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# taz.de -- Protestgesten der DFB-Elf: Kleine deutsche Kniekunde
> Warum das deutsche Fußballnationalteam mit den Engländern in die Knie
> geht, in Ungarn aber derlei Protestzeichen nicht plant.
Bild: Solidarität mit den Engländern: Die deutschen Nationalspieler gehen geg…
Oft sind es die einfachen Fragen, die das Gegenüber entblößen. Ob die
deutsche Nationalelf vor dem Anpfiff in Budapest am Samstag wieder auf die
Knie gehen werde, wollte man vom DFB-Direktor Oliver Bierhoff wissen.
„Nein, die Überlegungen gibt es noch nicht. Für Ungarn ist jetzt nichts
geplant“, sagte der Mann, der nun schon seit 18 Jahren Pläne entwirft, wie
sich die deutsche Nationalelf nach außen hin am besten verkauft.
Es entstand ein sehr irritierender Moment. Denn in einer Zeit, in der
Fußballmannschaften unentwegt Zeichen setzen, sei es nun für Fairness,
Respekt und Diversität oder gegen Rassismus, Diskriminierung und den Krieg
in der Ukraine, kann das Ausbleiben dieser Zeichen auch als Statement
gelesen werden. Bierhoff versuchte, sich mit den Worten „noch nicht“ aus
diesem Dilemma zu befreien. Aber diese unentschiedene Antwort zeigt: es
wird Zeit für eine kleine deutsche Kniekunde.
Den Kniefall selbst hat der US-amerikanische Football-Profi Colin
Kaepernick im Sport als Protestgeste gegen Rassismus und Polizeigewalt
populär gemacht. Das englische Nationalteam übernahm diese Geste im Zuge
der weltweiten Protestwelle gegen den gewaltsamen Tod des US-Amerikaners
George Floyd, so wie etliche Premier-League-Teams auch. [1][In Deutschland
ging Hertha BSC erstmals in die Knie.] Auf Anraten der Marketingagentur
Jung von Matt, die diese Aktion prompt beim PR-Wettbewerb „Clio Awards“
einreichte und ausgezeichnet wurde.
[2][Die deutsche Nationalelf entschied sich erstmals im vergangenen Jahr
beim EM-Achtelfinale] gegen England für den gemeinsamen Kniefall. Man wolle
sich solidarisch zeigen mit der Nationalmannschaft von England, erklärte
Torhüter Manuel Neuer. Am Dienstag wiederholte man diese Aktion erneut
gegen das Team von Gareth Southgate, „weil wir die Aktion der Engländer
unterstützen wollen“, wie İlkay Gündoğan erläuterte.
Während sich also die englischen Auswahlspieler mit den Betroffenen von
Rassismus solidarisch zeigen, zeigen sich die deutschen Teamkollegen
solidarisch mit den Protestierenden. Diese wortgetreue Auslegung ist nicht
spitzfindig, hilft sie doch dabei, die Unentschiedenheit des deutschen
Teams ausgerechnet vor der Partie in Ungarn zu erklären.
In Budapest, wo die Zuschauer:innen von der Uefa jüngst wegen
rassistischer Vorfälle gegen England ausgesperrt werden sollten, der
britische Kniefall aber dennoch ausgebuht werden konnte, weil der
ungarische Verband dank einer Uefa-Klausel ein vornehmlich minderjähriges
Publikum einließ, wäre ein Zeichen gegen Rassismus besonders bedeutsam.
Aber die deutsche Kniekunde zeigt: Es fehlt an einer eigenen Haltung, aus
der sich berechenbar Proteste ableiten lassen könnten. Sie folgen einer
eigenen Inszenierungslogik, [3][wie die T-Shirt-Aktion der DFB-Elf] für die
Wahrung der Menschenrechte in Katar, die von einem selbstgefälligen
Making-of-Video der Marketingabteilung begleitet waren. Zu sehen war, wie
die Nationalspieler eigenhändig mit Pinsel und Farbe ihrem
Weltverbesserungsdrang freien Lauf ließen.
Wichtiger als die Botschaft bleiben die Botschafter. Vielleicht ist das
auch ein Grund, weshalb beim Spiel gegen England in München das Publikum
ihre Vorbilder auf Knien bejubelte, während auf den Zuschauerrängen, wie
der Tagesspiegel berichtete, ein Besucher rassistisch beschimpft und
geschlagen wurde, ohne dass ihm jemand zur Hilfe geeilt wäre. Eine deutsche
Nationalelf, die sich für eine wirkliche Grundhaltung nicht nur
beklatschen, sondern auch ausbuhen lässt, ohne daraus noch ein großes
Gewese zu machen, das wäre eine feine Sache. Aber planen kann man das
nicht.
10 Jun 2022
## LINKS
[1] /Herthas-Kniefall-gegen-Rassismus/!5453463
[2] /EM-Spiel-Deutschland-gegen-England/!5783416
[3] /Nationalelf-und-PR-Video/!5758123
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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Fußball
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Fußball und Politik
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