# taz.de -- Proteste in der Türkei: Erdogan ist beleidigt | |
> Der stille Protest geht weiter. Die Polizei greift nicht ein. Das | |
> Tränengas wird knapp. 13 weitere Demonstranten wurden festgenommen. | |
Bild: Stiller Protest am Guven Park in Ankara | |
ISTANBUL/BRÜSSEL dpa/afp | Knapp drei Wochen nach Beginn der Proteste in | |
der Türkei haben auf dem Taksim-Platz in Istanbul erneut einige hundert | |
Demonstranten schweigend protestiert. Allerdings kamen am Mittwochabend | |
nach Schätzungen von Augenzeugen weniger Menschen zusammen als noch am | |
Vorabend. | |
Die Polizei war weiter stark präsent und hatte auch mindestens einen | |
Wasserwerfer auf dem Platz, berichteten Augenzeugen. Sicherheitsleute in | |
Zivilkleidung, die Polizeiwesten trugen, liefen durch umliegende Straßen. | |
Insgesamt war die Lage nach fast drei Wochen heftiger Demonstrationen | |
ruhig. | |
Ein türkischer Choreograph, der in der Nacht zum Dienstag als | |
„[1][Stehender Mann]“ stundenlang schweigend auf dem Taksim-Platz | |
verharrte, hatte die Protestform initiiert. | |
Bei den Demonstrationen der vergangenen drei Wochen hat die Polizei 130.000 | |
Patronen mit Reizgas verschossen. Es sei nun geplant, kurzfristig 100.000 | |
Patronen Tränengas und Pfefferspray zu beschaffen, um die Bestände | |
aufzufüllen, berichtete die Zeitung Milliyet. Als Teil einer Ausschreibung | |
sollten zudem 60 weitere Wasserwerfer beschafft werde. | |
Nach beißender Kritik der türkischen Regierung am EU-Parlament hat eine | |
Delegation der europäischen Volkskammer ihre geplante Reise in die Türkei | |
abgesagt. Der deutsche Delegationsleiter Elmar Brok (CDU) äußerte Bedauern | |
über den am Mittwoch bekannt gegebenen Schritt. Offenbar müsse die | |
Regierung in Ankara noch lernen, „wie man mit Kritik umgeht“, sagte der | |
Europaabgeordnete. Ungeachtet dessen bleibe die Türkei ein wichtiger | |
Partner der EU, mit dem schnellstmöglich wieder ein konstruktiver Dialog | |
gefunden werden müsse. | |
Das EU-Parlament hatte vorige Woche in einer Resolution „tiefe Besorgnis“ | |
über die „brutale“ Gewaltanwendung der türkischen Polizei bei den Protest… | |
gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geäußert. „Ich erkenne keine | |
Entscheidungen des Europaparlaments an“, schlug Erdogan daraufhin zurück. | |
„Was glauben die, wer sie sind?“ Auch Außenminister Ahmet Davutoglu | |
verteidigte die Türkei als eine „Demokratie erster Klasse“, die es nicht | |
nötig habe, Lektionen erteilt zu bekommen. | |
Die Parlamentsdelegation aus 13 Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses | |
hätte am Mittwoch und Donnerstag zunächst nach Ankara und anschließend nach | |
Diyarbakir in Südostanatolien reisen sollen. Geplant waren unter anderem | |
Gespräche mit Vertretern der Regierung und der türkischen | |
Nationalversammlung sowie mit Oppositionsparteien und Medienvertretern. | |
## Westerwelle: EU-Verhandlungen umso wichtiger | |
Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten nach Einschätzung von | |
Bundesaußenminister Guido Westerwelle gerade wegen des unnachgiebigen | |
Vorgehens der türkischen Regierung gegen die Protestbewegung in ein neues | |
Stadium treten. „Ich bedauere, dass die türkische Regierung auf die | |
Demonstrationen nicht mit Dialog und Deeskalation reagiert hat, sondern mit | |
einer Verschärfung in Worten und Taten“, sagte der FDP-Politiker den | |
Nürnberger Nachrichten. „Es ist deshalb umso dringlicher, dass wir in den | |
