# taz.de -- Palästinenser in Deutschland: Ende des Berliner Frühlings | |
> Die Hauptstadt hat in den letzten Jahren viele palästinensische Künstler | |
> und Intellektuelle angezogen. Seit dem Krieg in Gaza sind sie ernüchtert. | |
BERLIN taz | Yasmeen Daher empfängt in ihren neuen Büroräumen, an den | |
Tischen sitzen ihre Kollegen. Erst im vergangenen Herbst hat das Netzwerk | |
unabhängiger arabischer Medien, für das sie arbeitet, die hellen Ladenräume | |
im Berliner Stadtteil Mitte bezogen. „Wir waren euphorisch und voller | |
Hoffnung“, sagt die 41-Jährige. Aber seit dem [1][Krieg in Gaza], der auf | |
den Angriff der Hamas am 7. Oktober folgte, sei die Stimmung gekippt. „Es | |
ist viel Vertrauen verloren gegangen“, sagt sie. | |
## Die Medienmanagerin | |
Yasmeen Daher ist in Nazareth aufgewachsen, der größten arabischen Stadt in | |
Israel, und hat in Kanada Philosophie studiert. Vor acht Jahren kam sie mit | |
einem Stipendium nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt galt nach dem Ende | |
des Arabischen Frühlings als Sehnsuchtsort für arabische Intellektuelle, | |
die zum Teil aus ihrer Heimat fliehen mussten. Nicht Paris oder London, | |
weil zu teuer, und auch nicht Istanbul, weil zu gefährlich – nein, Berlin | |
zog damals viele junge Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle aus | |
arabischen Ländern an, darunter auch viele Palästinenser. | |
Denn Berlin ist nicht nur die Heimat der größten palästinensischen | |
Minderheit in Europa. Mit dem „Sommer der Migration“ kamen 2015 rund 40.000 | |
weitere Menschen aus Syrien hinzu, die neuen Schwung mit sich brachten, | |
Restaurants und Konditoreien eröffneten. Ein idealer Ort also, so schien | |
es, um unabhängige und progressive Medien aus dem Nahen Osten und | |
Nordafrika zu bündeln, wie es das unabhängige Netzwerk [2][Febrayer] macht. | |
Yasmeen Daher ist dessen Co-Direktorin und Redaktionsleiterin. | |
Als sie vor acht Jahren nach Deutschland kam, merkte sie allerdings | |
schnell, dass hier ein anderer Wind weht, als sie es von Kanada gewohnt | |
war. Dort gab es eine große, universitäre Palästina-Solidaritätsszene. Als | |
sie in Berlin das erste Mal an einer Pro-Palästina-Demonstration teilnahm | |
und auf ein Plakat das Wort „Apartheid“ pinselte, sagte man ihr: „Das | |
kannst du in Deutschland nicht machen“, erinnert sie sich – das gelte als | |
„antisemitisch“, weil es Israel dämonisiere, wurde sie gewarnt. „Das war | |
ein Schlüsselerlebnis“, sagt sie. | |
Politisiert wurde Yasmeen Daher schon früh. Weil ihre Mutter aus Nablus im | |
Westjordanland stammt, fuhr sie schon als Kind regelmäßig mit ihrer Familie | |
dorthin. Dort erlebte sie Kontrollpunkte, Schikanen, Ausgangssperren, das | |
ganze Programm der Besatzung. Auch in Israel selbst erfuhr sie | |
Diskriminierung: „Palästinensische Eltern werden von den Behörden anders | |
behandelt. Man bekommt keine Wohnung aufgrund seines Namens.“ Über Nazareth | |
mit seiner arabischen Mehrheit thront eine Neubausiedlung mit Parks und | |
Swimming Pools, in der überwiegend jüdische Israelis leben. | |
Als die zweite Intifada im Jahr 2000 ausbrach, erschossen Polizisten bei | |
Protesten in Orten wie Nazareth insgesamt 13 arabische Staatsbürger: Auch | |
diese Erfahrung hat Yasmeen Daher geprägt. Der israelische Staat sorge | |
dafür, die Überlegenheit einer Gruppe über die andere aufrechtzuerhalten, | |
sagt Yasmeen Daher. In Israel seien Palästinenser wie sie Bürger zweiter | |
