# taz.de -- Nivea-Verbot in Belarus: Gefahr aus blauen Dosen | |
> Belarussen decken sich mit Nivea ein, aus Dank für Beiersdorfs | |
> Solidarität. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge | |
> 78. | |
Bild: Was mit diesen Waren passiert, wird im Laufe der Woche geklärt | |
Wer hätte damit gerechnet, dass die „Defizite“ (sowjetischer Begriff für | |
„Mangelware“; Anm. der Redaktion) aus Sowjetzeiten zurückkehren würden? U… | |
der Kauf der vertrauten blauen Dose zum aufregenden Abenteuer wird. | |
[1][Nachdem Nivea als erste Firma ihre Sponsorenzusage für die Eishockey-WM | |
2021 in Minsk zurückgezogen hatte], woraufhin weitere Sponsoren nachzogen, | |
folgt jetzt also Lukaschenkos Rache. Eine absolut dumme und kindische | |
Rache. | |
Das Gesundheitsministerium hat den Verkauf von Nivea-Produkten in Belarus | |
verboten. „Ganz unerwartet“ haben Hygieneinspektoren Verstöße in Dokument… | |
aufgedeckt, mit denen Qualität und Sicherheit der Produktion der | |
Kosmetikfirma garantiert werden sollten. Und dann stellten sie auch noch | |
fest, dass Vorschriften für Haltbarkeitsdaten und Produktkennzeichnungen | |
nicht eingehalten worden waren. | |
Darum wurde jetzt ein temporäres Einfuhr- und Verkaufsverbot für einzelne | |
Artikel der Firma verhängt. | |
Ich stelle mir vor, wie die Chefs der deutschen Firma Beiersdorf mit ihren | |
weltweit 144 Niederlassungen und einem Jahresumsatz, der den Wert der | |
staatlichen Goldreserve von Belarus übersteigt, sich die Haaren raufen und | |
vor Wut in den Teppich beißen… | |
Gestern noch war diese wunderbare Kosmetikfirma Marktführer in Belarus, und | |
heute sind ihre Produkte plötzlich und unerwartet toxisch geworden…. | |
Einige besonders gewiefte Vertriebsprofis beeilten sich, sofort nach dem | |
Verbot alle Cremes und Shampoos der Firma aus den Minsker Verkaufsregalen | |
zu entfernen. Aus der Zentrale der Ladenkette Sosedi (Nachbarn) kam ein | |
Brief mit der Aufforderung, umgehend das gesamte Nivea-Sortiment aus den | |
Lagern zu räumen. Was mit diesen Waren passiert, wird im Laufe der Woche | |
geklärt. | |
Umso wertvoller ist es jetzt, in den Läden der Konkurrenz die vertrauten | |
blauen Dosen zu finden, sie zärtlich an sich zu drücken und damit zur | |
Kassen zu eilen. | |
Ich muss auf jeden Fall noch mal dorthin, denn die Creme ist bis 2023 | |
haltbar. Es scheint mir, als bräuchte ich soviel Nivea wie möglich! In | |
Zeiten, in denen das Dunkle regiert, möchte man gerne denen „danke“ (im | |
Original auf Deutsch, Anm. d. Redaktion) sagen, die eine schneeweiße | |
Rezeptur haben. | |
Es wird spannend zu beobachten, was die Phantasie des paranoiden Menschen | |
am Ruder der Staatsmacht noch hervorbringt. Sollte man vielleicht auch die | |
Autos von Škoda Octavia (Škoda war der zweite Sponsor der Eishockey-WM, der | |
seine Unterstützung zurückzog; Anm. der Redaktion) verbieten, in denen die | |
Milizionäre unterwegs sind: Denn was wäre, wenn ihnen der Motor dieser | |
Fahrzeuge plötzlich einflüstern würde, sie sollten zukünftig [2][die | |
absurden Vorschriften, die man ihnen macht, nicht mehr beachten?] | |
Blutuntersuchungen sollten auch nicht mehr gemacht werden, denn im Blut | |
gibt es Leukozyten und Erythrozyten – weiße und rote Blutkörperchen. | |
[3][Und das sind die Farben der Flagge, die auf Lukaschenko wirkt wie | |
Knoblauch auf Vampire.] | |
Und dann sieht der „Präsident“ Verschwörungen und Attentate gegen sich | |
selbst und seine Kindern, die er aus diesem Anlass gleich mal zu Generälen | |
ernennt. | |
Ob diese Attentate von der CIA oder dem FBI vorbereitet wurden, kann er | |
nicht genau sagen, aber sein KGB gibt Befehle zur Verhaftung von Menschen, | |
auch in anderen Ländern. | |
Seltsam genug, dass der Mensch, der davon überzeugt ist, dass 80 Prozent | |
der Belarussen ihn gewählt haben, nicht zögert, seine Bürger auf russischem | |
Staatsgebiet zu entführen. Und sich im Grunde mit aller Kraft darum bemüht, | |
aus Belarus ein Myanmar oder ein Nord-Korea zu machen. | |
Die Abgeordnete des Repräsentantenhaus der Nationalversammlung der Republik | |
Belarus aus Brest, Marina Vasko, ihres Zeichens übrigens Lehrerin für | |
belarussische Sprache und Literatur, sprach sich für die Einführung einer | |
Internetzensur in Belarus nach chinesischem Vorbild aus. Sie schlug vor, | |
ein „Informationschutzschild“ auf staatlicher Ebene zu schaffen, das keinen | |
Platz für Twitter, Facebook, Youtube und „gefährliche“ europäische | |
Nachrichtenquellen lasse: „Ja, das ist sehr wertvoll, aber Freiheit und | |
Unabhängigkeit sind wertvoller.“ Es wäre spannend zu wissen, was sie damit | |
meint… | |
Man sollte Frau Vasko an den Aphorismus erinnern: „Die Freiheit der einen | |
endet dort, wo die Freiheit der anderen beginnt.“ | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
24 Apr 2021 | |
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