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# taz.de -- Keine Eishockey-WM in Belarus: Dieses Turnier brauchen wir nicht
> Einfache Belarussen freuen sich über die Absage der
> Eishockey-Weltmeisterschaft. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten
> in Minsk. Folge 54.
Bild: Kein Spiel für Lukaschenko – Eishockey-Weltverband entzieht Belarus di…
Am Montag, dem 18. Januar, hat die Internationale Eishockey-Föderation
(IIHF) entschieden, die Eishockey-Weltmeisterschaft in Belarus abzusagen.
Wo die Meisterschaft nun tatsächlich stattfindet, wird noch entschieden.
Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der bisher 84
Eishockey-Weltmeisterschaften, dass das Turnier von einem in ein anderes
Land verlegt wird. Zum ersten Mal passierte es 1969 – das Turnier hatte in
Prag stattfinden sollen, aber dann kam der sowjetische Einmarsch in die
Tschechoslowakei.
Mir scheint, dass alle, die sich für eine [1][Absage dieses Turniers
eingesetzt haben], etwas fast Unmögliches geschafft haben. Inklusive der
einfachen Belarussen.
Zum Beispiel haben „unsere Leute“ in der letzten Woche begonnen, die
Hauptsponsoren dieses Sportevents in den sozialen Medien zu attackieren.
Mit dem Hashtag #dontplaywithdictator gab es im Netz unzählige Posts, in
denen erklärt wurde, dass unter den Bedingungen von Diktatur und Repression
die Durchführung einer Weltmeisterschaft nicht akzeptabel ist.
Die erste Sponsorenabsage kam von der Kosmetikfirma Nivea (die zum
deutschen Beiersdorf-Konzern gehört) und deren blaues Logo seit über zehn
Jahren bei Meisterschaften auftaucht. „Nivea Men unterstützt die Werte der
IIFH von Fair Play und Respekt und lehnt jede Form von Diskriminierung und
Gewalt ab. Bei der Einschätzung der aktuellen Situation haben wir
entschieden, dass Nivea Men nicht Sponsor der Eishockey-Weltmeisterschaft
sein kann, wenn es dabei bleibt, dass sie in Belarus stattfindet“, erklärt
der Firmenvorsitzende auf Instagram die Position von Nivea Men.
## Reaktionen in den sozialen Netzwerken
Das war ein ausgezeichneter Marketingtrick: nicht nur eine Verringerung des
Reputationsrisikos, sondern auch eine deutliche Umsatzsteigerung in der
Region! Ohne auch nur eine Kopeke für Werbung auszugeben. In den sozialen
Medien explodierte ein Flashmob. „Ich bin seit meiner Kindheit für Nivea!
Ich habe es früher gekauft und werde es weiterhin kaufen“. „Jetzt ist klar,
dass man sich nicht zu schämen braucht, zum Valentinstag und zum Frauentag
am 8. März Nivea-Produkte zu verschenken!“ „Belarussen sind
„Niveaglaubliche“ (unübersetzbares Wortspiel. Eigentlich „Belarussen sind
Niveajatnye“, was sich auf einen Ausspruch der Oppositionspolitikerin Maria
Kolesnikowa bezieht: [2][„Belarussen, ihr seid unglaublich!“], russ.
„neverojatnye“; Anm. d. Redaktion und d. Autorin)
Der zweite wichtige Titelsponsor, der tschechische Automobilhersteller
Škoda (der zum Volkswagenkonzern gehört), wurde sowohl in den sozialen
Netzwerken als auch off-line scharf angegriffen: Belarussen gingen zur
Betriebsleitung und stellten einen Streikposten auf. Die Firma reagierte
besonnen und würdig: der Pressesprecher kam zu den Streikenden, brachte
eine Thermoskanne mit Tee mit und sagte, dass er die Aktion unterstütze.
Und am nächsten Tag, dem 16. Januar, sagte Škoda offiziell als Sponsor ab:
„Wir sind große Eishockeyfans. Als solche waren wir stolzer Partner der
IIHF-Weltmeisterschaften seit 28 Jahren. Wir respektieren und unterstützen
aber ebenso auf der ganzen Welt den Schutz der Menschenrechte. Daher wird
sich Škoda vom Sponsoring der IIHF-Eishockey-Weltmeisterschaft 2021
zurückziehen, wenn Weißrussland als Co-Gastgeber dieses Events bestätigt
wird.“
Die Belarussen reagierten sofort: „Ich wollte mein Auto gegen ein neues
tauschen, jetzt werde ich mich mal nach einem Škoda umschauen.“ „Ein Auto
ist natürlich teurer als Kosmetik, ist aber jetzt trotzdem auf meiner
Einkaufsliste.“
Nach der Absage von Liqui Moly, einer Firma für Motoröle und
Maschinenfette, die seit 2017 als Sponsor der Eishockey-Weltmeisterschaft
auftritt, haben die Belarussen versprochen, künftig ihre Brote mit
Maschinenfett zu bestreichen und zu essen (was natürlich als Scherz gemeint
ist). Aber der Fokus von Liqui Moly auf Gerechtigkeit, Achtung und Freiheit
blieb natürlich auch nicht unbemerkt.