Klasse, die Palästinenser aus der Westbank würden als billige Arbeitskräfte | |
ausgebeutet, und die in Gaza weggesperrt: Es sei ein System des Teilens und | |
Herrschens. | |
Seit in Gaza der Krieg tobt, hat sich in Deutschland für Palästinenser wie | |
sie vieles verändert. „Mein Sohn geht hier in die Kita“, erzählt sie. „… | |
der Krieg in der Ukraine begann, haben sie dort Kleidung gesammelt. Jetzt | |
gibt es überhaupt keine Reaktion, es herrscht Schweigen.“ Das kann sie | |
schwer nachvollziehen. Die fehlende Anteilnahme vieler Deutscher hat sie | |
enttäuscht. „Viele haben kein vollständiges Bild von dem, was in Gaza | |
passiert“, glaubt sie. | |
Schuld sei aber auch die mediale Berichterstattung über Palästinenser | |
hierzulande. „Deutsche Medien haben uns von Anfang an pauschal als | |
Terroristen, Hamas-Sympathisanten und Antisemiten dargestellt“, findet sie. | |
Kein Wunder, dass sich viele Deutsche mit „solchen Gestalten“ nicht | |
öffentlich solidarisieren wollten, auch wenn sie den Krieg ablehnten. | |
Haben nicht auch antisemitische Parolen Menschen verschreckt und davon | |
abgehalten, an Kundgebungen teilzunehmen? „Bei den Demonstrationen, an | |
denen ich teilgenommen habe, gab es keine antisemitischen Slogans“, sagt | |
sie bestimmt. Der Vorwurf des Antisemitismus werde benutzt, um Menschen | |
davon abzuhalten, sich mit Palästinensern zu solidarisieren, findet sie | |
vielmehr. Das beste Mittel, um Antisemitismus entgegenzuwirken, sei es, | |
gemeinsam mit jüdischen Partnern für einen gerechten Frieden auf die Straße | |
zu gehen, aber auch das werde unterbunden. | |
Und die vielen palästinensischen Fahnen, schrecken die nicht auch manche | |
Menschen ab? „Ich bin kein nationalistischer Mensch“, entgegnet die | |
Medienmanagerin. „Aber ich kann einer Gruppe, die gegen ihre Unterdrückung | |
kämpft, nicht vorschreiben, welche Fahne sie schwenken sollen. Das käme mir | |
paternalistisch vor“ – insbesondere wenn man selbst einen Staat habe, der | |
einem Rechte und Sicherheit gewähre. „Wir werden als eine homogene Gruppe | |
dargestellt. Aber wir sind sehr unterschiedlich und haben verschiedene | |
Meinungen“, betont sie. | |
## Der Grafiker und Kulturvermittler | |
Das kann Fadi Abdelnour nur bestätigen. Mit 24 kam er zum Designstudium | |
nach Deutschland, heute ist er 45 und ein Tausendsassa: Im Herbst 2020 | |
eröffnete er den Buchladen [3][Khan Aljanub] („Herberge des Südens“) in | |
Berlin. Er liegt in einer Hinterhofremise an einer Hauptverkehrsstraße, der | |
Eingang befindet sich zwischen einem syrischen und einem marokkanischen | |
Restaurant und ist nicht leicht zu finden. | |
Doch das Geschäft hat ein Alleinstellungsmerkmal: Es ist der [4][einzige | |
Buchladen in Berlin, der arabische Literatur, Kunstbände und Comics | |
verkauft, aber auch Sachbücher und philosophische Werke]. Demnächst wird | |
der Buchladen nach Neukölln umziehen, in einen Laden mit Schaufenster. Zehn | |
Jahre lang leitete Abdelnour zuvor [5][das arabische Filmfestival | |
„Alfilm“]. Die nächste Ausgabe startet im April, der Schwerpunkt wird auf | |
Palästina liegen. Abdelnour hat das Plakat gestaltet, es erinnert an | |
[6][palästinensische Stickereien]. | |
Doch bei den großen Kulturinstitutionen herrsche Verunsicherung und Angst, | |
hat Abdelnour bemerkt. Es gab eine Welle von Absagen aufgrund von | |
„Antisemitismus“-Vorwürfen, auch gegen jüdische Künstler. Palästinensis… | |
