| # taz.de -- Proteste in Bulgarien: Gegen „Diebe“, „Schweine“ und die �… | |
| > In Sofia gehen Tausende auf die Straße. Sie demonstrieren gegen den | |
| > Haushalt der Regierung, der die Privatwirtschaft 2026 massiv zur Kasse | |
| > bittet. | |
| Bild: Proteste in Sofia: Grund für den geballten Volkszorn ist der Haushaltspl… | |
| Bulgarien ist, was die Frequenz von Wahlen angeht, ganz vorne mit dabei. | |
| Stoisch ertrugen es die Bürger*innen, dass sie seit 2020 [1][sieben Mal] an | |
| die Urnen gerufen wurden. Denn [2][alle Versuche, eine stabile | |
| Regierungsmehrheit zustande zu bringen, scheiterten]. Der Balkanstaat ist | |
| seit 2007 Mitglied der EU. | |
| Doch irgendwann ist es mit dem Langmut dann doch vorbei. Nach | |
| Massenprotesten im vergangenen Mai und Juli war es am Mittwochabend mal | |
| wieder soweit: Tausende versammelten sich im Zentrum der Hauptstadt Sofia, | |
| um unter Rufen wie „Diebe“, „Schweine“ und „Mafia“ ihrem Unmut übe… | |
| Regierung Luft zu machen. | |
| Der Dreierkoalition, die seit dem vergangenen April im Amt ist, gehören die | |
| konservative Mitte-Rechts-Partei Bürger für die europäische Entwicklung | |
| Bulgariens (GERB), die prorussische Sozialistische Partei (BSP) sowie die | |
| nationalistisch grundierte Gruppierung „So ein Volk gibt es“ (ITN) an. | |
| Gegen 23 Uhr drohte die Situation zu eskalieren. Als sich die Menge zu | |
| zerstreuen begann, setzten Polizeikräfte Tränengas ein. Daraufhin kehrte | |
| ein Teil der Protestierenden wieder zurück und bildeten eine Menschenkette | |
| um das Parlament. Einige Abgeordnete der Regierungsparteien, die sich zu | |
| diesem Zeitpunkt noch in dem Gebäude aufhielten, wurden daran gehindert, | |
| dieses zu verlassen. Einige Straßen hatten Teilnehmer*innen der | |
| Kundgebung mit Müllcontainern blockiert. Laut Angaben des Innenministeriums | |
| wurden drei Polizisten verletzt, in Medienberichten war darüber hinaus von | |
| drei verletzten Demonstrierenden die Rede. | |
| ## Geballter Volkszorn | |
| Grund für den geballten Volkszorn ist der Haushaltsplan für 2026, den das | |
| Parlament in erster Lesung verabschiedet hatte. Unter anderem ist | |
| vorgesehen, die Kapitalertragssteuer für private Betriebe um 50 Prozent zu | |
| erhöhen, um so Löhne für Staatsbedienstete, wie Beamte, Angehörige der | |
| Polizei, Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen sowie Rentner*innen | |
| erhöhen zu können. | |
| Viele werten diese Veränderungen als Versuch der Regierung, sich die | |
| Loyalität potenzieller Wähler*innen, die im staatlichen Sektor beschäftigt | |
| sind, zu erkaufen. Das Nationale Institut für Statistik beziffert deren | |
| Anzahl auf über 558.000 Personen. | |
| Doch Kritiker*innen führen noch andere Argumente ins Feld. Gespräche | |
| mit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden seien vermieden worden, weil die | |
| Machthabenden die Organisationen nicht hätten anhören und den Finanzplan | |
| nicht hätten überarbeiten wollen. „Die Verabschiedung eines Haushalts ohne | |
| vorherige Diskussion ist ein Präzedenzfall und ein Verstoß gegen das | |
| Arbeitsrecht“, schrieb die Wochenzeitung Capital in der vergangenen Woche. | |
| „All dies verlagert auf populistische Weise die Last auf Unternehmen und | |
| Arbeitnehmer, schreckt Investitionen ab, bremst das Wirtschaftswachstum, | |
| vergrößert die Schattenwirtschaft und wird letztendlich die Staatseinnahmen | |
| verringern“, erklärte der Verband der bulgarischen Arbeitgeber am 12. | |
| November und merkte ebenfalls an, dass es keine Debatte gegeben habe. | |
| ## Euro ab 2026 | |
| Iwailo Mirschew, Abgeordneter der Oppositionspartei Demokratisches | |
| Bulgarien (DB), eine der Initiator*innen des Protestes vom Mittwoch, | |
| sprach von einem „Krieg gegen den Mittelstand“. Zum 1. Januar 2026 soll in | |
| Bulgarien übrigens der Euro eingeführt werden. | |
| Am Donnerstag besann sich die Regierung offensichtlich eines Besseren. | |
| Bojko Borrisow, ehemaliger Regierungchef und aktuell Vorsitzender der GERB, | |
| kündigte an, dass der Haushaltplan zurück gezogen und noch einmal | |
| überarbeitet werde. Jetzt gelte es, den Dialog wieder aufzunehmen. | |
| Borrisow zeigte übrigens wieder einmal, dass er Prioritäten setzen kann, | |
| wenn es darauf ankommt. Bulgarische Medien zitierten ihn mit den Worten, | |
| dass er gar nicht daran gedacht habe, mit den Protestierenden zu sprechen, | |
| da in der Nacht zu Mittwoch seine Lieblingsfussballmannschaft Real Madrid | |
| gespielt habe. | |
| Auch der amtierenden Premier Rossen Scheljaskow meldete sich am Donnerstag | |
| zu Wort. Der Dezember biete ausreichend Zeit, um auf Kritik einzugehen und | |
| einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten, der die Regierungskoalition | |
| widerspiegele. Er betonte, dass Kompromisse zwischen den Parteien | |
| unerlässlich seien, um die gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen. Ob | |
| dieser Schritt die Gemüter beruhigt, wird sich zeigen. | |
| ## Mit der Geduld am Ende | |
| Der Geduldsfaden reißt dieser Tage auch bulgarischen Kulturschaffenden. Sie | |
| protestieren ebenfalls. Stein des Anstoßes ist der Umstand, dass EU-Gelder | |
| für Kunstprojekte, die der Nationale Kulturfond (NFK) – er untersteht dem | |
| Kulturministerium – verteilt – bislang nicht ausgereicht worden sind. Das | |
| bringt Künstler*innen in massive Bedrängnis, die nach entsprechenden | |
| Zusagen und der Unterzeichnung von Verträgen mit ihren Projekten bereits | |
| begonnen oder sie schon abgeschlossen haben. | |
| Ein bulgarischer Kulturschaffender, der seinen Namen nicht nennen möchte, | |
| ist entsetzt. „Es herrscht das totale Chaos, so etwas hat es noch nicht | |
| gegeben. Das schadet der Kulturszene in Bulgarien immens“, sagt er. Auf die | |
| Frage, warum der NKF monatelang untätig geblieben sei, obwohl es | |
| entsprechende Vorschriften gebe, sagt er: „Schlampigkeit, aber vor allem | |
| auch Inkompetenz.“ | |
| 27 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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