# taz.de -- Essay Männer als Opfer: Die lila Faust | |
> Im Stil eines Ringkampfs: Immer wenn von „Männern in der Krise“ die Rede | |
> ist, geht es um Antifeminismus und vor allem um Verteilungskämpfe. | |
Bild: Männer als Opfer haben Neuigkeitswert. | |
Die Männlichkeitskrise ist in der medialen und politischen Öffentlichkeit | |
zum unhinterfragten Faktum geworden. Als Ursachen werden kaum die | |
Umwälzungen der ökonomischen und politischen Verhältnisse oder | |
traditionelle Männlichkeitskonstruktionen identifiziert, sondern „der | |
Feminismus“. Die aktuell populäre Rede von der „Krise der Männlichkeit“… | |
der damit einhergehende Antifeminismus sind Ausdruck eines | |
Verteilungskampfs. | |
In der Krise sollen damit gefährdete männliche Machtpositionen abgesichert | |
werden. Und sie ist wohl auch Ausdruck einer Sehnsucht, dass zumindest im | |
Privaten alles beim Alten bleiben möge und Frauen als Sozialkitt in | |
stürmischen Zeiten fungieren sollen. | |
Beide Phänomene sind als Begleiterscheinungen tiefgreifenden | |
gesellschaftlichen Wandels aber keineswegs neu. Schon Otto Weiningers | |
berühmtes und auflagenstarkes Buch von 1903, „Geschlecht und Charakter“ | |
(1909 erschien bereits die 11. Auflage), markierte eine Hochkonjunktur des | |
Antifeminismus (und des Antisemitismus). Anschließend riefen die | |
Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1918 (für Männer 1907) in Österreich und | |
die im Zuge des Ersten Weltkriegs destabilisierte Geschlechterordnung | |
Männerrechtler auf den Plan. | |
Damals wie heute stehen im Fokus der Kritik eine „überzogene | |
Gleichstellungspolitik“, die Männer mitunter sogar in ihrer Existenz | |
bedrohe und die veränderte Rolle und Bedeutung von Vätern. Auch aktuell | |
sind die Grundpfeiler männlicher Identität – die Positionen des „Ernähre… | |
und des Vaters – in Veränderung begriffen. Übersetzt werden diese | |
Veränderungen und Verunsicherungen in Opfererzählungen, welche die Medien | |
gern aufgreifen. | |
## Neuigkeitswert | |
Zum einen haben Männer als Opfer Neuigkeitswert, zum anderen können | |
Ressentiments gegen emanzipatorische Geschlechterpolitik damit offen | |
artikuliert werden. Problematisch ist dabei nicht, die Opfererfahrungen und | |
Verunsicherungen von Männern zur Sprache zu bringen, sondern wie dies | |
geschieht: in Konfrontation und Abgrenzung zum Feminismus, dem die „Schuld“ | |
für die Misere monokausal zugeschrieben wird. | |
Vom Feuilleton auf die Regierungsebene schaffte es die „Männlichkeitskrise“ | |
in Österreich mit dem Antritt der rechtskonservativen ÖVP-FPÖ-Regierung im | |
Jahr 2000. Schon kurz nach der Regierungsbildung im Februar 2000 wurde das | |
Frauenministerium aufgelöst und dessen Agenden dem FPÖ-geführten | |
Sozialministerium zugeordnet. Daraufhin wurde im Jahr 2001 eine | |
„Männerpolitische Grundsatzabteilung“ im selben Ministerium eingerichtet. | |
Begründet mit dem Verweis auf Gender Mainstreaming und den Erfolgen der | |
Frauenpolitik, die Männer zunehmend unter Druck setzen und benachteiligen | |
würden. | |
Insbesondere die FPÖ ortete in der SPÖ-Frauenpolitik männer-, familien- und | |
kinderfeindliche Politik. Die „artgerechte Rollenaufteilung“, so das | |
theoretische Organ der FPÖ Zur Zeit, werde zunehmend infrage gestellt. Die | |
ÖVP musste ihre Haltung zur Frauen- und Familienpolitik seit den | |
1970er/1980er Jahren zwar etwas modernisieren, die konservativ-katholische | |
Tradition trat aber in der Wenderegierung ab 2000 wieder stärker zu Tage, | |
ein liberaler Flügel war kaum noch vorhanden. | |
In den zahlreichen Publikationen der Männerabteilung blieb die strukturelle | |
Dimension der Geschlechterverhältnisse fast völlig außer Acht, Daten über | |
politökonomische Prozesse fehlten fast zur Gänze. In erster Linie ging es | |
um individuelle Befindlichkeiten und eine individualpsychologische Sicht | |
auf das Thema. Dieser Fokus kennzeichnet die politische als auch die | |
mediale Debatte bis heute. | |
## Die Folgen in der realen Welt | |
Zu Wort kamen männerbewegt-radikale Autoren wie Gerhard Amendt, Walter | |
Hollstein oder solche mit einem Nahverhältnis zu katholischen | |
Organisationen. Auch Christine Bauer-Jelinek ist eine der AutorInnen, die | |
unter der schwarz-blauen Regierung ihren Beitrag zum Zurechtrücken der | |
„einseitigen Sicht“ auf die Geschlechterverhältnisse leistete. 2012 erregte | |
