# taz.de -- Protest in Dresden wird kriminalisiert: Angeklagt im Kampf gegen Re… | |
> Mit tausenden Demonstranten verhinderten sie Europas größten | |
> Naziaufmarsch: Vor einem Jahr protestierten in Dresden vier | |
> Linke-Politiker friedlich. Nun werden sie angeklagt. | |
Bild: Steht als "Oberdrahtzieher" natürlich immer an vorderster Front: Bodo Ra… | |
DRESDEN taz | Die Dresdner Staatsanwaltschaft will vier Vorsitzende von | |
Landtags-Linksfraktionen anklagen, die an der friedlichen Blockade des | |
Dresdner Naziaufmarsches vom 13. Februar 2010 beteiligt waren. Das wurde | |
dem sächsischen Fraktionschef André Hahn kurz vor Weihnachten mitgeteilt. | |
Nach Akteneinsicht wandte er sich jetzt an die Medien. Wegen angeblichen | |
Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz soll auch Anklage gegen seinen | |
Thüringer Kollegen Bodo Ramelow und die hessische Doppelspitze Willi van | |
Ooyen und Janine Wissler erhoben werden. | |
Tausende Bürger hatten sich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens in der | |
Umgebung des Bahnhofs Dresden-Neustadt versammelt, um den größten | |
europäischen Naziaufmarsch zu verhindern. Unter ihnen waren auch viele | |
Politiker der Linkspartei, die eine öffentliche Fraktionssitzung abhielten. | |
Die große Zahl von Gegendemonstranten machte der Polizei die Räumung | |
unmöglich, die Neonazis konnten nur eine stationäre Kundgebung am Bahnhof | |
abhalten. | |
Die Linkenabgeordneten hatten nicht zu einer Blockade, sondern zu einer | |
friedlichen Versammlung aufgerufen. Dennoch wurden etwa 20 Prüfvorgänge | |
gegen namhafte Beteiligte eingeleitet. Die Ermittlungsverfahren wegen der | |
Verhinderung der Nazidemo wurden jedoch überwiegend wegen Geringfügigkeit | |
der Schuld und mangels öffentlichen Interesses eingestellt. "Das Motiv für | |
das widerrechtliche Verhindern des Marsches war mithin ein anerkannt | |
sittliches", heißt es beispielsweise in der Begründung gegenüber dem | |
parlamentarischen Geschäftsführer der Linken im Sächsischen Landtag, Klaus | |
Tischendorf. | |
An Hahn und den anderen Fraktionsspitzen aber soll nach dessen Überzeugung | |
"ein Exempel statuiert werden". Hahn hatte sich bereits im März 2010 | |
geweigert, 500 Euro zu zahlen, damit auch gegen ihn das Verfahren | |
eingestellt wird. Mitte des Jahres wurde er daraufhin vom Dezernat | |
"Politisch motivierte Kriminalität, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen" des | |
Landeskriminalamts zu einer Vernehmung geladen. Hahn lehnte ab und äußerte | |
sich nur schriftlich gegenüber der Staatsanwaltschaft. | |
Die will nun, wenige Wochen vor dem nächsten Jahrestag, die Aufhebung | |
seiner Immunität als Abgeordneter beantragen. Hahn appellierte an die | |
Landtagsabgeordneten, dies nicht zu tun. | |
In Thüringen, wo keine Zustimmung des Plenums erforderlich ist, hat bereits | |
im Herbst der Immunitätsausschuss die Immunität von Bodo Ramelow | |
aufgehoben, damit Ermittlungen gegen ihn eingeleitet werden können. Auch | |
die mitregierende SPD stimmte zu. "Ich gelte als Oberdrahtzieher" erklärt | |
Ramelow halb belustigt. Die Veranstalter hatten ihn damals als Vermittler | |
nominiert, und im Dialog mit der Polizei gelang es Ramelow auch, jede | |
Eskalation zu vermeiden. Das dient dem sächsischen Landeskriminalamt als | |
Beweis seiner Rädelsführerschaft, obschon alle Polizeizeugen für ihn | |
sprechen. | |
Sowohl die Einstellungsverfügungen als auch die Klagen gingen jeweils über | |
den Tisch des zuständigen Dresdner Oberstaatsanwalts Jürgen Schär. Er ist | |
eigentlich wegen seiner konsequenten Verfolgung rechtsextremer Straftaten | |
der von NPD und Freien Kräften meistgehasste Mann in der sächsischen | |
Justiz. André Hahn vermutet deshalb "massive politische Einflussnahmen und | |
Vorgaben". Auch Bodo Ramelow kann sich nicht vorstellen, "dass ein | |
einzelner Staatsanwalt sich so etwas ausdenkt". | |
12 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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