# taz.de -- Plädoyer fürs Hausfrauen-Dasein: Mutti macht mobil | |
> Katholisch, verheiratet, vierfache Mutter und Hausfrau: Birgit Kelle hat | |
> ein Buch über sich und ein Plädoyer für ihren Lebensentwurf geschrieben. | |
Bild: „Dann mach doch die Bluse zu“ – ein programmatischer Buchtitel. | |
Wenn ein Verlag eine Debütantin mit keiner geringeren Behauptung vorstellt | |
als „Hier schreibt eine der profiliertesten Vordenkerinnen einer neuen | |
selbstbewussten Frauengeneration“, dann sollte man vor der Lesestunde erst | |
mal schauen, wen man da vor sich hat. So erzählt die Vita der Autorin | |
zunächst das Gegenteil dessen, was man gemeinhin für eine moderne Frau | |
hält: verheiratet, katholisch, vierfache Mutter, Exherausgeberin einer | |
christlichen Monatszeitschrift, Beruf: Hausfrau. Aber eine, die vom | |
Küchentisch aus gegen einen von ihr exklusiv identifizierten | |
„Gleichheitswahn“ anschreibt. | |
2011 tauchte Birgit Kelle zum ersten Mal in Maybrit Illners ZDF-Talk auf, | |
später auch bei Lanz, Plasberg, Beckmann, Jauch und Will. Die bei Illner | |
ebenfalls geladene junge Mutter und Familienministerin Kristina Schröder | |
staunte nicht schlecht über die Unbekannte ohne Amt, ohne Buch, ohne sonst | |
was, die zu wissen vorgab, dass es sehr viele Frauen in Deutschland gibt, | |
die sehr gern als Hausfrau und Mutter zu Hause bleiben wollen. Ein | |
antifeministischer Tabubruch? Friendly Fire? Mut oder Unbedarftheit? | |
Egal. Kelle muss Teilen der Nation jedenfalls das Richtige zur rechten Zeit | |
gesagt haben: Ihre Kolumne „Volle Kelle“ in einem Onlinedebattenmagazin | |
avancierte mit dem Text „Dann mach doch die Bluse zu“ aus dem Stand zum | |
Klickmonster. Für die Hannoversche Allgemeine hat sie damit | |
„Web-Geschichte“ geschrieben. Und die Medienfachleute von Werben & | |
Verkaufen sahen in ihr „das Social-Media-Phänomen des Jahres“. Tausende | |
likten, teilten und kommentierten bei Facebook. „Sie sprechen mir aus der | |
Seele“, hieß es da, oder: „Ich dachte immer, ich sei die Einzige, die so | |
denkt!“ Ja doch, die Sache nahm religiöse Züge an. | |
Leute fühlten sich erweckt, die sonst im Schmollwinkel verharren. An denen, | |
so die Autorin, „die Schweigespirale ihre volle Wucht entfaltet“ hatte. | |
Oder anders: Standpunkte, die kein Gehör fanden, hatten sich bis dato in | |
ein Bauchgefühl umgewandelt. Nun könnte man meinen, Birgit Kelle bediene | |
dieses Bauchgefühl im Stile einer Populistin. Ist sie also die Sarrazinin | |
der Familiendebatte? | |
## Die Zielgruppe: Hausfrauen, wütende Männer, Katholiken | |
Klar, dass sich das auch Verlage fragten und einen Bestseller witterten. | |
Kelle gab dem adeo Verlag den Zuschlag. Dort erscheinen auch Margot | |
Käßmanns Lebensweisheiten und eine Fußballerbibel. Die für das Kelle-Buch | |
anvisierte Zielgruppe lässt sich bereits auf deren Facebookseite | |
identifizieren: Hausfrauen, die ihr gern glauben, dass sie zufrieden sein | |
dürfen, wütende Männer, die sich im Kampf um das Sorgerecht ihrer Kinder | |
vom Staat verlassen sehen, – und Katholiken. Das erklärt dann leider auch | |
das kurze Kapitel gegen Abtreibung in „Dann mach doch die Bluse zu“ (der | |
Verlag entschied sich sicherheitshalber für den Titel der Erfolgskolumne), | |
das aber zum Wenigen gehört, das man besser überblättert. | |
Nein, so flapsig-katholisch darf man den verlustreichen emanzipatorischen | |
Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218, den Treibstoff des Feminismus | |
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht abwatschen, wenn man auch | |
auf der Gegenseite ernst genommen werden will. | |
Verhandelt wird in Kelles Buch mit dem Untertitel „Ein Aufschrei gegen den | |
Gleichheitswahn“ die Sexismusdebatte, die „Diktatur des Feminismus“ mit | |