Stimmen würden [7][kaum noch auf ein Podium geladen]. Wenn es | |
Veranstaltungen und Podiumsgespräche gibt, dann meist in unabhängigen | |
Hinterhofkinos, in linken Treffpunkten oder akademischen Hinterzimmern. | |
„Wer weltoffen denken möchte, für den wird der Raum immer kleiner“, sagt | |
Fadi Abdelnour. | |
Man müsse vorsichtig sein, um nicht anzuecken. „Es war ein Labyrinth. Jetzt | |
ist es ein Minenfeld.“ Ihm bereitet dieses Klima Sorgen. „Man dachte, | |
demokratische Gesellschaften sind stabil“, sagt er. „Es ist erschreckend, | |
wie schnell man bereit ist, die eigenen Werte wegzuschmeißen.“ Toleranz, | |
Menschenrechte, Meinungsfreiheit – solche Dinge halt, die in Sonntagsreden | |
so gerne beschworen würden. | |
Abdelnour ist im israelisch besetzten Westjordanland aufgewachsen und hat | |
dort an der Bir-Zait-Universität bei Ramallah studiert, bevor er nach | |
Deutschland kam. Damals konnten auch Studenten aus Gaza noch im | |
Westjordanland studieren. Aus dieser Zeit hat er noch Freunde, deren | |
Familien in Gaza leben. „Aber es wird immer schwieriger, mit ihnen zu | |
telefonieren“, sagt er. „Es gibt nichts mehr, was man sagen kann. Was soll | |
man denn sagen? Ich hoffe, deine Familie ist noch nicht verhungert?“ | |
Abdelnour ist deprimiert und fragt sich: Was hat er mit all seiner Arbeit | |
erreicht? Mit all seinen Bemühungen um den deutsch-arabischen | |
Kulturaustausch? Er will sich jetzt stärker auf seine Arbeit als freier | |
Grafiker konzentrieren. „Ich habe mir hier ein Netzwerk aufgebaut“, sagt | |
er. „Aber werden die Leute in Zukunft noch mit mir zusammenarbeiten wollen? | |
Wie sicher ist mein deutscher Pass?“, fragt er sich. | |
## Die Feministin | |
Fidaa al-Zaanin kam vor acht Jahren das erste Mal nach Berlin. Damals | |
arbeitete sie noch für NGOs im Gazastreifen und besuchte den Bundestag. Die | |
34-jährige ist im Gazastreifen aufgewachsen und hat dort Informatik | |
studiert. Ihr Vater ist Ingenieur, die Mutter Englischlehrerin. Inzwischen | |
leben die Eltern in Schweden, die Kinder über verschiedene Länder | |
verstreut, in Berlin oder in Kanada. | |
Ihre jüngeren Geschwister arbeiten in Berlin in medizinischen Berufen. „Ich | |
war schon immer eine Rebellin“, sagt Fidaa al-Zaanin. Beim Treffen in einem | |
Café sprudelt es nur so aus ihr heraus. Palästinenser wollten meist, dass | |
ihre Kinder entweder Ingenieure oder Ärzte werden, lächelt sie. Sie aber | |
ging zum Studium nach Island und belegte dort Kurse in Gender Studies. | |
Island sei sehr fortschrittlich, findet sie: Sie habe sich dort willkommen | |
gefühlt. | |
Fidaa al-Zaanin bezeichnet sich als [8][Feministin] und ist [9][politisch | |
aktiv]. 2012 war sie beim Weltsozialforum in Brasilien, 2013 in Tunis. In | |
Berlin arbeitet sie in einem Sozialunternehmen und hat viel mit deutschen | |
Behörden zu tun. Beim Frauentag am 8. März demonstrierte sie mit | |
feministischen und queeren Gruppen aus aller Welt im Stadtzentrum und hielt | |
dort eine Rede. Anderswo demonstrierten am gleichen Tag Frauen gegen die | |
Leugnung der sexualisierten Gewalt der Hamas nach dem 7. Oktober. Dass dort | |
Frauen mit Israelfahnen demonstrierten, kann al-Zaanin nicht verstehen, | |
denn Israel trete die Rechte palästinensischer Frauen mit Füßen, sagt sie. | |
„Unser Leid bedeutet ihnen nichts“, sagt sie über die anderen | |
Demonstrantinnen. | |
Als Feministin müsse man jede Form von sexueller Gewalt verurteilen, von | |
