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# taz.de -- Proteste in Iran: Volk und Prinz
> Die Hoffnung auf einen raschen Sturz des iranischen Regimes hat sich
> nicht erfüllt. Im US-Bürger Reza Pahlavi suchen manche jetzt ihren
> Kronprinzen.
Bild: Reza Pahlavi, Sohn des Schahs Mohammad Reza Pahlavi, bei einer Solidarit�…
Die Hoffnung so vieler, es werde kurzfristig zu einem Sturz des Regimes in
Iran kommen, hat sich nicht erfüllt. Gleichwohl ist nichts wie zuvor; die
Proteste haben das Land verändert, neue Allianzen der Solidarität
hervorgebracht, die Bedeutung der Frauen unauslöschlich auf den Mauern
verzeichnet. Über eine von Wut und Schmerz zerklüftete Landschaft wird sich
keine Ruhe senken.
Der entscheidende Hebel zum Sturz des Regimes wäre allerdings die
Beteiligung jener breiten Bevölkerungskreise, die sich der Bewegung bisher
nicht anschließen mochten. Das sind keineswegs nur Loyalisten, die durch
Jobs und Vergünstigungen vom System profitieren. Abseits steht auch, wer
Zweifel daran hegt, ob die eigenen Bedürfnisse nach einem Umsturz bessere
Berücksichtigung fänden. Und natürlich gibt es auch Opportunisten: Sie
warten auf deutliche Anzeichen für einen Zerfall des Machtapparats. Etwa
die Superreichen; sie verlachen Islam und Geistlichkeit und sorgen sich
einzig darum, wohin sie ihr Vermögen transferieren könnten.
Aber dann sind da – und dies ist vielleicht das Wichtigste – die
Konservativ-Religiösen und jene, die ihren Glauben gegen staatlichen
Missbrauch verteidigen. Begegnungen mit ihnen haben mich am meisten über
Iran gelehrt. Doch diese Menschen werden leicht übersehen, unter anderem
weil die Diaspora zu diesen Kreisen weniger Verbindungen hat. Eine
Bekannte, die dem Milieu familiär verbunden ist, schrieb mir unlängst aus
Iran, der Streit um Orientierung habe sich tief in die privaten
Verhältnisse eingegraben; die Polarisierung bringe Verwandte gegeneinander
auf.
Im Text einer [1][iranischen taz-Autorin] begegnete mir am selben Tag
folgender Satz: „Der Islam ist seit 1.400 Jahren ein Zwang in Iran.“
Ungewollt wird hier herabgesetzt, was geehrt werden soll. Der Philosoph
Ramin Jahanbegloo, der in Delhi lehrt, schrieb einmal, es sei „eine der
kulturellen Katastrophen der iranischen Gesellschaft“, die drei Schichten
ihrer geistig-moralischen Substanz immer neu gegeneinander auszuspielen,
nämlich vorislamisches Persertum, schiitische Identität und Modernismus.
Das legt die Schlussfolgerung nahe: In einer Revolution, die das Verhängnis
von 1979 nicht mit anderen Vorzeichen wiederholt, müssen all diese
Identitätsschichten aufgehoben sein, in einer gewiss schwierigen Balance.
Die Herrschenden der Islamischen Republik zu „Fremden“ zu erklären, die
gegen das Volk Krieg führen, macht es eher schwer, das Beharrungsvermögen
des Machtapparats zu verstehen. Auf Demonstrationen hierzulande begegnete
mir in Gesprächen öfter die Redewendung vom Krebsgeschwür: das Regime ein
Tumor, der herausgeschnitten werden müsse; dann werde der Volkskörper
gesund. Das gute Volk – darin liegt die Sehnsucht nach einem Kollektiv, das
Identifikation erlaubt, aber auch ein Abspalten von Schuld: Die
Gesellschaft ist frei von Verantwortung für das, was seit 1979 geschehen
ist.
Diese Sicht ist mir in Iran nie begegnet. Eher hörte ich Klagen, wie sehr
Moral und Anstand gelitten hätten und wie das staatliche Vorbild schäbiger,
strafloser Korruptheit Nachahmer zeuge. Aus diesem Wissen speist sich
übrigens die Angst, in einer Umbruchsituation könnten offene Rechnungen in
nächster Nachbarschaft durch Selbstjustiz beglichen werden.
Die Aktivistinnen der Diaspora und ihre Unterstützer haben getan, was sie
konnten, um Solidarität zu mobilisieren – in der westlichen Welt. Aber die
Fähigkeit dieses Teils der Welt, Geschehnisse außerhalb zu beeinflussen,
wird überschätzt. Zum Vergleich: Die EU vermochte es durch ein Jahr
koordinierter Sanktionen nicht, Putin so zu schwächen, dass er wenigstens
an den Verhandlungstisch kommt.
Um die Verurteilten in Teheran vor dem Henker zu retten, bräuchte es
politischen Druck aus Indien, China, aus muslimischen Ländern. Ich höre,
wie manche bitter auflachen – und ich teile die Bitterkeit. Aber so sind
die Weltverhältnisse, jedenfalls in Bezug auf Iran. Dem Westen ist es auch
nicht gelungen, das Teheraner Nuklearprogramm einzudämmen, obwohl dazu die
Chance bestanden hätte. Trump setzte lieber auf maximum pressure und verhob
sich daran. Nun deutet der israelische [2][Angriff auf eine Militäranlage
in Iran] eine neue Phase an; sie dürfte den zivilen Aufstand eher
erschweren, denn das Regime weiß solche Angriffe für sich zu nutzen.
Eine inklusive Erinnerung, die den Widerstand gegen zwei Folterregime
unterschiedlicher Natur integrieren könnte, hat sich im Exil wenig
entwickelt. Die Schah-Ära wird im heutigen Blick geschönt; es gibt Enkel,
die ihrem Großvater nicht glauben wollen, dass er in einem Schah-Gefängnis
saß. Nur vor diesem Hintergrund ist erklärlich, dass der Sohn des 1979
gestürzten Monarchen nun zur starken Figur innerhalb einer provisorischen
Auslandsführung zu geraten scheint. Fast eine halbe Million Unterzeichner
haben den US-Bürger [3][Reza Pahlavi], der sich von seinen Anhängern
„Kronprinz“ nennen lässt, zu ihrem Repräsentanten erklärt.
Die Pahlavi-Dynastie steht nicht nur für Repression, sondern für das
Ersticken früherer iranischer Demokratiebestrebungen nach dem Sturz des
beliebten Premiers Mossadegh. Der Dreiklang von Monarchie, USA und
Unterdrückung brachte der Revolution von 1979 den massenhaften Rückhalt.
Den Sohn trifft keine Schuld für Taten des Vaters. Aber er hat sich von
dessen Politik nie distanziert, sich nie dazu erklärt. Wie kann so jemand
Führungsfigur eines demokratischen Aufstands sein? Es gibt zwar Gegenwind
und Gegenpetitionen. Aber Reza Pahlavi ist klug. So spricht er sich nicht
nur für eine säkulare Demokratie und freie Wahlen aus, sondern er betont
auch seinen muslimischen Glauben und wirbt um regimekritische Geistliche.
Man könnte auch sagen: Er sieht, was bisher fehlt.
1 Feb 2023
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## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
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