nicht wissen, wie lange | |
| wir noch hier unten bleiben. Also fingen wir an, die Kinder zu | |
| unterrichten. Alles ist besser als Nichtstun. Ich bin selbst Lehrerin, | |
| normalerweise unterrichte Kinder in den siebten, achten und neunten | |
| Klassen. Hier bringe ich Fünftklässlern Englisch bei. Die Frauen mit mir im | |
| Bunker unterrichten ebenfalls. Wir wollen, dass die Kinder untereinander in | |
| Kontakt bleiben, damit sie, falls wir eines Tages aus den Bunkern kommen, | |
| nicht zu viel von der Schule verpasst haben. | |
| Es ist schön zu sehen, dass die Kinder so erpicht sind zu lernen – wir | |
| können uns aber nicht erklären, warum. Sie kommen, sind motiviert, arbeiten | |
| mit. Vielleicht nur, um aus ihren Bunkern herauszukommen oder weil sie ihre | |
| Schulen vermissen, die sie seit Beginn des Jahres nicht besucht haben. Das | |
| ist wegen der Bombardierungen unmöglich. Indem wir sie beschäftigen, können | |
| sie die Angst, die sich bei ihnen durch den Aufenthalt in den Bunkern | |
| angestaut hat, überwinden. | |
| Wirklich schlimm ist, dass der Bunker immer dunkel ist. Ich zähle die | |
| unverputzten Backsteine, immer und immer wieder. Ich merke, dass ich nicht | |
| weiß, welches Datum wir haben. Außer wenn ich auf mein Handy schaue. Ich | |
| fange an zu vergessen. Ich kann mich daran erinnern, dass alles an einem | |
| Sonntag begonnen hat, aber es ist mehr als ein Sonntag vergangen seitdem. | |
| Jeden Tag mache ich einen Strich an die Wand, wenn ein Tag vergeht. Heute | |
| sehe ich an der Wand 15 Striche. Wir sind seit 15 Tagen im Bunker. | |
| Das Gespräch mit Nivin al-Hatary kam auf Anfrage der taz bei der | |
| deutschen Solidaritärsorganisation mit Syrien, Adopt a | |
| Revolution, zustande. Deren Mitarbeiterin, Ansar Jasmin, | |
| mobilisierte Kontakte vor Ort in derOst-Ghouta. Die Gespräche | |
| wurden per WhatsApp geführt. Nivin ist Aktivistin für Frauenrechte und | |
| arbeitet mit verschiedenen Frauenorganisationen wie Women Now for | |
| Development. | |
| Übersetzung: Karim El Minawi, Mitarbeit: Adopt a Revolution | |
| 6 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ansar Jasim | |
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