wem auch immer sie ausgeübt werde, betont sie. „Aber wer entscheidet, | |
welches Verbrechen mehr Empörung verdient?“, fragt sie mit Blick auf den | |
Krieg in Gaza, dem bereits mehr als 8.000 Frauen und mehr als 13.000 Kinder | |
zum Opfer gefallen sein sollen. „Die Bomben fallen dort auch auf meine | |
queeren Freunde“, sagt sie. Die Universität, an der sie studiert hat, ist | |
zerstört, ihr Heimatort Beit Hanoun liegt in Trümmern. Ihr Schwager, ihre | |
Nichte und ihr Neffe wurden vom Krieg überrascht, als sie im Gazastreifen | |
zu Besuch waren. | |
„Wir haben die ganze Zeit versucht, telefonisch mit ihnen in Kontakt zu | |
bleiben“, sagt sie. „Es ist schwer zu erklären, was wir als Familie | |
durchgemacht haben.“ Tagelang konnte sie nicht schlafen, sie habe | |
unentwegt aufs Telefon geschaut und alle Nachrichtensender verfolgt. Am | |
Ende konnten die Angehörigen ausreisen und über Kairo ausfliegen. Sie zeigt | |
auf ihrem Handy ein Video, das ihre Angehörigen bei der Ankunft am | |
Flughafen in Kopenhagen zeigt. Ihr Vater weint. | |
„Ich habe Freunde und Angehörige verloren“, sagt sie. „Man hat keine Zei… | |
das zu verarbeiten.“ Man denke, man sei immun, aber so sei es nicht. „Die | |
einen sehen uns als Opfer, die anderen glorifizieren uns. Aber wir sind | |
einfach nur Menschen, die müde sind und nicht aufgeben wollen.“ | |
## Der Fotokünstler | |
Das Atelier von Steve Sabella liegt im Berliner Boheme-Kiez Prenzlauer | |
Berg. Er hat es in seiner Altbauwohnung eingerichtet, von der aus er auf | |
die belebte Kastanienallee schauen kann. Ein Kater sitzt auf einem Sessel | |
im Erker und springt auf, als Besuch eintritt. An den Wänden hängen | |
großformatige Werke von ihm. Sabella ist ein Fotokünstler, dessen Bilder in | |
London, Paris und Dubai hängen. Gerade hat er einen Lehrauftrag an der | |
Barenboim-Said-Akademie in Berlin übernommen, berichtet er stolz: Dort wird | |
er lehren, wie man „mit Licht malt“, wie er sagt. | |
Der 45-Jährige lebt seit 2010 in Berlin, aber er fühlt sich nicht an den | |
Ort gebunden. Es gefällt ihm nur einfach hier. Seine Frau stammt aus der | |
Schweiz, seine Tochter ist gerade zum Studium nach Paris gezogen. | |
Ursprünglich kam Sabella mit einem Stipendium der Akademie der Künste nach | |
Berlin, zuvor war er in New York und London. „Ich habe in Berlin die besten | |
zehn Jahre meines Lebens verbracht“, sagt er über die Zeit vor Corona. Die | |
Pandemie habe er genutzt, um wie verrückt Tag und Nacht an neuen Projekten | |
zu arbeiten. Aber ist er in der Stadt angekommen? Weltweit wurden seine | |
Werke in über 120 Ausstellungen gezeigt, davon allein 25 in Italien – aber | |
nur 7 in Berlin. Dennoch möchte er sich nicht beklagen, das ist ihm fremd. | |
Er blättert durch die Kataloge, die auf seinem Tisch liegen, und eine | |
Monografie, die 2014 erschienen ist. | |
Derzeit sind einige seiner Werke im Berliner Villenviertel Dahlem | |
ausgestellt. Das Emirat Katar hat dort ein Kulturhaus eingerichtet, es | |
nennt sich „Der Divan“ und lädt regelmäßig zu Veranstaltungen ein. Die | |
Inneneinrichtung ist schlicht und edel, alles ist in Weiß und Gold. Unter | |
massiven Kronleuchtern und auf Rokokosesseln redete Sabella dort kürzlich | |
bei einer Veranstaltung mit der Kuratorin und Religionsphilosophin Almut | |
Shulamit Bruckstein über seine Arbeit und, unvermeidbar, über die Situation | |
im Gazastreifen. „Ich finde keine Worte für das, was dort passiert“, sagte | |