sie mit ihrem verschwörungstheoretischen Buch „Der falsche Feind. Schuld | |
sind nicht die Männer“ – das sich etwa auf dem Niveau von Eva Hermanns | |
Publikationen bewegt – breite mediale Aufmerksamkeit. | |
Skurril mutete es selbst im katholisch-konservativen Österreich an, dass | |
sich der als extrem rechts-konservativ geltende Wiener Weihbischof Andreas | |
Laun mehrfach in Ministeriumsbroschüren zu Geschlechtertheorien und | |
Vaterschaft äußerte. In seinem Beitrag zur „Geschlechterdifferenz aus | |
biblischer Sicht“ ist von der „Idee einer von Gott gegebenen Natur von Mann | |
und Frau“ zu lesen. | |
Zeitgleich herrschte beim Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen | |
Stillstand. Dafür wurde im Sinne der „Wahlfreiheit“ ein Kindergeld | |
eingeführt, dass den Wiedereinstieg in den Beruf für Frauen nach der Karenz | |
weiter erschwerte, und Steuervorteile für Alleinverdiener wurden erhöht. | |
Mit dem Regierungswechsel 2007 änderte sich zwar die Ausrichtung des nun | |
wieder SPÖ-geführten Sozialministeriums. Das Thema und der | |
antiemanzipatorische Tenor der Diskussionen um Geschlechterpolitik waren | |
aber etabliert und wurden insbesondere ab 2008 verstärkt von der medialen | |
Öffentlichkeit aufgegriffen. | |
Was in Österreich als Qualitätsmedium gilt, hat die Bezeichnung mitunter | |
zwar kaum verdient. Festzuhalten ist aber, dass insbesondere diese ihrem | |
Selbstverständnis nach liberalen Medien – vor allem die Tageszeitung Der | |
Standard und das Nachrichtenmagazin profil – den antifeministischen Diskurs | |
forcieren. So wies profil 2012 nach, dass die Einkommensdiskriminierung von | |
Frauen ein Mythos sei. Das Festhalten daran verdanke sich den politischen | |
Interessen von Frauenpolitikerinnen. Mit Fragen nach der Verteilung der | |
unbezahlten Arbeit, mangelhafter Kinderbetreuung und der daraus folgenden | |
extrem hohen Teilzeitquote von Frauen in Österreich hält man sich nicht auf | |
– man hatte nämlich gerade den Unterschied zwischen der bereinigten und der | |
unbereinigten Lohnlücke enthüllt. | |
## Die Logik der Einzelfälle | |
In erster Linie ist es aber Der Standard, der sein Format „Kommentar der | |
anderen“ für (mitunter radikal-)antifeministische AutorInnen geöffnet hat. | |
Dort wird etwa „nachgewiesen“, dass Gewalt in Beziehungen überwiegend von | |
Frauen ausgehe, universitäre Gleichstellungspolitik „minderqualifizierte | |
Frauen“ in Führungspositionen bringe, in Frauenhäusern „feministische | |
Kriegshetze“ betrieben werde und die „lila Faust“ Männer allzu oft „un… | |
der Gürtellinie“ träfe. | |
Da Frauen ohnehin schon die Gewinnerinnen der Modernisierung seien, müssen | |
die „ideologischen Agenturen“ des Feminismus heute Problemlagen erfinden. | |
Überdies sei der Feminismus diskursbestimmend und brächte Männer/männliche | |
Forscher zum Schweigen. Das behaupten eben jene, die besonders viel Raum in | |
den Medien bekommen. | |
Weder in Hinblick auf Stil noch auf Niveau entspricht das einer | |
Qualitätszeitung. Die gewählte Sprache ist nahe der Umgangssprache, die | |
darüber hergestellte Identifikation scheint einer zwingenden Logik zu | |
folgen: Erzählungen über Einzelfälle ersetzen gesellschaftstheoretische | |
Analysen und statistische Daten. Auch historische und politische | |
Kontextualisierung sucht man vergeblich, dafür gibt es monokausale | |
Schuldzuweisungen an Feminismus und Frauenpolitik. | |
Nun kann man darüber räsonieren, was eine verstärkt marktbezogene Logik aus | |
Medien macht, dass sie etwa Tendenzen der Skandalisierung und | |
Boulevardisierung fördert. Auffällig bleibt aber, dass gerade im Feld der | |
Geschlechterpolitik und -theorie Qualitätsstandards obsolet wurden und nun | |
(fast) alles sagbar ist. Das hat wenig mit Meinungsfreiheit zu tun, wie | |
gern behauptet wird. | |
Wird Geschlechterpolitik im Stil eines „Ringkampfs“ inszeniert, wird damit | |
alles andere als eine ernsthafte Auseinandersetzung verfolgt. Es ist | |
vielmehr eine Banalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, die | |
Machtverhältnisse sowie Differenzierungen und Hierarchisierungen nicht nur | |
zwischen, sondern auch innerhalb der Gruppe der Frauen und der Männer | |
verschleiert und entpolitisiert. | |
26 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Weiss | |
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