# taz.de -- Professor Brunnbauer über das Kosovo: „Das passiert regelmäßig… | |
> Immer wieder kocht der Konflikt in Kosovos Norden hoch. Laut Ulf | |
> Brunnbauer setzte die EU auf Stabilität durch Vučić – hat sich aber | |
> geirrt. | |
Bild: Eine Demonstration, die ethnische Serben im Kosovo unterstützt | |
taz: Herr Brunnbauer, könnte der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo | |
eskalieren? | |
Ulf Brunnbauer: Diese Gefahr sehe ich durchaus. Im Norden des Kosovo gibt | |
es genügend Hitzköpfe und so könnte eine lokale Dynamik entstehen. | |
Vergessen wir nicht: Der Grad der Bewaffnung dort ist hoch, Korruption weit | |
verbreitet. Rechtsstaatlich haben wir es mit einem schwarzen Loch zu tun. | |
Welche Ursachen hat dieser Konflikt? | |
Serbien weigert sich, die Unabhängigkeit und Souveränität des Kosovo | |
anzuerkennen. Deshalb ist [1][der Streit um Nummernschilder kein banales | |
Symbol], sondern von politischer Bedeutung. Serbiens Präsident Aleksandar | |
Vučić will unbedingt das Eingeständnis vermeiden, dass das Kosovo ein | |
souveräner Staat ist. | |
Warum bricht der Konflikt gerade jetzt wieder aus? | |
Das passiert [2][in regelmäßigen Abständen immer wieder]. Vor allem die | |
radikalen Serben sehen die kosovarische Regierung von Albin Kurti als sehr | |
nationalistisch und antiserbisch an, dabei ist sie eher pragmatisch. Das | |
ist eine typische Fehlwahrnehmung der Serben, die sich als permanent | |
verfolgte Opfer sehen. Wir haben jedoch keine Hinweise auf eine | |
systematische Diskriminierung. Vučić hält diesen Konflikt am Köcheln. An | |
einer nachhaltigen Normalisierung der bilateralen Beziehungen hat er kein | |
Interesse. | |
Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani hat die für Dezember geplante Kommunalwahl | |
auf kommenden April verschoben. Könnte das die Spannungen entschärfen? | |
Vielleicht. Meiner Meinung nach wäre die Wahl zum jetzigen Zeitpunkt gar | |
nicht durchführbar gewesen. Hätte sie stattgefunden, wären wohl nur wenige | |
Serben zur Abstimmung gegangen und in einigen mehrheitlich von Serben | |
bewohnten Regionen hätte es albanische Bürgermeister gegeben. | |
Aber die Blockaden sind immer noch da. Jetzt will Vučić bei der Nato um | |
Erlaubnis bitten, 1.000 serbische Sicherheitskräfte ins Kosovo zu schicken | |
… | |
Dem würde die Nato nicht zustimmen. Noch einmal: Es gibt dafür keine | |
Notwendigkeit. | |
Die EU verhandelt seit zehn Jahren mit Serbien über einen Beitritt. Was | |
läuft da schief? | |
Brüssel hat auf Vučić gesetzt und damit einer vermeintlichen Stabilität | |
Vorrang eingeräumt. Damit verbunden war die Hoffnung, die Möglichkeit eines | |
Beitritts würde eine bessere Regierungsführung befördern und Vučić könne | |
auch bei den noch nationalistischeren Kreisen Kompromisse in Bezug auf das | |
Kosovo durchzusetzen. Das war ein Irrtum. Nehmen wir zum Beispiel | |
Montenegro. Belgrad betrachtet das Land als serbischen Staat und tut alles, | |
um Montenegros eigenständige Identität zu unterminieren. Dahinter steht das | |
Konzept einer serbischen Welt, wonach am besten alle Serben in einem Staat | |
leben sollten. Dieser retrograde Nationalismus zeigt sich auch daran, dass | |
in Serbien die eigenen Kriegsverbrechen kaum erinnert werden. | |
Was sind die Ursachen für diese Fehleinschätzungen beziehungsweise wie ist | |
diese Politik zu erklären? | |
Ein Problem ist, dass die EU nicht mit einer Stimme spricht. Es ist ja kein | |
Zufall, dass gerade Ungarn eine exponierte Balkanpolitik betreibt und die | |
Ethnonationalisten fördert. Die Serbien-Berichte des ungarischen | |
EU-Kommissars Olivér Várhely, der für Erweiterung und Europäische | |
Nachbarschaftspolitik zuständig ist, fallen immer sehr positiv aus. | |
Wie sollte die EU diesen Irrtum korrigieren? | |
Sie muss Serbien klarmachen, dass ein EU-Beitritt nur um den Preis einer | |
faktischen Anerkennung der Existenz des Kosovo zu haben ist. Brüssel darf | |
die Schaukelpolitik Serbiens nicht länger tolerieren, denn diese verstößt | |
massiv gegen die Interessen der EU. Und die EU sollte nicht immer wieder | |
Länder, die sich wie Nordmazedonien um Reformen bemühen, vor den Kopf | |
stoßen und deren Beitrittsprozess beschleunigen. Die EU hat ihre | |
Südosteuropapolitik lange vernachlässigt. Da sind viele Jahre verloren | |
gegangen. Doch jetzt scheint dieses Politikfeld immerhin stärker in den | |
Fokus gerückt zu sein. | |
15 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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