Sabella. „Es wird Generationen brauchen, um das zu verarbeiten.“ | |
In den oberen Räumen sind Bilder aus seiner Reihe „Everland“ ausgestellt: | |
Darin verschmelzen nachkolorierte Aufnahmen aus dem historischen Palästina | |
mit Szenen aus anderen Regionen des Nahen Ostens zu märchenhaften | |
Traumlandschaften eines imaginären Orients. Im Untergeschoss sind | |
Stadtansichten von Jerusalem und moderne Silhouetten der Stadt zu sehen. | |
Sabella stammt aus einer alteingesessenen Familie aus Jerusalem, sein | |
Urgroßvater war Vorsteher in der Altstadt. | |
Während er sich als Künstler etablierte, arbeitete er von 1999 bis 2007 als | |
Fotograf für die UN. Dadurch konnte er mehrere Dutzende Male auch nach Gaza | |
reisen. „Ich bin einer der wenigen Palästinenser, der alle Teile Palästinas | |
gesehen hat“, sagt er: Das sei ein seltenes Privileg. In der Kunst sieht er | |
ein Mittel der Selbstbefreiung vom Alltag unter der israelischen Besatzung. | |
Die Besatzung sei „wie eine nie endende Geiselhaft. Niemand möchte so | |
leben“, sagt er. Nicht nur das Land sei besetzt – auch die Fantasie der | |
Menschen. „Viele können sich ein Leben in Freiheit nicht vorstellen“, meint | |
er. | |
Sabella trägt lange Locken, meist schwarze Kleidung und dazu stets rote | |
Socken, seine Fingernägel hat er schwarz lackiert. Seine Bilder sind teils | |
rätselhaft und fantastisch, teils metaphorisch und teils politisch. Für die | |
Installation „Settlement“ ließ er sechs Israelis und sich selbst in | |
Unterhosen ablichten. „Das ist mein radikalstes Werk“, sagt Sabella, es | |
hängt nun im Arabischen Museum für moderne Kunst in Katar. Für die Reihe | |
„The Great March of Return“ vermengte er Bilder der Demonstranten am | |
Grenzzaun in Gaza mit Aufnahmen aus dem Weltall zu kosmischen Panoramen im | |
Stil der Renaissancekunst, sie wirken wie Fresken aus der Sixtinischen | |
Kapelle mit einem Schuss Agitprop. | |
Für eine andere Reihe fotografierte er in einem alten Haus in Jerusalem | |
ornamentale Fliesenmuster und das Küchengeschirr an der Wand. Die Aufnahmen | |
druckte er auf mit Fotoemulsion präparierte Farbreste, die er von | |
Hauswänden in der Altstadt abkratzte. Die Fragmente wirken vergänglich und | |
fragil. Die Kulturwissenschaftlerin Ella Shohat und andere haben das Motiv | |
für Buchcover verwendet. Es zeige, „wie ein Bild ganze Welten erzählen | |
kann“, sagt Sabella, während er auf seinem Computer durch [10][seine | |
Webseite] klickt, um die Bilder zu zeigen. | |
Berlin sieht sich selbst als internationale, multikulturelle Stadt. Aber | |
dieses Bild hat für viele Risse bekommen. „Wir geben dieser Stadt sehr viel | |
– an Sprachen, Kunst und Kultur“, sagt Yasmeen Daher. Aber nun fühlten sich | |
viele entfremdet. „Offenbar gefällt es einigen nicht, so eine vielfältige | |
Hauptstadt zu haben“, glaubt Fadi Abdelnour. „Deutschland ist seltsam“, | |
sagt Fidaa al-Zaanin. „Sie wollen Einwanderer als Arbeitskräfte. Aber sie | |
sind nicht sehr freundlich zu den Leuten.“ Nur Steve Sabella lässt sich | |
davon nicht beirren: „Das ist das System“, sagt er nur. | |
„Palästinenser hatten es nie leicht hierzulande, es gab immer Vorbehalte“, | |
sagt Fadi Abdelnour. Aber jetzt sei es normal geworden, rassistisch über | |
Araber zu sprechen. Viele Palästinenser, die erst in den letzten Jahren | |
nach Deutschland gezogen seien, sprächen kein Deutsch. „Manchmal beneide | |