seinem angeblichen Gender-Mainstreaming-Terror, den Kelle gegen eine | |
schweigende Mehrheit tief in die Mitte der Gesellschaft installiert sieht. | |
Es folgt eine Auseinandersetzung mit Kampfbegriffen wie „Mein Bauch gehört | |
mir“, ein lupenreines Vater-Mutter-Kind-Familien-Plädoyer, eines für die | |
traditionelle Elternerziehung und gegen staatliche Betreuung, eine Absage | |
an die Frauenquote und eine bartpinselnde Ermunterung an alle Männer, | |
endlich wieder richtige Männer zu sein, die Geld für die Familie verdienen, | |
Frauen Komplimente machen und den Grill bedienen dürfen. | |
Das liest sich alles durchaus flott weg – auch wenn Vierfachmutti Kelle | |
ihre individuellen Erfahrungen mitunter arg penetrant als | |
Argumentationshilfe mit in die Waagschale wirft. Am „Mutti hat die Weisheit | |
mit Löffeln gefressen“-Sound spürt man deutlich, dass Kelle auch anders | |
kann, wenn man ihr nicht gehorchen mag: richtig giftig sein. Da möchte man | |
als alleinerziehende Alternativmutti auf dem Kirchenbasar nicht mit dem | |
Zucchini-Kuchenblech neben der sahneschweren Donauwelle von Kelle stehen | |
und versehentlich ein Stück mehr an den Mann bringen. Aber überlässt man | |
ihr am Kuchenstand die La-Ola-Welle der Väter, dann ist vorstellbar, dass | |
man sogar in lila Latzhose ihre beste Freundin sein darf. | |
## Als säße man mit ihr am Küchentisch | |
Aber „Vordenkerin einer neuen selbstbewussten Frauengeneration“? Versuche, | |
eine konservative Haltung zum neuen Modernen zu erklären, sind noch selten | |
überzeugend gelungen. Sicher, es mag heute Mut erfordern, sich zu | |
konservativen Werten zu bekennen. Moderner werden sie dadurch aber noch | |
lange nicht. Sie haben allenfalls das Potenzial, gesellschaftlichen | |
Veränderungen der letzten Jahrzehnte eine überraschende Vitalität | |
entgegenzusetzen. Und Birgit Kelle lässt uns ihre Vitalität spüren. | |
Man muss ihre Haltung nicht teilen. Aber für viele könnte der Mehrwert von | |
„Dann mach doch die Bluse zu“ darin liegen, dass Kelle diesen Sack voller | |
Missverständnisse und Zerwürfnisse zwischen den Geschlechtern röntgt, dabei | |
auch klug argumentiert, akkurat zitiert und auf eine Weise verständlich | |
bespricht, als säße man mit ihr gemeinsam in ihrer großen Küche beim Backen | |
der Donauwelle. Wie sang Reinhard Mey noch? „Wie oft gingen die Wogen darin | |
hoch zwischen uns zwei’n. Da sind Teller geflogen, wie kann so was | |
befrei’n!“ | |
Birgit Kelles Buch ist eine Tellerwurf-Gesprächseinladung. Über | |
Gleichstellung und Frauenquote. Über Sexismus, Krippenplätze und – am | |
rasantesten: über diese elende „Herdprämien“-Diskussion. Auch auf der | |
Facebookseite der Autorin geht es mitunter laut zu. Aber dann haut Mutti | |
kurz auf den Tisch, und Ruhe ist. | |
## Gegen eingefahrene feministische Dialektik | |
„Dann mach doch die Bluse zu“ ist ein neues Plädoyer für die Anerkennung | |
des Berufsbilds „Hausfrau“ geworden. Und eine Anleitung für Mütter, ihre | |
Mutterschaft wieder ausgiebig zu genießen. Das Buch setzt eingefahrenen, | |
oft nur noch zynisch und gebetsmühlenartig vorgetragenen feministischen | |
Standpunkten etwas entgegen. | |
Kelle bittet mit ihrem sehr persönlich geschriebenen Buch jene Frauen und | |
Männer wieder zurück an den Verhandlungstisch, die sich bisher überrollt | |
fühlten von dieser oft nervenaufreibenden – auch von immer mehr Frauen als | |
aggressiv empfundenen – eingefahrenen feministischen Dialektik. | |
„Dann mach doch die Bluse zu“ hat das Zeug, eine von Alice Schwarzer, | |
Bascha Mika oder Elisabeth Badinter dominierte Debatte zu beleben – und | |
tatsächlich zum Bestseller zu werden. Einem längst überfälligen. | |
6 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Alexander Wallasch | |
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