„Tja, Sascha (Sascha ist die Koseform des Vornamens von Lukaschenko:
Alexander; Anm. der Redaktion), wenn Du Dein Lieblingsspiel spielen willst,
dann zahl es aus eigener Tasche.“ Das war die gesellschaftliche Reaktion.
## Eishockey-verband enttäuscht über Absage
Und jetzt stellt auch noch das Internationale Olympische Komitee (IOC) die
Finanzierung des Olympischen Komitees von Belarus (NOK) ein: olympische
Stipendien werden von nun an direkt an die Sportler*innen ausgezahlt.
Der Geschäftsführer der belarussischen Athletenvertretung Belarusian Sport
Solidarity Foundation (BSSF), Alexander Opeikin, erzählte, wie es gelang,
beim IOC Aufmerksamkeit zu erzielen:
„Beim Internationalen Olympischen Komitee anzuklopfen war ziemlich einfach.
Mehr als 15 Leute, alles gefeierte Athlet*innen, waren zwischen sieben und
15 Tagen in Haft. Etwa zehn Leute haben die Plätze in ihren Mannschaften
verloren. Dazu gab es weder Stellungnahmen noch Protest vom belarussischen
NOK. Das NOK ist dazu da, die Rechte der Sportler*innen zu verteidigen,
aber hier war es ganz offensichtlich nicht auf ihrer Seite.“
Dmitry Baskov, der [3][Vorsitzende des belarussischen Eishockey-Verbandes],
der schon vorher in keinem guten Licht gestanden hatte, kommentierte die
Entscheidung zur Absage ein wenig hysterisch: „Ich möchte mich persönlich
an die Vertreter*innen des sogenannten Solidaritätsfonds des Sports
wenden. Besonders an die ehemaligen Profi-Sportler*innen. Heute feiert ihr
den Sieg, dabei nehmt ihr den Belaruss*innen die wirkliche Feier. Und
könnt euch dann nicht mehr Belarussen nennen. Ihr seid Verräter! Ihr habt
die Weltmeisterschaft in erster Linie den tausenden Eishockey spielenden
Kindern genommen.
Diese 17 Tage, die eine Weltmeisterschaft dauert, hätten nicht nur die
Weltstars des Eishockeys in unser Land geholt, die echten Idole von
Millionen Jungs, mit denen sich die neue Generation von Hockeyspielern
hätte identifizieren können. Sondern auch zehntausende ausländische Fans
und hunderte von Medienvertreter*innen, die sich mit eigenen Augen von der
unglaublichen Schönheit unseres Lands hätten überzeugen können, von der
Gastfreundschaft unseres Volkes und den Sicherheitsstandards in unserem
Land. Leider lässt das Verfahren, das von der Internationalen
Eishockey-Föderation festgelegt wurde, nicht die Möglichkeit einer
Beschwerde zu.“
## „Ich schäme mich für die Miliz“
Es ist schon eine interessante Frage, wer Dmitry das Recht gegeben hat,
über Menschen zu urteilen, die für ihre politischen Ansichten verurteilt
wurden. Und wer ihm das Recht gegeben hat, im Namen des ganzen
belarussischen Volkes zu sprechen. Denn das Volk hat gesagt: Wir brauchen
nicht dieses teure Spektakel, die belarussische Wirtschaft ist schon jetzt
in einem erbärmlichen Zustand.
Bezüglich des Sicherheitsstandards sollte es Dmitry eigentlich auch besser
wissen, denn die Eishockey-Föderation hatte schon früher auf den
Numbeo-Sicherheitsindex verwiesen. Demzufolge Belarus, das im letzten Jahr
auf Platz 16 von insgesamt 129 stand (zwischen Kroatien und Dänemark),
jetzt Anfang 2021 gleich 98 Stellen tiefer auf Platz 114 angesiedelt ist.
Jetzt sind unsere Nachbarn die Dominikanische Republik und Kenia. Von allen
europäischen Staaten ist Belarus auf dem letzten Platz.
Ich als Belarussin, als echte Belarussin, erkläre verantwortungsbewusst:
Selbst wenn ein Wunder geschieht und die Coronaproblematik auf der Welt
sich einfach im Nichts auflösen sollte, könnte ich nicht garantieren, dass
Ausländer*innen, die zur Weltmeisterschaft kämen, nicht zufällig einen
Schlag mit einem Knüppel von einer Sondereinheit der Miliz auf den Kopf
bekämen. Oder für ein paar Tage ins Gefängnis geworfen würden, weil sie
zufällig auf der falschen Straße unterwegs waren.
Ich schäme mich für diese Miliz, für diese Beamt*innen, die [4][mein Land
und mein Volk ermorden,] und sich eben nicht im Nichts auflösen (wir
Belarussen könnten uns da mit Elon Musk absprechen, so scheint mir).
Ich möchte mich nicht schämen. Ich möchte meinen deutschen Freund*innen,
die bestimmt irgendwann als Tourist*innen kommen werden, stolz unser
geliebtes und sicheres Minsk zeigen. Und unser wirklich wunderschönes
Belarus.
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey]
24 Jan 2021
## LINKS
[1] /Eishockey-WM-wurde-Belarus-entzogen/!5745351
[2] /Weibliche-Oppositionelle-in-Belarus/!5713585
[3] /Eishockey-Weltmeisterschaft-in-Belarus/!5740992
[4] /Polizeigewalt-in-Belarus/!5714965
[5] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Janka Belarus
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