| # taz.de -- Proteste in Ungarn: Marsch gegen Orbán | |
| > Rund 80.000 Menschen demonstrieren in Budapest gegen die Bildungspolitik | |
| > der Regierung. Dabei geht es auch um die schlechte Bezahlung von | |
| > Lehrkräften | |
| Bild: Proteste gegen die Bildungspolitik der Regierung am Sonntag in Budapest | |
| Wien taz | Tausende Lehrer*innen, Studierende und empörte Bürger sind am | |
| Sonntag gegen die Bildungspolitik der nationalkonservativen Regierung von | |
| Viktor Orbán marschiert. Am 66. Jahrestag der Erhebung gegen das | |
| sowjethörige Regime Ungarns gingen nach Schätzungen von Presseagenturen | |
| 80.000 Menschen in der Hauptstadt Budapest auf die Straße. Die Menge, die | |
| am Abend den Calvin-Platz vor der Technischen Universität füllte, verlangte | |
| menschenwürdige Löhne und Freiheit der Lehre. | |
| Von den 38 OECD-Ländern zahlt Ungarn die niedrigsten Gehälter für | |
| Lehrpersonal. Kaum 600 Euro monatlich bekommt eine Lehrerin für eine | |
| Arbeit, bei der sie durch strikte und ideologisierte Lehrpläne so eingeengt | |
| ist, dass sie keine Eigeninitiative entwickeln kann. | |
| Auch die Schulen seien notorisch unterfinanziert. „Es gibt für nichts | |
| Geld“, klagte eine demonstrierende Deutschlehrerin gegenüber einem | |
| Korrespondenten vom österreichischen Rundfunk (ORF): „Die Schulen sind | |
| total abgewirtschaftet, die Kinder müssen sogar WC-Papier, Kreide und | |
| Schwamm mitbringen.“ | |
| [1][Regierungschef Viktor Orbán] gibt zwar zu, dass die Löhne zu gering | |
| seien, macht aber die EU dafür verantwortlich. Die hat wegen ausufernder | |
| Korruption mehr als sieben Milliarden Euro an Geldern für Ungarn | |
| eingefroren. Die sind allerdings nicht für den Bildungssektor bestimmt. | |
| Eine für das kommende Jahr in Aussicht gestellte Lohnerhöhung von 25 | |
| Prozent kann die aufgebrachte Lehrerschaft angesichts einer Jahresinflation | |
| um die 20 Prozent nicht besänftigen. | |
| ## Streikrecht eingeschränkt | |
| Weil die Bildungsagenden im Innenministerium angesiedelt sind, forderten | |
| die Demonstrant*innen auch die Schaffung eines Unterrichtsministeriums. | |
| Außerdem richtete sich die Demonstration gegen die im Februar verhängte | |
| Einschränkung des Streikrechts für Lehrende. Es war schon die zweite | |
| Großdemonstration im Oktober, nachdem fünf Lehrer im September wegen | |
| zivilen Ungehorsams entlassen worden waren. Und es war die größte | |
| Protestveranstaltung seit dem Aufstand gegen eine geplante Internetsteuer | |
| im Jahr 2014. | |
| Orbán zog es vor, den Nationalfeiertag fernab der aufgewühlten Hauptstadt | |
| zu begehen. In einer geschlossenen Veranstaltung in der westungarischen | |
| Stadt Zalaegerszeg teilte er wieder heftig gegen die EU aus: „Lassen wir | |
| uns nicht aus der Ruhe bringen von jenen, die aus dem Schatten auf Ungarn | |
| schießen, irgendwo von den Hochsitzen in Brüssel.“ Er prophezeite der EU | |
| ein Schicksal wie dem Sowjetblock vor drei Jahrzehnten, nämlich den | |
| Zerfall. | |
| Ungarn hat zwar die bisherigen Sanktionen gegen Russland nolens volens | |
| mitgetragen, feuert jetzt aber aus vollen Rohren gegen die damit verbundene | |
| Politik. Kein Land in der EU ist stärker von russischem Gas und Erdöl | |
| abhängig als Ungarn, [2][dessen Außenminister Péter Szijjartó auf | |
| Bettelmission in Moskau zusätzliche Lieferungen ausgehandelt hat]. Landauf, | |
| landab verkünden schrille Plakate: „Die Sanktionen Brüssels ruinieren uns.�… | |
| Um den EU-Kollegen zu beweisen, dass die Bevölkerung sein geplantes | |
| Ausscheren aus der Front gegen Moskau unterstütze, hat Orbán im Rahmen | |
| einer „Konsultation“ Fragebögen an alle Haushalte schicken lassen. Da laden | |
| Suggestivfragen wie „Sind Sie einverstanden mit den die Lebensmittelpreise | |
| erhöhenden Sanktionen?“ zur Ablehnung der EU-Politik ein. | |
| ## Wahre Feinde | |
| Seit sich Orbán wirtschafts-, innen- und außenpolitisch zunehmend unter | |
| Druck sieht, versucht er die wahren Feinde Ungarns in der kritischen | |
| Zivilgesellschaft zu finden. Jüngstes Opfer seiner Kampagne ist die | |
| Organisation Action for Democracy, der er vorwirft, durch Finanzierung der | |
| Oppositionsallianz illegal in den Wahlprozess eingegriffen zu haben. | |
| Die angesprochene NGO wehrt sich mit einer schriftlichen Erklärung. Man | |
| habe nur völlig legale Informationsarbeit geleistet, „mit besonderem | |
| Schwerpunkt auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und dem Bekenntnis zur | |
| Euro-Atlantischen Partnerschaft“. Im Vorstand von Action for Democracy | |
| sitzen so renommierte Experten wie der britische Historiker Timothy | |
| Garton-Ash und aus den USA die Journalistin Anne Applebaum, General Wesley | |
| K. Clark und der Politologe Francis Fukuyama. | |
| 24 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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