# taz.de -- Ökonom zu Stopp der Gaslieferungen: „Moskau droht eine akute Sit… | |
> Deutschland muss sich auf ein Ende der Gaslieferungen aus Russland | |
> einstellen, sagt der Ökonom Jens Südekum. Das wäre auch ein Problem für | |
> Putin. | |
Bild: Hier könnte es herkommen, das Gas: Röhre in Banten auf der indonesische… | |
taz: Herr Südekum, wie konnte es passieren, dass sich Deutschland so in die | |
Falle der [1][Energieabhängigkeit] von Russland manövriert hat? | |
Jens Südekum: Die Lage ist so, wie sie ist. Deutschland muss einen Teil | |
seiner Energie importieren. Die Lieferung aus Russland hat in den | |
vergangenen Jahrzehnten immer reibungslos geklappt. Jetzt stehen wir | |
natürlich da mit einer hohen Abhängigkeit, die auch im europäischen | |
Vergleich viel zu hoch ist. Eines der gravierendsten Probleme dabei ist, | |
dass es in Deutschland keine Terminals für Flüssiggas gibt. Wir wissen | |
leider nicht, wie dramatisch die Situation noch werden kann. | |
Derzeit fließt ja noch russisches Gas vor allem durch Nord Stream 1 – und | |
sogar gerade besonders stark durch die Ukraine Richtung Westeuropa, sogar | |
stärker als vor dem Krieg. Sollte das so bleiben? | |
Die Frage ist doch: Wollen wir uns darauf verlassen? Mit den Zahlungen, die | |
wir für die Gasimporte leisten, füllen wir ja die Putin’sche Kriegskasse, | |
immerhin knapp 200 Millionen Dollar pro Tag. Aber der Krieg eskaliert | |
weiter. So kann es einerseits sein, dass Putin den Hahn zudreht – letztlich | |
das einzige Mittel, mit dem er ökonomisch reagieren kann. Aber auch Europa | |
könnte sagen, wir stoppen die Lieferungen, um Putin von Devisen | |
abzuschneiden. Das wäre die nächste Eskalation der Sanktionen. | |
Polen forderte bereits am Mittwoch, Lieferungen von Öl, Gas und Kohle aus | |
Russland zu stoppen. Derzeit lassen es die Sanktionen aber noch zu, dass | |
Geldhäuser wie die Gazprom-Bank weiter Gaszahlungen mit Europa abwickeln. | |
Ja. Falls aber die Lieferungen aus Russland komplett gestoppt würden, wird | |
das weitreichende Konsequenzen haben. Wegen unserer Abhängigkeit bedeutet | |
das, dass wir die Gasspeicher in den nächsten Monaten nicht auffüllen | |
können, um unbeschwert über den kommenden Winter zu kommen. Die Lücke würde | |
dann in Europa bei rund 400 Terawattstunden liegen. Das heißt, die | |
Nachfrage müsste um 10 bis 15 Prozent gedrosselt werden. | |
Betroffen wären davon nach geltenden Regeln vor allem Industriebetriebe, | |
nicht Privatkunden. Dennoch: Wie ließe sich so ein Ausfall kompensieren? | |
Beim derzeitigen Stand könnte das wahnsinnig teuer für uns werden. Aber: | |
Russland ist ja auch abhängig von den Deviseneinnahmen durch seine | |
Rohstoffe. 43 Prozent der Staatseinnahmen kamen im vergangenen Jahr aus Öl | |
und Gas. Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank haben bereits dazu | |
geführt, dass die Devisenreserven des Landes in Höhe von über 600 | |
Milliarden Dollar auf Eis liegen. Der Rubel schmierte in der Folge auf den | |
Finanzmärkten ab. Aber die laufenden Einnahmen können noch von Russland als | |
Devisen genutzt werden. Russland verkauft derzeit über die Hälfte seiner | |
Produktion nach Europa. Für Moskau droht also eine akute Situation: Sie | |
sitzen auf Gas und brauchen Devisen. Der offensichtliche Kandidat ist | |
China. Fraglich ist, wie das technisch gehen könnte. | |
Es gibt eine Pipeline zwischen Russland und China, die bei Weitem nicht | |
ausgelastet ist. Beim Besuch von Präsident Putin in Peking vor einem Monat | |
wurde eine Ausweitung der Energielieferungen mit China vereinbart. | |
Wenn das gelingt, erleichtert es uns die Suche nach Energie auf den | |
Weltmärkten: Gas, das bislang zum Beispiel von Australien oder Indonesien | |
nach China geliefert wurde, könnte dann nach Europa umgeleitet werden. Wenn | |
wir Glück haben, wird es dann nicht so teuer. Allerdings: Falls ein | |
Lieferstopp eintritt, werden die [2][Gaspreise auf jeden Fall weiter stark | |
steigen]. Dabei haben sie sich seit letztem Jahr bereits versechsfacht. | |
Warum sollte Russland sein lange erfolgreiches Geschäftsmodell – Energie | |
gegen Devisen – auf einmal aufgeben? | |
Putin hat bereits mit Atomwaffen gedroht, auf wirtschaftlicher Ebene wäre | |
ein Stopp der Energieexporte eine Art Äquivalent dazu. Vielleicht denkt der | |
Kreml ja auch, für eine gewisse Zeit ohne Importe aus dem Westen | |
auszukommen. Ein Ende der Energielieferungen wäre für alle Seiten unbequem | |
– auch für Russland. | |
Die Bundesregierung denkt derzeit auch über eine [3][Laufzeitverlängerung | |
für Atom- oder Kohlekraftwerke] nach. Klima-fragen müssten hinter der | |
Versorgungssicherheit zurückstehen, sagt Wirtschaftsminister Habeck. | |
Dort werden derzeit alle Szenarien durchgespielt. Es geht dabei nicht um | |
ideologische Fragen. Die AKW-Betreiber haben lange gesagt, eine | |
Verlängerung der Laufzeiten wäre technisch schwierig. Nun sagen sie, sie | |
denken noch mal nach. Fraglich ist, ob es zu vertretbaren Kosten und | |
Risiken geht. | |
Und bei der Kohle? | |
Das Vorziehen des Datums des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 stand ja | |
immer unter dem Vorbehalt, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet | |
werden muss. Kohle und Atom sind beim Heizen und bei der Versorgung der | |
Industrie aber nicht die Gamechanger. Wir brauchen dafür Gas und Öl. Das | |
ist derzeit die entscheidende Frage: Wo kriegen wir das her und zu welchem | |
Preis? | |
3 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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