Verhandlungen mit der Türkei möglichst bald in einen intensiven Dialog über | |
Fragen der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheitsrechte | |
eintreten.“ | |
Westerwelle kritisierte, dass die dafür vorgesehenen Beitrittskapitel 23 | |
und 24 durch einige EU-Länder - es handelt sich um Zypern und Griechenland | |
- blockiert worden seien. „Ich denke, es ist gerade jetzt wichtig, über | |
genau diese Fragen - von der Pressefreiheit bis zur Versammlungsfreiheit - | |
mit der Türkei Verhandlungen aufzunehmen.“ | |
## 13 weitere Festnahmen | |
Die türkische Polizei hat 13 weitere Demonstranten unter dem Verdacht des | |
Vandalismus festgenommen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am | |
Donnerstag berichtete, sollen die Festgenommenen bei den landesweiten | |
Protesten gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan | |
unter anderem Brandsätze geworfen und zu Unruhen angestiftet haben. Die | |
Demonstranten gehören Anadolu zufolge zu linken Randgruppen und wurden mit | |
Videoaufzeichnungen identifiziert. | |
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind bislang mehr als 3.000 | |
Demonstranten seit Beginn der Proteste vor fast drei Wochen festgenommen | |
und die meisten von ihnen wieder freigelassen worden. Dutzende befänden | |
sich allerdings immer noch in Haft und mindestens sechs Menschen müssten | |
mit einer Anklage rechnen. | |
20 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-in-Istanbul/!118310/ | |
## TAGS | |
Tränengas | |
EU | |
Schwerpunkt Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Istanbul | |
Schwerpunkt Protest in der Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Deniz Yücel | |
Attac | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zukunft der türkischen Proteste: „Jeder Park ist Gezi“ | |
Sie lehnt eine konservative Gesellschaft ab. Sie will Presse- und | |
Meinungsfreiheit. In Istanbul diskutiert die Protestbewegung in Parks über | |
die Zukunft. | |
Kommentar Proteste weltweit: Sommer der Wut | |
In Ländern wie Brasilien und der Türkei gehen die Gewinner des letzten | |
Jahrzehnts auf die Straße. Sie wollen weiter von den Modernisierungen | |
profitieren. | |
Riesenprotest in Köln gegen Erdogan: „Überall ist Taksim!“ | |
Zehntausende Menschen haben in Köln gegen den türkischen Premier Erdogan | |
demonstriert. Friedlich bleibt es wohl auch, weil Erdogan-Anhänger zuhause | |
blieben. | |
Auf der anderen Seite des Bosporus: Die schweigende Mehrheit der Türkei | |
In den islamisch geprägten Istanbuler Vororten stehen viele zu Erdogan. | |
Doch die Begeisterung bröckelt. Ein Besuch im asiatischen Teil der Stadt. | |
Kolumne Besser: Warum ich in Istanbul bin | |
Die Proteste in der Türkei vereinen Bänker, Anarchisten und Feministinnen. | |
Das ist schöner und demokratischer als der Bürokratenverein namens EU. | |
Aktivist über Reisen zu Protesten: „Ich möchte dienen“ | |
Pedram Shahyar lässt keinen Aufstand aus. Er besuchte die Proteste in | |
Kairo, Madrid und zuletzt Istanbul. Was soll der Bewegungstourismus? | |
Kommentar Türkei: Erdogans Türkei | |
Erdogan genießt noch großen Rückhalt. Doch mit seinem starrsinnigen | |
Verhalten riskiert er, sich um die Basis seines Erfolges zu bringen. Einen | |
Buhmann hat er schon. | |
Protest in Istanbul: One man standing | |
Ein Mann steht still auf dem Taksim-Platz in Istanbul und starrt auf ein | |
Atatürk-Porträt. Die türkische Polizei greift ein. Ansonsten bleibt es | |
ruhig, erstmals seit Tagen. |