ich sie darum, dass sie nicht verstehen, was die Gesellschaft, in der sie | |
leben, über sie denkt“, sagt er grimmig. „Das Klima in Deutschland ist | |
beängstigend“, sagt Fidaa al-Zaanin. Palästinensische Stimmen würden | |
kriminalisiert, kaum eine Demonstration ende ohne Verhaftungen. „Ich fühle | |
mich, als ob ich mich in einer feindlichen Umgebung bewege.“ | |
Schon in den vergangenen Jahren untersagte die Stadt Berlin alle | |
Demonstrationen zum Gedenken an die Nakba, an Flucht und Vertreibung der | |
Palästinenser aus dem heutigen Israel, und die Polizei ging rigoros gegen | |
unangemeldete Versammlungen vor. Nach dem 7. Oktober hat sich die Lage | |
verschärft. Die Polizeigewalt, mit der schon im Oktober viele | |
Demonstrationen aufgelöst wurden, hat viele erschreckt. „Was ich da gesehen | |
habe, war krass – sogar im Vergleich zu Ramallah“, sagt Fadi Abdelnour. | |
„Fast wie im Film“ sei es gewesen, wie sich die Polizei den Weg durch die | |
Menge gebahnt hätte, oder wie mehrere Beamte eine Person mit aller Kraft | |
verprügelt hätten, ganz öffentlich | |
Zuletzt gab es am Hauptbahnhof in Berlin erst kürzlich wieder ähnliche | |
Szenen. Aus Protest begann Fadi Abdelnour im Herbst, ein palästinensisches | |
Halstuch zu tragen und er färbte sich zeitweise die Haare in den | |
Nationalfarben: Schwarz, Weiß, Rot und Grün. Beim Sport trug er ein | |
Palästina-Trikot, im Fitnessstudio beschwerte sich jemand deswegen. | |
Das brutale Vorgehen der Polizei, [11][die Pläne des Berliner | |
Kultursenators, die Kulturförderung an Auflagen zu knüpfen] oder die | |
Überlegungen, [12][bei Einbürgerungen künftig ein Bekenntnis zum Staat | |
Israel zu verlangen] – all das hat Spuren hinterlassen. „Die Leute fürchten | |
um ihren Lebensunterhalt, ihre Förderung, ihren Aufenthaltsstatus“, sagt | |
Yasmeen Daher. | |
Manche Mitarbeiter ihrer Redaktion seien so verunsichert, dass sie ihre | |
Beiträge jetzt lieber unter Pseudonym veröffentlichten. Andere hätten | |
Angst, auf der Straße angegriffen zu werden. Im Oktober wurde in Berlin | |
eine Frau, die ein Palästinensertuch trug, vor die U-Bahn gestoßen, sie | |
konnte sich gerade noch retten. „Wir sind ein Störfaktor“, glaubt Fadi | |
Abdelnour. „Meine bloße Existenz ist eine Provokation“, sagt Fidaa | |
al-Zaanin. „Ich habe das Gefühl, als ob es dem deutschen Establishment am | |
liebsten wäre, wenn es uns nicht gäbe.“ | |
Viele aus der Community denken deshalb über das Auswandern nach. „Die Leute | |
fangen an, ernsthaft Pläne zu machen“, sagt Fadi Abdelnour. „Manche | |
sprechen sogar von Flucht.“ Yasmeen Daher kennt Leute, die bereits die | |
Stadt verlassen haben. „Ein Bekannter von mir ist nach Beirut | |
zurückgekehrt“, erzählt sie. „Viele, die ich kenne, wollen wieder weg – | |
nicht nur Palästinenser, sondern auch andere“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Der | |
Rassismus stößt sie ab.“ Nur Steve Sabella geht einen anderen Weg: | |
Demnächst möchte er um die Ecke seiner Wohnung einen Laden anmieten und zum | |
Atelier umwidmen. In den Ladenräumen könne er mit den Menschen in seinem | |
Kiez leichter ins Gespräch kommen, hofft er | |
10 Apr 2024 | |
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[1] /Sechs-Monate-nach-dem-Hamas-Anschlag/!6000376 | |
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[9] https://jacobin.com/author/fidaa-al-zaanin | |
[10] https://stevesabella.com/ | |
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